... örtlichen Seniorenheim. Die Leidenschaft für Oldtimer entflammte erst Jahrzehnte später erneut, als Jürgens Sohn im Alter von knapp zehn Jahren verkündete, dass ein richtiger Wagen her müsse. Er hätte keine Lust mehr, auf dem Kotflügel des 1965er McCormick-Treckers D320 zu sitzen. Das war vor gut fünf Jahren.
Recht unbedarft ging es zur MotorClassica nach Bremen, und einige Wagen wurden ausprobiert. “Praktisch sollte er sein, bequem, familientauglich mit viel Kopffreiheit – ich bin 1,90 Meter groß. Unser erstes Auto war ein Buckelvolvo von 1957 mit geteilter Scheibe. Tatsächlich schnurrt der recht zuverlässig. Wir haben damit einige Touren gemacht, nette Leute kennengelernt, ihn am Wochenende als Daily Driver genutzt, aber auf Dauer war er zu laut, zu langsam.” Eine Reiselimousine sollte her: ein Volvo Amazon in “Mörkgrön”, also britisch “Racing Green”. Overdrive nachgerüstet, überholter Motor, Sportauspuff. Tolles Auto, die Sitze sollten neu bezogen werden. “Auf der Suche nach einem Sattler mit freien Kapazitäten meinte jemand: Geh mal zur Classic Lounge nach Leipzig, die haben vielleicht einen Tipp”, erzählt Jürgen. Das war vor zwei Jahren. Frank von Classic Lounge in Leipzig hatte zwar keinen Tipp für einen Sattler, aber einen Tipp für ein neues Auto. “Bei einem Feierabendbier hat Frank mir ein paar Ratschläge zum Autokauf gegeben. Ich sei mit meiner Größe von 1,90 Meter eigentlich zu groß für den Volvo, ob ich mich nicht mal in einen zufällig dastehenden Mustang setzen wolle, ich könnte auch mal den Motor anmachen. Damit war bei mir der V8-Virus gesetzt.” Jürgen schwelgt in der Erinnerung, als wäre es gestern gewesen. Platz, Größe, Kraft, Sound – wir kennen das nur zu gut. Zufälligerweise gab es einen neuen Mustang, frisch eingetroffen aus Amarillo, Texas. Nach einigen schlaflosen Nächten war das Sparbuch geplündert.
“Der Mustang hat viel Spaß gemacht, nicht einmal liegengeblieben, immer top gefahren, super zurechtgemacht von den Kollegen der Classic Lounge, nur ein paar neue Reifen und eine neue Batterie waren fällig. Alles andere kann man selber schrauben. Einfache aber solide Technik mit bezahlbaren Ersatzteilen, kein einziger Werkstattaufenthalt notwendig. Am Wochenende einsteigen, pure Fahrfreude, Wellness für die Sinne, zumal als Convertible. Aber irgendwie nicht in allen Lebensanlagen perfekt – für längere Touren doch nach einer Weile ein wenig aufdringlich im Sound. Und doch irgendwie auch zu klein. Irgendwie fehlte die perfekte Reiselimousine immer noch.”
Nach längerem Suchen fand Jürgen schließlich seinen Buick. “Ich finde die Form perfekt, die äußeren Chromleisten mit dem Schwung nach unten zu den Hinterrädern, durchgehende Sitzbank, weißes Lenkrad – genau das 55er Modell musste es sein. Rundtachometer, Hardtop, keine B-Säule, geniales Raumgefühl, Buick Century, wahrlich ein Jahrhundertauto – so schöne Autos sind nie wieder gebaut worden,“ schwärmt er. “Ich habe mir zwei Wagen angeschaut. Hans von der Classic Lounge hat mir bei einer Fotoanalyse einer Anzeige wertvolle Tipps gegeben. Dann kam irgendwann ein gut klingendes Angebot aus Holland, frisch rübergeholt, mit einer dezent nachgerüsteten Klimaanlage, Preis schien okay. Ich weiß, dass manche sagen, ´kauf nie ein Auto in Holland´, aber es gibt dort ein größeres Angebot. Der Verkäufer hatte rund 30 verschiedene Modelle, solide und fair – mit ein wenig Ahnung und Beratung kann man das machen. Es gibt überall solche und solche. Aufgrund der Hinweise von Frank und Hans sowie meiner bisherigen Wagen wusste ich, dass bei den Amis Bremsen und Getriebe fast immer dran sind, daher hatte ich für diese Dinge noch Reserven gelassen.” Ein guter Rat, den Jürgen beherzigt hat: “Plant ein wenig Restbudget für die Zeit nach dem Kauf ein. Irgendwas ist immer, selten werden perfekte Autos angeboten.”
