... Beispiel aufs Auto und auf Fleisch verzichten. Dafür recherchiert der Journalist, Bücher zum Thema gibt es schließlich genug, und ordnet seine großen und kleinen Ziele in zwölf Kategorien, eine für jeden Monat. Die wohl größte Herausforderung bei diesem Vorhaben: Er wird kein Sabbatical machen, um alles zu schaffen. „Der Selbstversuch soll innerhalb des Rahmens durchgeführt werden, den wir Normalität nennen, samt Vollzeitjob, Familie, Sozialleben und Alltag. Kurz: Ich werde weiter mein Leben führen. Nur besser.“ Gesagt, getan! Erster Januar. Das erste große Thema: Gesundheit und Gewohnheit. Denn „Du musst was machen“, sagte auch Martins Hausärztin beim Blick aufs Blutbild. Er wird Intervallfasten machen, eine Weile auf Alkohol verzichten und seine Fitness verbessern. Letzteres auch mit Blick auf das langfristige Ziel, Boxen zu lernen. Er meldet sich zunächst für ein Online-Training bei einem Boxstudio an. Dehnen und Kraftübungen – und das dreimal die Woche. Beim Dranbleiben hilft ihm ein Tipp aus der Literatur: „Ich erzeuge eine günstige Umgebung für mein Vorhaben und nehme mir damit die Chance zur Ausrede.“ Das heißt konkret, an Trainingstagen packt er bereits morgens alles Nötige griff bereit zusammen.
Im Februar wird die Gitarre aus dem Dauerschlaf geholt. „Erster Schritt: Ich stelle sie ins Wohnzimmer, wo sie mir jederzeit ob ihrer schieren Größe ins Auge fällt.“ Denn Nähe ist für die Bildung von Gewohnheiten wichtig, das hat er zumindest gelesen. Eine Gitarren-App kommt aufs Handy, dafür wird Twitter, Martins größter virtueller Zeitfresser, gelöscht. 15 Minuten täglich üben, das sollte doch nun wirklich drin sein, oder? Doch er merkt bereits Mitte Februar: Seine voller Tatendrang angelegte To-do-Liste wird kaum kürzer, mit dem Spanischlernen hinkt er längst hinterher. „Dass meine To-do-Liste völlig falsch arrangiert ist, erfahre ich später von Organisationsexperten, aber das ist nur die eine Antwort. Die andere ist: Es ist heutzutage einfach alles zu viel. Immer und überall.“ Eine erste Ahnung beschleicht den Familienvater: „Man kann nicht alles haben, was man will.
Hilfe, wo ist nur die Zeit geblieben?
Radfahren – gut für die Umwelt und gut für die Fitness
Loslassen ist ein guter Weg, sich selbst treu zu bleiben
„Seit Beginn des Jahres gehe ich alle sechs bis acht Wochen zum Blutspenden.“ Anderen helfen – das hatte er schon so lange vor
Und dabei will ich jetzt ja noch nicht mal alles.“ Ende des Jahres wird die Gitarre eines der Projekte sein, die ihren Reiz verlieren. Zu klein waren Martins Lern-Fortschritte. Wirklich gut läuft hingegen die Vorbereitung für das Ziel „5-Tages-Radtour“. Die ersten Fahrten ins Münchener Umland bef lügeln, Martin fühlt sich frei. Auch frei von Schuld, weil er keinen Motor braucht und die Umwelt nicht belastet. Zu Hause nimmt das Projekt „kochen lernen“ nach vielen Fehlversuchen schließlich genießbare Formen an. „Bis dahin war ‚Mutti kocht, und Papa macht die Küche‘ eine gef lügelte Ansage der Tochter bei uns. Ich bin nicht sehr stolz darauf.“ Der Journalist möchte auch in der Küche ein zeitgemäßes Vor-bild für seine Tochter werden. Ein gutes und wichtiges Ziel. „Da fehlt gerade was. Es fehlt das Spontane, Unsinnige, Gesellige, Gemütliche in unserem Alltag“, stellt Martins Frau im April fest. Martin stimmt ihr zu. „Ein besserer Mensch sein ist emotional anstrengend“, lautet eine von über 100 Einsichten, die er in diesem Jahr schließlich haben wird. Immer häufiger fühlt er sich innerhalb der Familie und im Freundeskreis wie ein Spielverderber. „Bin ich auf dem Weg, langweilig zu werden?“, fragt er sich. Denn Zeit für Freunde bleibt kaum. An schlechten Tagen ist er gehetzt, immer zu spät und unkonzentriert. Beim Boxen denkt er an den Spanischkurs, dort an die Gitarre. „Ich lebe geistig in der Zukunft.“ Spaß muss endlich wieder her! Vielleicht mit Projekt 10: Tanzen und sich dabei frei fühlen. Aber Martin ist einfach kein Tänzer. Außerdem hat er über die vielen neuen Einsichten längst gelernt: „Das ideale Leben gibt es nicht.“ Du musst gar nichts. Auch nicht tanzen, wenn du es nicht wirklich willst oder nicht kannst. Im Gegenteil! Aufgeben kann eine Chance sein: „Manchmal findet man bei der Suche nach dem einen was ganz anderes.“ Martin kann jetzt super kochen. Schon dafür hat sich sein Projekt gelohnt!
Martins Fazit: Du musst gar nichts!
Selbst ist der (Handwerker-) Mann: „Warum ein neues Bett kaufen, wenn man doch selber eines schreinern könnte?“
BUCH-TIPP
„Wie ich einmal alles schaffen wollte, was ich mir schon immer vorgenommen hatte“
Martin Wittmann, Penguin, 22 Euro
„Projekt Nummer 9 wird eine Radtour von Nürnberg nach Berlin. 500 km in 5 Tagen zusammen mit meinem Freund David.“