... so liebe, ist die Vielfalt der Rebsorten und die Energie einer Szene, die Wein auf die richtige Art machen will“, sagt die gelernte Önologin. Richtig bedeutet: ohne synthetische Spritzmittel oder Pülverchen im Weinkeller, dafür mit konsequentem Fokus auf ortsspezifische Charakteristika. In Sommelier-Kreisen wird diese Energie hochgeschätzt: Die Loire ist längst aus dem Schatten von Bordeaux und Burgund getreten und wird für ihre eigenständigen Weine gefeiert, vom prickelnden Crémant, über weißen Chenin blanc bis zum roten Cabernet franc. Eine Spezialität auf „La Grange Tiphaine“ ist die Rebsorte Côt, die in Südfrankreich und der neuen Welt Malbec genannt wird – hier geraten die Weine aus der Traube nicht kraftvoll und gerbstoffreich, sondern wunderbar elegant und leicht floral. „Für mich und meinen Mann Damien hat Wein viele Parallelen zur Musik“, sagt Coralie. Wein trinken und Musik hören seien sehr einfach, könnten aber verschiedenste Eindrücke und Emotionen hervorrufen. „Um selbst Wein oder Musik machen zu können, musst du aber 1000 kleine Schritte gehen und stetig dazulernen.“ Der Vergleich kommt nicht von ungefähr: Sie selbst ist Gospel-Sängerin, ihr Mann spielt Klarinette in einem Orchester. In der alten Scheune des Weinguts, in dem früher gemischte Landwirtschaft betrieben wurde, steht zwischen Tonamphoren zur Reifung der Weine auch ein Klavier für spontane Jamsessions und kleinere Konzerte mit befreundeten Musikern.
SCHMELZTIEGEL TOURS
Auch 25 Kilometer flussabwärts verbinden sich Kultur und Wein zu einer hoch spannenden Destination für Kulinariker: Auf den Plätzen von Tours, der Hauptstadt der Weinbauregion Touraine, treffen im Schatten windschiefer Fach-werkhäuser Kunststudierende auf Weintouristen. Aus einem Plattenladen krächzt die Stimme von Kurt Cobain, gegenüber werden Austern und Crémant gereicht, und in der Rue Colbert nahe dem Museum für moderne Kunst findet alles zusammen. Durch die Gasse wehen Gerüche von Curry, Kebap und französischer Saucenküche. Letztere stammen wohl aus dem Bistro „Le Turon“, in dem rustikale Klassik gepflegt und geschätzt wird – auch am Montagabend ist jeder Stuhl besetzt. Kein Wunder, bei Speisen wie der grob gefüllten und fein gewürzten Pâté en croûte, knusprig frittierten Kroketten mit Schneckenfüllung oder Rindfleisch vom Grill in perfekt abgeschmeckter Burgundersauce. Tours kann vieles sein – ein Ort zum Abnehmen ist es nicht.
LE TURON, TOURS
1 Unprätentiös, aber handwerklich spitze: die hausgemachte Pâté en croûte als Vorspeise im „Le Turon“ 2 In den Bars am Place Plumereau herrscht auch unter der Woche Betrieb bis spät in die Nacht
CAVES LOUIS DE GRENELLE
3 Françoise Flao führt in Saumur die letzte unabhängige Kellerei in Familienbesitz 4 Im Tunnelsystem unterhalb der Kellerei reifen die Weine teilweise über mehrere Jahre 5 Das Stapeln der Flaschen ist eine Kunst für sich — Mitarbeiter Jordan beherrscht es im Schlaf
WEINGÜTER UND KELLEREIEN PROFITIERTEN VOM BAU DER SCHLÖSSER
DIE UNTERKELLERTE STADT
Wie sich noch herausstellen wird, trifft das – Gott sei Dank – auch auf die nächste Station Saumur zu. An vielleicht keinem Ort an der Loire ist die Vielfalt an Weinen so groß wie im Umland der ehemaligen Hugenottenstadt: leichte bis mittelschwere Cabernet-franc-Rotweine aus Chinon und Bourgeuil, mineralischer Chenin blanc aus Brézé und natürlich Crémant de Loire, der wohl bekannteste Schaumwein Frankreichs nach dem Platzhirsch aus der Champagne. Wie eng das Landschaftsbild der Region mit dem lokalen Weinbau verbunden ist, erschließt sich im Untergrund von Saumur: Der Tuffstein, aus dem die berühmten Bauten der Loire gefertigt wurden, wurde zu großen Teilen aus den Tunneln geschlagen, die heute die gesamte Region unterkellern – insbesondere in den Katakomben von Saumur, wo heute Abermillionen Flaschen Schaumwein bei konstanten zwölf Grad zur perfekten Balance reifen. „Saumur ist wie ein Schweizer Käse“, scherzt Françoise Flao, „überall sind Löcher.