... zumeist mit dem Saisonaus und mehreren Monaten Reha plus Wiederaufbautraining einhergehen. Plötzlich stehen vom einen auf den anderen Moment alle Vorstellungen für die Zukunft auf den Kopf. Ein abrupter Einschnitt und herber Rückschlag für jeden, keine Frage. Doch sie alle sind zurückgekommen.
Oftmals dauert es eine ganze Weile, bis man sich selbst als Ausnahmsportler und -athlet wieder an die physischen und psychischen Anforderungen des NBA-Alltags gewöhnt, man wieder Vertrauen in den eigenen Körper aufbaut und schlussendlich wieder zu alter Form zurückfindet. Es braucht Zeit, doch durch die immer fortschrittlicheren Entwicklungen in Medizin und Diagnostik ist heute beinahe keine Verletzung mehr eine ernsthafte Gefahr für die Karriere eines Leistungssportlers. Beinahe. Denn es gibt immer noch diese eine Verletzung, die jeder Sportler scheut wie James Harden eine wettbewerbsfähige Einstellung zu seinen Defensivbemühungen: der so sehr gefürchtete Achillessehnenriss.
Bis zum heutigen Tag ist es keinem NBA-Akteur mit einem Riss der so essenziell wichtigen Faserstruktur gelungen, langfristig zu alter Form zurückzufinden. Trotz monatelanger Untersuchungen, Massagen, verschiedensten Behandlungen und intensivem Wiederaufbautraining bleibt die Achillessehne die eine Struktur, die auch nach langwierigem Genesungsverfahren nur bei den wenigsten ihre ursprüngliche Funktionalität erreicht. Besonders Explosivität und der schnelle Antritt werden in Mitleidenschaft gezogen, was die Verletzung speziell für Guards und Flügelspieler, die durch ihre Athletik bestechen, so fatal macht.
„Ein radikaler Einschnitt“
Keine rosigen Aussichten für den, der sich seit Spiel fünf der letztjährigen Finals mit den Folgen eines solchen Risses herumschlagen muss. Seit über zehn Monaten arbeitet Kevin Durant, zum Zeitpunkt seiner Verletzung der vielleicht beste Spieler der Welt, nun schon unermüdlich an seinem Comeback. Es ist ein langer und mühsamer Weg zurück. „Ich mache zwar täglich Fortschritte, aber um ehrlich zu sein ist das eine verdammt frustrierende Verletzung“, gibt „KD“ offen und ehrlich zu. „Ich bin jemand, der es liebt, rauszugehen und Basketball zu spielen. Aber momentan muss ich mich sogar für das eigentliche Warm- Up aufwärmen. Das ist schon hart, speziell für mich als jemanden, der sehr ungeduldig ist.“
Insbesondere der nur langsam voranschreitende Heilungsprozess macht dem ehemaligen MVP mental zu schaffen. Mit 31 Jahren befindet sich Durant eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Zwei Meisterschaften inklusive zwei Finals-MVP-Trophäen in drei Jahren sprechen Bände. Doch zur Blütezeit seines Schaffens muss er anderen dabei zusehen, wie sie um die Meisterschaft kämpfen: „Bisher hatte ich eine unglaubliche Karriere. Zwölf Jahre lang wurde ich Tag für Tag und Jahr für Jahr immer besser. Ehrlich gesagt denke ich, dass ich schon früh in meiner Karriere einen Hall-of-Fame-Status erreicht habe. Da ist diese Verletzung natürlich ein radikaler Einschnitt.“
Ein Rückschlag, der alles in Frage stellt. Die verpasste diesjährige Spielzeit ist das eine. Durant wird laut seinem Agenten auch bei einer möglichen Wiederaufnahme des Spielbetriebs im späten Sommer nicht auf den Court zurückkehren. Das Debüt für seine neue Franchise aus Brooklyn wird allem Anschein nach erst in der kommenden Saison stattfinden. Die viel größere Frage ist jedoch nicht, wann der zehnmalige All Star aufden Court zurückkehrt, sondern viel mehr, wie. Werden wir jemals wieder den Kevin Durant sehen, den wir alle kennen?
„Hör nicht auf die Kritiker“
Wirft man einen Blick auf die Spieler, die diese Verletzung heimsuchte, und vergleicht Statistiken vor und nach der Verletzung (siehe Kasten), werden unverblümt die bitteren Folgen der Ruptur bewusst. Ob Rudy Gay, Wesley Matthews oder der große Kobe Bryant, keiner gelangte annähernd auf sein ursprüngliches Leistungsniveau zurück. Besonders das Beispiel Rudy Gay trübt die Hoffnungen auf ein erfolgreiches Durant- Comeback. Mit 203 Zentimetern Körpergröße, langen Armen und der Fähigkeit, jederzeit seinen eigenen Wurf kreieren zu können, ähnelt Gay dem Spielertyp Durant gleich in mehreren Belangen.
Klar, Gay ist bei weitem nicht auf dem Level eines Kevin Durant, aber die Spielstile lassen sich im Großen und Ganzen durchaus miteinander vergleichen. Zudem waren beide zum Zeitpunkt ihres Achillessehnenriss 30 Jahre alt. Das Problem: Während Gay vor seiner Verletzung bei den Sacramento Kings neben DeMarcus Cousins noch als Co- Star agierte, kommt er nach seiner Rückkehr nicht mehr über die Reservistenrolle hinaus und steht im Schnitt nur noch 23 Minuten pro Spiel auf dem Court. Zwar kann er noch immer im Post und als Spotup- Shooter agieren, doch an Explosivität und Schnelligkeit hat der heutige Veteran spürbar eingebüßt - mehr als ein ordentlicher Ergänzungsspieler ist er nicht mehr. Leider ein typischer Verlauf.
