... Eigenmarkenprodukte in guter Qualität, die zu Kampfpreisen angeboten werden. Das von den Gründervätern Theo und Karl Albrecht definierte Grundprinzip „Discount ist die Kunst des Weglassens“ gelte noch heute, sagt Omerhodzic. „Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche.“
Doch seit den Anfängen des Aldi-Imperiums ist der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel härter geworden. Neben dem direkten Discounter-Konkurrenten Lidl und klassischen Supermarktketten wie Rewe verfolgt man in der Essener Aldi-Nord-Zentrale auch, welche Initiativen der Online-Händler Amazon verfolgt. Der Anspruch, hochwertige Produkte zu niedrigen Preisen anzubieten, reiche nicht mehr, erläutert der CTO. Es gehe heute auch um die Art des Einkaufens: Kunden wollten Waren, die sie zum täglichen Leben brauchen, einfach und schnell beziehen können.
Um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, wolle sich Aldi Nord zu einem stark technologiegetrieben Discounter entwickeln, der in der Branche vorangeht. Entsprechend formuliert er das Ziel: „Wir haben auch den Mut, auf Details zu verzichten, um schneller und besser zu werden.“ Dabei nutze man die Vorteile von Automatisierung und Digitalisierung.
Vom IT-Chef zum Technikvorstand
Der ehemalige CIO der Paul Hartmann AG stieg im November 2020 zunächst als Geschäftsführer IT bei Aldi Nord ein. Seit 1. Juni 2021 ist er CTO und sitzt im Vorstand des Handelsriesen. Neben der klassischen IT verantwortet der Diplom-Informatiker die Digitalisierung und das Data Analytics Competence Center. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen Querschnittsbereich, der sich nicht nur um Themen wie Business Intelligence und Stammdaten kümmert, sondern auch Forschung und Entwicklung im Bereich Data Analytics betreibt. Omerhodzic: „Wir wollen jeden Tag besser darin werden, ein ‚data-driven‘-Unternehmen zu sein. Dazu wurde unter anderem eine Plattform in Microsofts Azure-Cloud entwickelt, die weiter ausgebaut werden soll.
LESEWERT
– Wie Aldi Nord das Discount- Konzept mit neuen Technologien weiterentwickelt
– Was die IT dazu beiträgt, das Kundenerlebnis zu verbessern
– Wie der CTO die IT modernisiert und Kernprozesse optimiert
– Warum Aldi Nord und Aldi Süd im Online-Handel zusammenrücken
Seine strategischen Prioritäten sieht der CTO in den drei Aufgabenfeldern Digitalisierung der Wertschöpfungskette, Store der Zukunft und Verbesserung des Kundenerlebnisses. Zum ersten Bereich gehört einerseits die Modernisierung der Backend-Systeme, andererseits eine umfassende Prozessoptimierung. Dabei verfolge man einen Greenfield- Ansatz: „Wir schauen uns alle Prozesse grundlegend an, von der Produktauswahl über den Einkauf bis hin zum Abverkauf in den Läden und online.“
KI verbessert Bedarfsprognosen
Besonders wichtig ist hier auch der Bereich Forecast and Replenishment. Zu jeder Zeit die richtigen Produkte in der passenden Menge im Laden zu haben, ist für Discounter erfolgskritisch. Neben einer effizienten Logistik bedarf es dazu genauer Bedarfsprognosen. Omerhodzic will den traditionell mit viel Handarbeit verbundenen Prozess auf „ein neues Automatisierungs-Level“ heben und setzt verstärkt auf künstliche Intelligenz.
Sinanudin Omerhodzic, CTO Aldi Nord
„Wir haben den Mut, auf Details zu verzichten, um schneller und besser zu werden. Dabei nutzen wir auch die Vorteile von Automatisierung und Digitalisierung.“
Auch im Store der Zukunft geht es um IT und Automatisierung. Derzeit arbeitet Aldi Nord daran, in sämtlichen Läden elektronische Preisschilder einzuführen. Dazu braucht es unter anderem IoT-Tags an den Regalen, die via WLAN vernetzt sind. Der Discounter will damit eine „dynamische Preisfindung in Realtime“ ermöglichen. Abhängig von Faktoren wie Nachfrage, Tages- und Jahreszeit oder auch Lagerbestand ließen sich Preise dann nahezu in Echtzeit anpassen, was enorme Optimierungspotenziale birgt. Das Vorhaben ist aufwendig: In jedem der rund 5.000 Laden hängen derzeit noch etwa 1.000 klassische Preisschilder. Die elektronischen Pendants müssen installiert, konfiguriert und vernetzt werden. Im Jahr 2023 sollen sie in allen Shops ausgerollt sein.
