... verlässt, muss natürlich damit rechnen, in ungewohnte, unsichere Situationen zu geraten. Man muss sich einlassen, umdenken, flexibel sein. Das ist manchmal aufregend und ein bisschen Angst einflößend. Aber dafür bekommt man auch etwas: neue Erlebnisse, neue Kontakte, neue Horizonte. Man muss ja nicht gleich sein ganzes Leben umkrempeln. Hier erzählen drei Frauen, was sie in ihrem Leben geändert und was sie gewonnen haben.
Annemarie Röder (57): „Malen statt konsumieren!“
„Gemalt habe ich immer gern, aber das Hobby ist im Erwachsenenalter untergegangen. Ich habe zwei Kinder bekommen, immer viel gearbeitet. Abends ließ ich mich aufs Sofa fallen und machte den Fernseher an. Mehr ging nicht. Als die Kinder im Jugendalter waren, brauchten sie mich nur noch selten. Und ich? Saß trotzdem vor dem Fernseher, manchmal schon nachmittags. Dann habe ich eine Sendung gesehen über Frauen und ihre Hobbys. In diesem Moment habe ich mich selbst betrachtet und war wirklich fassungslos. Wie blöd von mir, hier zu sitzen und das Leben an mir vorbeiziehen zu lassen. Spontan schaltete ich den Fernseher aus und wusste nichts mit mir anzufangen. Mit einem Kuli kritzelte ich Bilder auf den Rand der Fernsehzeitung – und erinnerte mich an mein altes Hobby. Seitdem ist viel passiert. Ich habe mich einer Kunst-Gruppe angeschlossen, male, hatte eine erste Ausstellung und organisiere Museums-Touren für alle. Es ist toll.“
Andrea in ihrem Ägypten-Urlaub. Das Foto hängt über ihrem Nachttisch
Andrea Ludwig (49): „Ich will die Welt sehen“
„Seit 25 Jahren kenne ich meinen Mann, 20 davon sind wir verheiratet. Ich liebe ihn wirklich, aber in einem Punkt passen wir so gar nicht zusammen: beim Urlaub. Heiner hat zum einen Flugangst, zum anderen liebt er die Ostsee. Also haben wir Jahr für Jahr unsere Urlaube dort verbracht. Immer in Zingst. Es ist wirklich schön dort, und als die Kinder klein waren, war es auch praktisch. Aber die sind längst aus dem Haus. Als ich vergangenes Jahr zur Weihnachtszeit eine alte Schulfreundin getroffen habe, kam die gerade aus einem Ägypten-Urlaub und erzählte begeistert. Das will ich auch, habe ich gedacht. Heiner sagte natürlich Nein. Da habe ich eben nur für mich gebucht – und Heiner hat mich für verrückt erklärt. Egal. Vor der Reise war ich total aufgeregt, aber alles hat prima geklappt, und es war unglaublich toll, vor allem mein Kamel-Ritt. Das Foto hängt an meinem Bett und erinnert mich jeden Tag. Und jetzt will ich die Welt entdecken. Nächstes Jahr fliege ich nach Thailand. Ist schon gebucht.“
Petra Hanke (53): „Arbeit ist nicht alles“
„Ja klar, Teilzeit muss man sich leisten können. Das stimmt natürlich auch. Aber Stefan und ich haben immer gearbeitet, viel gearbeitet, zu viel. Wir haben uns in einer PR-Firma kennen gelernt. Wir mögen beide unsere Jobs und haben viele Überstunden gemacht. Dazu haben wir keine Kinder, das hat leider nie geklappt. Unser Leben bestand irgendwann allerdings nur noch aus Arbeit. Aber das ist mir erst in einem schlimmen Moment so richtig bewusst geworden. Meine Schwester hatte einen schweren Unfall und lag eine Woche im Koma. Während ich an ihrem Bett Wache hielt, habe ich überlegt, was mein eigenes Leben ausmacht. Arbeit halt. Mehr fiel mir nicht ein. Ja, dadurch hatten wir Geld. Aber ich habe gar nicht gelebt, den Tag genossen. Stefan und ich haben viel darüber geredet und uns für Teilzeit und gegen Überstunden entschieden. Ein echter Gewinn! Das ist Leben. Wir machen regelmäßig Sport, nehmen uns lange Wochenenden und genießen diese Freiheit.“
Ein Schicksalsschlag öffnet Petra die Augen: Es gibt noch mehr als Arbeiten
Tipps und Infos zum Thema
Dr. Doris Wolf
Die Psychotherapeutin spricht hier über Veränderungen im Leben, warum sie uns so schwerfallen, aber auch, was wir durch sie Neues gewinnen.
www.psychotipps.com
Vergleichbar dem Wasser in einem Canyon, graben sich Gewohnheiten ein. Wenn wir Handlungen und Denkweisen wiederholen, bilden sich neuronale Netzwerke in unserem Gehirn. Sein Leben zu verändern, löst sowohl Neugierde und Vorfreude, aber auch Verunsicherung und Angst aus. Und oft steht einem dabei auch das eigene soziale Umfeld im Weg.
Den Anstoß zur Veränderung kann vieles geben: das positive Beispiel einer Freundin, eine Figur im Roman, aber auch ein traumatisches Erlebnis oder eine Erkrankung. Da taucht die Frage auf: Soll das jetzt alles sein?
Den Tritt in den Hintern muss man sich selbst geben. Zu allererst steht die Entscheidung, etwas ändern zu wollen. Dafür sollte man sich die Nachteile klar machen, die man derzeit hat, und die Vorteile, die eine Veränderung bringen wird. Man kann auch andere zum Vorbild nehmen, die erfolgreich im Ändern waren.
Wer eine Veränderung wagt, gewinnt an Selbstvertrauen. Man macht neue Erfahrungen und wächst daran. Und man hat das Gefühl, über sein Leben wieder die Kontrolle zu haben.
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