“ Als Inhaberin des Hauses „Louis de Grenelle“ fallen allein auf ihr Unternehmen drei Kilometer Tunnel, in denen mehrere Millionen Flaschen lagern – 1,5 Millionen werden jährlich abgefüllt. Im Keller geht es dennoch nicht ohne Handarbeit: Die endlosen Gänge sind zu eng, um mit schwerem Gerät zu arbeiten, also werden die Flaschen noch heute in einem statisch ausgeklügelten Schichtsystem von Hand eingelagert. Auch aus diesem Grund ist Madame Flao ein guter Umgang zwischen allen Beteiligten wichtig. „Wir sind der letzte unabhängige Familienbetrieb unter den Kellereien in Saumur – das ist für uns genauso wichtig wie für unsere Angestellten, die Kunden und die Winzer, die uns mit Grundweinen beliefern“, betont die Seniorchefin, die bald an die nächste Generation übergeben wird. Sie schenkt die Grande Cuvée des Hauses ein. Wie winzige Perlenketten steigen die Bläschen nach oben. Nach drei Jahren Reifung in der Flasche zeigt die Cuvée aus Chenin blanc und Chardonnay zarte Aromen von weißem Pfirsich und Brioche, dazu eine wunderbar cremige Perlage. Und das zur Hälfte des Preises einer Flasche Champagner. Nach einem so erfreulichen Aperitif bietet es sich an, nach einem kleinen Spaziergang durch das pittoreske Städtchen direkt zum Abendessen überzugehen. Vorbei an der Kirche Notre-Dame-de-Nantilly und dem berühmten Château de Saumur, das erhaben auf einem Felsplateau über der Stadt thront, geht es direkt ins „Le Boeuf Noisette“. In dem charmanten Bistro gegenüber dem Theater herrscht Purismus. Die ohnehin schon kleine Karte suggeriert dem Gast, sich besser gleich für die Spezialität des Hauses zu entscheiden: Das auf den Punkt gegarte Rumpsteak von der lokalen Rasse „Rouge des Prés“, serviert mit Nussbutter und Pommes frites oder Gemüse, ist in seiner Einfachheit ein nahezu perfekter Teller – zart, saftig und hocharomatisch. Die richtige Wahl also. Selbstredend ist der würzig-elegante Cabernet franc aus der Region der bestmögliche Begleiter zum Fleisch. Das Einzige, das den Besuch im „Le Boeuf Noisette“ an diesem Abend noch toppen wird, ist der Sonnenuntergang über der Loire-Brücke, der das Château noch ein Stück majestätischer erscheinen lässt.
LE BOEUF NOISETTE, SAUMUR
1 Herr der Flaschen: Victor Godart führt charmant durch den Abend 2 Puristische Perfektion: Rumpsteak mit Nussbutter 3 Im „Le Boeuf Noisette“ herrscht lässiger Chic, auf weiße Tischdecken wird bewusst verzichtet
DOMAINE AUX MOINES
1 Die Domaine aux Moines wurde 1768 auf dem höchsten Punkt der Lage Roche aux Moines erbaut 2 Sympathische Winzerin mit Ecken und Kanten: Tessa Laroche in ihrem Weinkeller 3 Harmonie: der berühmte „Roche aux Moines“ und der nur vermeintlich kleine „Berceau de Fées“
ÖKOLOGISCHER WEINBAU NIMMT AN DER LOIRE STETIG AN FAHRT AUF
VOM WEIZEN ZUM WEIN
Nach den urbanen Zwischenstopps in Tours und Saumur wird es höchste Zeit für eine Fahrt ins Grüne. In der Region Anjou westlich von Saumur wird’s richtig ländlich. Schmale Straßen schlängeln sich zwischen Weizenfeldern und Viehweiden durchs Gelände, in den kleinen Dörfern sind kaum Menschen zu sehen. Anjou war und ist geprägt von bäuerlicher Landwirtschaft. Kein Wunder, dass sich Olivier Lecomte hier direkt wie zu Hause gefühlt hat: „Als ich im Weingut der Familie meiner Frau eingestiegen bin, hatte ich keine Ahnung von Wein“, erinnert sich der Ex-Getreidefarmer beim Spaziergang durch die Reben. Die Fassade des Château de Passavant, idyllisch gelegen an einem kleinen Stausee in Passavant-sur-Layon, mag schon bessere Tage gesehen haben – das zugehörige Weingut ist hingegen komplett am Puls der Zeit. Auf 55 Hektar baut die Familie Lecomte nach den strengen Vorgaben der Biodynamie Wein an, die Öko-Zertifizierung erfolgte bereits 1998. Lecomtes Vorstellung von nachhaltigem Weinbau ist sicht- und sogar hörbar: Die Rebzeilen sind von Gräsern zugewuchert, in den Drähten hängen kleine Büschel von Schafwolle, das Mähen der eigenen Herde schallt von der angrenzenden Weide herüber. Mit Folklore habe das wenig zu tun: „Die Menschen vergessen den Wert der alten Methoden.