Die Probefahrt war in Ordnung. Alles lief. Auch das Getriebeöl lief üppig raus – aber das hatte Jürgen ja einkalkuliert. 2016 war der Wagen noch in den USA überholt worden. Motor und Getriebe laufen wie neu, original neue Bezüge und Türpappen, Scheibenbremse und Servolenkung wurden nachgerüstet. Auch die Karosse ist in gutem Zustand – natürlich mit kleinen Altersspuren.
“Ich brauche kein perfektes Auto, die Technik soll solide sein, er muss fahren und darf seine Geschichte zeigen. Die Historie war auch dabei, ich bin der stolze fünfte Besitzer. Er war 28 Jahre in Seattle, dann weitere 18 Jahre in Seattle in zweiter Hand, acht Jahre in Edmonds und am Schluss zwölf Jahre in Louisiana. Bei der Anlieferung zu Hause war ich nicht zugegen. Ich war sehr nervös, meine Frau hat die erste Runde gedreht.”
Die Abwicklung lief sehr reibungslos. “Die Classic Lounge hat einen ‚erweiterten Liebhaberservice‘ gemacht, die Budget- und Terminschätzung waren realistisch. Es wurden alle Flüssigkeiten gewechselt, das Getriebe in Südtirol neu abgedichtet, Hinterachse und Bremsen hinten komplett neu gemacht. Frank hatte echt coole Ideen, wie den Einbau einer Revisionsluke im rechten vorderen Radhaus, um an die dahinter nachträglich eingebauten Warmwasserventile zu kommen, um die Heizung wieder gangbar zu machen. Großes Kompliment an die Classic Lounge, auch bei kurzfristigen Sonderthemen reagieren Frank und seine Kollegen flexibel und pragmatisch. Am ersten Wochenende bin ich direkt 700 Meilen gefahren, zur Vorbereitung einer Oldtimerausfahrt 2022 – alles ohne Probleme. Es macht Freude, mit dem Wagen zu fahren, es ist wie ein Miniurlaub vom Alltag.”
Text: Martin Grobe/ Katherina Hütter
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
1955er Buick Century
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Erstzulassung: 01.07.1955
Motor: OHV-V8 322 cid, 5277 ccm mit 236 PS/ 174 kW bei 4600 U/min; Verdichtung: 8,9:1; Carter-Vierfachvergaser
Kraftübertragung: Dynaflow-2-Gang-Automatik, Hinterradantrieb
Vorderachse: Einzelradaufhängung mit Trapez-Dreiecksquerlenkern, Schraubenfedern, hydraulische Teleskop-Stoßdämpfer
Hinterachse: Starrachse mit Halbelliptik-Federn, hydraulische Teleskop-Stoßdämpfer
Bremsen: vorne Scheiben, hinten Trommel, hydraulisch
Räder: Stahlräder mit originalen verchromten Radkappen in 16 Zoll
Reifen: 225/75 R16 Weißwandreifen von Coker
Karosserie: 4-door Hardtop, in Weiß/Grün/Weiß metallic lackiert
Nachgerüstet: Servolenkung, Klimaanlage
Sonstiges: Getriebe überholt, Hinterachse abgedichtet, Scheibenbremse nachgerüstet, Bremse hinten erneuert, äußere Radlager und Simmerringe gewechselt, Differenzial gereinigt
Mehr Bilder findet Ihr in unseren Bonus Galleries