Hawks-Ikone Dominique Wilkins zeigte uns allerdings, dass es auch anders laufen kann. „The Human Highlight Reel“ kam nach 283 Tagen Zwangspause im stattlichen Alter von 32 Jahren furios zurück und legte in der Saison 1992/93 ganze 29,9 Punkte pro Partie auf! Auch in den folgenden beiden Jahren gehörte Wilkins noch zur Elite der Liga, bevor der Zahn der Zeit dann langsam auch an ihm zu nagen begann. Dies war jedoch wohl mehr dem fortschreitenden Alter als möglichen Spätfolgen der Verletzung geschuldet. Ein Lichtblick - und der heutige Hall-of-Famer ist überzeugt, dass Durant selbiges gelingen kann. „Wenn es einer schaffen kann, dann er“, ist sich die Ikone sicher. „Hör nicht darauf, was die Kritiker sagen. Glaube niemandem, der dir sagt, was du kannst und was du nicht kannst. Jeden Artikel, in dem Journalisten geschrieben haben, dass ich nicht zurückkommen werde oder dass ich nicht der Alte sein kann, habe ich mir an die Wand gehängt und Tag für Tag angeschaut. Das war meine Motivation. Es war das beste Gefühl überhaupt, es noch einmal allen zu zeigen!“
Möglich ist eine vollständige Genesung also definitiv. Dennoch bleibt der Achillessehnenriss das absolute Worst-Case-Szenario für jeden Baller. Ob „KD“ eine ähnliche Rückkehr gelingt, ist zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation und schlicht nicht absehbar.
Eines ist allerdings sicher: Bei den Nets findet er die womöglich beste medizinische Betreuung der gesamten Liga vor. Seit Jahren legt Brooklyns Führungsetage höchsten Wert auf die medizinische Abteilung und investiert dort Beträge im hohen zweistelligen Millionenbereich. Das Schmuckstück ist das im Jahr 2016 neu erbaute Trainingszentrum, mit modernster Ausstattung und einer direkten Verbindung zum „HSS Hospital“, einem Krankenhaus für Spezialchirurgie, welches sich im selben Gebäudekomplex befindet und als das beste in ganz Nordamerika gilt. Erstklassige Bedingungen, die die Spieler lieben. „Es war die beste medizinische Betreuung, die ich in meiner dreizehnjährigen Karriere genießen durfte“, schwärmt Jared Dudley, der 2018/19 für die Franchise aus New York auflief. „Zu Beginn jeder Woche werden alle großen Muskelgruppen genauestens analysiert.“ Anschließend erarbeiten Experten einen individuellen Trainingsplan anhand der ermittelten Daten, wie etwa der Muskelermüdung. „Ich denke, damit hat man in Brooklyn einen riesigen Vorteil“, sagt Dudley.
Nach Oklahoma City und Golden State ist Brooklyn KD’s dritte Karrierestation.
„Werde nie einer von ihnen sein“
Ideale Voraussetzungen für einen optimalen Heilungsverlauf sind für „KD“ bei den Nets also zweifelsohne gegeben und haben bei seiner Entscheidung für einen Wechsel sicher eine zentrale Rolle gespielt. Doch nicht nur medizinisch fühlt sich der viermalige Scoring-Champ in Brooklyn bestens auf seine Rückkehr vorbereitet. Aus seiner Sicht befindet sich die gesamte Organisation in einer hervorragenden Ausgangslage, um in Zukunft um den Titel mitzuspielen. „Die Nets waren ehrlich gesagt die einzige Situation, für die ich die Warriors verlassen hätte“, gibt Durant in einem ausführlichen Interview im Podcast „All the Smoke“ preis. „Wir haben ein junges Team, dass im letzten Jahr sogar schon etwas Playoff- Erfahrung sammeln durfte. Dazu mit Sean Marks einen jungen GM und ein kreatives Front Office. Mir hat die Art, wie dieses Team zusammengestellt wurde, wahnsinnig gut gefallen.“
Brooklyn kann KD nun endlich bieten, was er in Golden State niemals bekommen hätte - sein eigenes Team. Auch wenn Durant zwei Mal zum Finals-MVP gewählt wurde, zwei Titel gewinnen konnte und die ohnehin schon übermächtigen „Dubs“ auf ein neues Level hievte: hat: Curry, Thompson und Green wurden allesamt in damals noch Oakland gedraftet und haben mit ihrem unglaublichen Run die Franchise für immer verändert. Durant dürfte sich als Teil davon fühlen, aber der „echte“ Kern besteht aus den Splash Brothers und Draymond Green. Das weiß auch KD: „Ich habe mich definitiv akzeptiert gefühlt, aber am Ende des Tages werde ich nie einer von ihnen sein.“
Bei den Nets hingegen findet er eine junge und hungrige Organisation vor, mit der er seine eigene Geschichte schreiben kann. Es ist ein großer Schritt ins Ungewisse, ein großes Risiko. Doch vielleicht ist es genau die Herausforderung, die er braucht, um seine Legacy noch einmal auf eine neue Stufe zu heben. Der umstrittene Wechsel raus aus Oklahoma hängt immer noch wie eine dunkle Wolke über seiner Karriere. Schafft er es nun aber, die Nets trotz der folgenschweren Achillessehnenruptur zum Erfolg zu führen und seine eigene Franchise aufzubauen, könnte das seine gesamte Karriere in neuem Licht erscheinen lassen. Bis dorthin wird es ein langer und steiniger Weg, auf dem er sich Dominique Wilkins‘ Ratschlag zu Herzen nehmen sollte: „Zeig es allen noch einmal!“
Im Draft 2007 wurde Durant nach Greg Oden (Portland) an zweiter Stelle gepickt.
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