“ Durch die Einsaat von Gräsern und Leguminosen können die Schiefer- und Sandböden das Wasser besser speichern, von dem es in diesem Jahr ohnehin bedenklich wenig gibt. Auch die Schafe leisten ihren Beitrag: „Nach 25 Jahren Weinbau sind diese Böden regelrecht ausgesaugt“, erklärt Lecomte. „Wenn wir sie für fünf, sechs Jahre den Schafen als Weidefläche zur Verfügung stellen, erlangen sie auf natürliche Art wieder ihren Top-Zustand.“ Doch nicht nur die Arbeitsweise kann sich sehen lassen, auch die Weine haben eine besondere Strahlkraft. Bereits die Basis-Linie aus „Anjou blanc“ und „Anjou rouge“ zeigt für kleines Geld die ortstypischen Ausdrücke von Chenin blanc und Cabernet franc. Die weiße Top-Cuvée „Jarret de Montchenin“ brilliert mit feiner Salzigkeit, Schmelz und Länge, während die lokale Dessertwein-Spezialität „Côteaux du Layon“ aus Chenin-blanc-Trauben die Frage aufwirft, wie süße Weine derart aus der Mode kommen konnten – ein Feuerwerk der Aromen zwischen Honig und Zitronenschale, in Szene gesetzt von einer harmonischen, knackigen Säure.
CHÂTEAU DE PASSAVANT
1 Haus am See: Der Blick vom Hof des Châteaus ist schwer zu toppen 2 Wenn Olivier Lecomte seine tierischen Helfer im Weinberg besucht, wird er euphorisch begrüßt
DOMAINE DE L’ECU
1 Die speziellen Methoden von Fred Niger mögen umstritten sein — seine Weine sind es nicht 2 Volle Energie: Im Zentrum des Weinkellers thront ein Kristall 3 Sattes Grün: Schon der vorherige Besitzer der Domaine setzte auf Weinbau im Einklang mit der Natur
IN BESTER LAGE
Über einen Mangel an Wertschätzung können die Winzer in Savennières nicht klagen. Aus dem beschaulichen Dorf im westlichen Teil von Anjou kommen die wohl begehrtesten trockenen Weißweine der Loire. Es ist ein kühles Fleckchen Land direkt am Flussufer mit äußerst kargen Böden und Frostgefahr im Frühjahr – doch gerade der Umstand, dass die Reben ein wenig kämpfen müssen, verleiht den Weinen einen einzigartigen Charakter, der in wärmeren Regionen Frankreichs kaum zu finden ist. Die berühmteste Weinlage „Coulée de Serrant“ liegt im Alleinbesitz von Nicolas Joly, der mit seiner besonders strengen Auslegung der biodynamischen Landwirtschaft zur prägenden Figur des lokalen Weinbaus wurde. Wer auf Starkult verzichten kann, aber ähnlich starke Weine sucht, wird bereits einen Hügel weiter fündig. In der Lage „Roche aux Moines“ bewirtschaftet Tessa Laroche zwölf Hektar Chenin blanc. 1981 hatte ihre Mutter das Weingut übernommen, seit 2001 leitet sie selbst die Geschicke. Doch so prächtig die Rosen im Garten der Domaine aux Moines auch blühen: In die Rolle der vornehmen Burgherrin will sie nicht so recht passen. „Ich war gestern Abend in einem guten Restaurant, ein paar nette Kollegen waren da und hatten Wein dabei, wir saßen etwas länger“, deutet sie vielsagend an, um darauf in schallendes Gelächter auszubrechen. Nach einer kurzen Führung durch ihre Lage, in der der zarte Duft der blühenden Reben in der Luft liegt, lässt sie ihre Weine für sich sprechen. Neben dem „Roche aux Moines“ produziert Laroche lediglich den „Berceau des Fées“, der aus den jüngsten Reben derselben Lage erzeugt wird. Während beim „Berceau“ noch eine saftige Frucht von Äpfeln und Zitrusfrüchten im Vordergrund steht, begeistert der Hauptwein mit purer Eleganz und Harmonie. Konzentriert und lang anhaltend, ohne ins Alkoholische abzudriften, zeigt der Wein, warum die kühle Mineralität von Savennières in den letzten Jahren weltweit Begehrlichkeiten geweckt hat. „Die Weine passen sehr gut zu Fisch und hellem Fleisch, aber ich esse eigentlich am liebsten Hummer dazu“, erwähnt Tessa mit einem breiten Grinsen. Und so langsam wird klar, woher diese Frau ihre gute Laune nimmt – selbst am Vormittag nach einer durchzechten Nacht.