In Sachen Kundenerlebnis interessiert sich Aldi Nord unter anderem für das Konzept der Amazon-Go-Shops, die komplett ohne stationäre Kassen und mit wenig Personal auskommen. Kunden checken per App ein; Kameras und Sensoren erkennen, welche Produkte die Besucher aus den Regalen nehmen und in den Einkaufskorb legen. Verlassen sie den Laden, wird der Einkaufsbetrag automatisch durch die im Kundenkonto hinterlegte Kreditkarte abgebucht, ganz ohne lästiges Anstehen an der Kasse.
Das erste Amazon-Go-Geschäft eröffnete schon 2016 im US-amerikanischen Seattle. Im Juni 2021 demonstrierte der Konzern dort, dass die Idee auch in einem 2.300 Quadratmeter großen Supermarkt funktioniert. Inzwischen bietet Amazon das Konzept mit seiner „Justwalk-out“-Technologie auch anderen Händlern an.
Aldi Nord will Anfang 2022 im niederländischen Utrecht erstmals einen kassenlosen Markt zu Testzwecken eröffnen. Der Discounter nutzt dabei unter anderem eine KI-gestützte Infrastruktur des israelischen Technologieunternehmens Trigo.
Auch Aldi setzt auf Multichannel
Um im umkämpften Lebensmitteleinzelhandel zu bestehen, werden die über Jahrzehnte so erfolgreichen Discount-Läden aber nicht mehr ausreichen. Auch bei Aldi Nord stehen die Zeichen deshalb auf Multichannel. Damit verbunden ist die anspruchsvolle Aufgabe, Online-Präsenzen und stationäre Shops zu verzahnen.
Im Online-Handel rücken Aldi Nord und Aldi Süd enger zusammen. Zum ersten Mal seit der Trennung vor rund 60 Jahren gründeten sie mit der Aldi E-Commerce Verwaltungs GmbH eine gemeinsame Gesellschaft, um im Digitalgeschäft schneller voranzukommen und auch Lebensmittel nach Hause zu liefern. Bisher arbeiten für Nord und Süd jeweils getrennte Online-Shops, die vor allem Nonfood-Artikel offerieren. Mit Amazon Fresh und den Lieferdiensten von Edeka und Rewe gibt es bereits konkurrierende Angebote im Lebensmittelbereich.
Sinanudin Omerhodzic, CTO Aldi Nord
„Es geht darum, die Qualität zu steigern, aber auch um mehr Nähe zum Business. Die IT-Teams müssen in Produkten und nicht mehr in Projekten denken.“
„Es geht um den einfachen Einkauf – aus Sicht der Kunden“, kommentiert Omerhodzic die Zusammenarbeit von Aldi Nord und Süd. Entsprechend mache es keinen Sinn, zwei separate Online-Shops in Deutschland zu betreiben. Das Ziel sei eine gemeinsame Plattform, über die jeden Tag mehrere Millionen Transaktionen mit mehr als 1.500 verschiedenen Artikeln laufen.
Mehr Ressourcen für die IT
Um solche Projekte stemmen zu können, braucht der Discounter auch in der IT eine stärkere Mannschaft. Am Hauptstandort Essen sind derzeit mehr als 100 IT-Stellen offen. Genaue Zahlen publiziert das Unternehmen nicht, doch Omerhodzic macht deutlich, wohin die Reise geht: Nur mit internen Ressourcen ließen sich die vielfältigen Aufgaben und Projekte nicht stemmen. Er setzt deshalb verstärkt auf strategische Partner wie die deutsche GK Software, die sich auf Einzel handelslösungen spezialisiert hat. Im Rahmen der Kooperation will Omerhodzic die Software für Kassensysteme komplett in die Cloud verlagern. Das gelte sowohl für physische als auch für virtuelle Kassen. Entwicklungs-Teams von Aldi Nord und GK Software arbeiteten gemeinsam an einem cloudbasierten System.