KOSMISCHE EXZELLENZ
Viel zu früh neigt sich die Reise dem Ende zu. Als letztes Ziel steht ein Besuch bei Fred Niger auf dem Plan, der im vergangenen Jahrzehnt mit strahlenden Muscadet-Weinen, aber auch mit nonkonformistischen Naturwein-Cuvées für Furore sorgte. Die „Domaine de l’Ecu“ liegt in Le Landreau, unweit von Nantes und der Atlantikküste, doch wer hier zu Besuch ist, verlässt schnell die Sphären der irdischen Welt. Mit einem schelmischen Grinsen um den weißen Vollbart ist der Spitzenwinzer um keinen schmutzigen Witz verlegen, spricht er jedoch von seiner Philosophie, wird er ernst: „Unsere Hauptaufgabe ist das Hervorheben der Vibration im Wein“, erklärt er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Die sogenannte Kosmokultur basiere auf der Verbindung zwischen kosmischer und terrestrischer Energie, wobei Kristalle, Magnetismus, Homöopathie und das Prinzip des Goldenen Schnitts tragende Rollen spielen. Deutlich wird dies beim Betreten des Weinkellers, in dem Tonamphoren, die in Form der Fibonaccifolge um einen Energiekristall aufgereiht stehen, mit sakraler Chormusik beschallt werden. Niger schließt die Augen und atmet tief ein. „Jeden Tag um sieben Uhr komme ich zum Meditieren an diesen Ort“, beschreibt er seine Morgenroutine. Nur das träge Blubbern der Weine, die in den Amphoren zum Teil über Jahre langsam vergären, erinnert daran, dass man sich nicht in einer Kirche, sondern in einem Weingut befindet. „Wollen wir ein paar Weine verkosten?“, fragt Niger. Aber sicher doch. Die Spezialität der Region Nantais ist der „Muscadet Sèvre-et-Maine“, der für seinen leichten, frischen Ausdruck geschätzt wird und eher mit Mineralität als mit Frucht punktet. Die bekanntesten Muscadets der Domaine de l’Ecu sind nach den Gesteinen benannt, auf denen sie wachsen – „Granit“ und „Orthogneiss“ bestechen mit Dichte, filigraner Zitrusaromatik und einer prägnanten Salzigkeit, die dem Ruf von Muscadet als perfektem „Austern-Wein“ alle Ehre macht. Bei den experimentelleren Weinen gerät der Winzer selbst ins Schwärmen, etwa bei der würzigen „Marguerite“ aus der Cognac-Traube Folle blanche oder dem animalischrauchigen „Mephisto“ aus Cabernet franc. Ist es am Ende genau diese Vielfalt zwischen Klassik und Experimentierfreude, die dem Loire-Tal seine besondere Strahlkraft verleiht? Sind es die faszinierenden Bauwerke oder der omnipräsente Sinn für Kunst und Kultur? Oder sind es die Persönlichkeiten, die in Weingütern und Restaurants erfolgreich versuchen, die Essenz der Region auf dem Teller und im Glas zum Ausdruck zu bringen? Auch ohne die Spiritualität eines Fred Niger wird bei einem Besuch schnell klar: Alles ist verbunden.
»e&t«-Redakteur Benedikt Ernst ist bereits wenige Wochen nach seiner Recherche wieder an die Loire gefahren — diesmal im Campingbus, mit reichlich Platz für flüssige Souvenirs und eine Monatsration Rohmilchkäse. Das Steak im „Le Boeuf Noisette“ bestand auch den zweiten Test.