In Sachen Cloud Computing verhandelt Aldi Nord auch eine engere Partnerschaft mit Microsoft. Dabei geht es um eine „Retail Cloud“, die auf Microsofts Azure- Cloud aufsetzen soll. Ziel sei es, „das gesamte Backbone in die Cloud“ zu transferieren, so der Chief Technology Officer. Die strategische Vorgabe laute „Cloud-First, but not Cloud-only“. Der Großteil der IT-Systeme arbeite derzeit noch on-Premises. Künftig überprüfe man jedes System darauf, ob es sich auch in der Cloud betreiben lasse.
Agile Transformation
Jenseits der Backend-IT verfolgt der Technikvorstand noch ein weiteres Transformationsvorhaben. Mittelfristig will er im gesamten Unternehmen agile Methoden einführen. Dazu holte er auch externe agile Coaches ins Boot. Zu den ersten Schritten auf diesem Weg gehört ein gemeinsam entwickeltes „Playbook“, in dem agile Vorgehensmodelle, Rollen und Abläufe beschrieben sind.
Eine Schlüsselrolle spielen die internen „Business Technology Partner“, die Omerhodzic nach seinem Amtsantritt etabliert hat. Sie bilden die Schnittstelle zwischen den Fachbereichen und der neu strukturierten IT-Organisation, die entlang der Business-Funktionen aufgestellt ist. Die Partner führen die Entwicklungs- Teams und sind „Ende-zu-Ende“ für ihre Systeme verantwortlich, betont der CTO, also vom Anforderungsmanagement über die Softwareentwicklung bis hin zum laufenden Betrieb. Sie kommen in der Regel aus einer Fachabteilung, sind also keine ausgewiesenen ITler. Omerhodzic: „Es geht darum, die Qualität zu steigern, aber auch um mehr Nähe zum Business.“ Die IT-Teams müssten in Produkten und nicht mehr in Projekten denken. Statt auf Anforderungen zu warten, sollten sie darüber hinaus Fachabteilungen zum Einsatz neuer Technologien beraten.
Das Mantra „We own Discount” soll sich auf lange Sicht auch in einer Technologieführerschaft manifestieren, sagt der CTO. Dazu gelte es, neue Trends und Technologien proaktiv aufzugreifen. Als Beispiel nennt er das Robotics Center, das Aldi Nord aufgebaut hat. Dort geht es insbesondere um künftige Einsatzszenarien für Robotic Process Automation (RPA). Omerhodzic sieht darin große Optimierungspotenziale auch jenseits der IT. Andere vielversprechende Technologien evaluieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im hauseigenen „Advanced Technology Lab.“
Lessons Learned
„Das Topmanagement musste nicht von der digitalen Transformation überzeugt werden, ganz im Gegenteil“, blickt Omerhodzic auf die ersten Monate nach seinem Amtsantritt zurück. Die nötigen Ressourcen wurden bereitgestellt. Eine Herausforderung sei gewesen, eine schnelle Umsetzung in der Größe der Unternehmensgruppe Aldi Nord zu managen: „Auch wenn der Marktdruck groß ist, kommt es darauf an, die richtige Balance zwischen hoher Geschwindigkeit und der Umsetzbarkeit neuer Initiativen zu finden.“
Das einst von Gartner propagierte Modell der Bimodal IT, also einer IT der zwei Geschwindigkeiten, ist aus seiner Sicht dabei nicht hilfreich: „Ich habe noch nie erlebt, dass dieses Modell in der Praxis funktioniert.“ Nach seinem Einstieg bei Aldi Nord habe er im Gegenteil „digitale Einheiten“ und klassische IT zusammengeführt. Statt der traditionellen „Plan-Built- Run“-Struktur setze er auf produktorientierte agile Teams. Omerhodzic: „Es reicht nicht, wenn ein paar agile Schnellboote voranfahren. Am Ende müssen alle schneller und flexibler werden.“
Wolfgang Herrmann
[redaktion@cio.de]