... verbringen wir zum Eingewöhnen in der nahe gelegenen Herberge „La Donzelenche“. Eine kleine Burg aus dem 16. Jahrhundert. Die alten Steinmauern sind von Efeu überwuchert. Und die über dem Garten thronende Terrasse gibt den Blick auf bewaldete Hügel frei. Gespeist wird draußen in einer Laube mit üppig behangenen Weinreben, Kronleuchtern und hübsch eingedeckten Tafeln. Unsere Gastgeber Eva und Hans wuchten große Terrinen auf die Tische. Herrlich würzig duftet darin schon das Fleisch von eigenen Lämmern mit einer Sauce aus Tomaten, Basilikum und Rosmarin, alles aus dem Gemüsegarten des Hauses.
Nur wir und der Esel
Eva und Hans sind Holländer und haben früher oft mit ihren Kindern in den Cevennen Urlaub gemacht und sich dabei in die Gegend verliebt. Hans ist Architekt. Und beim Kauf des mindestens vierhundert Jahre alten Anwesens hat ihn nicht abgeschreckt, dass Bäume aus den eingefallenen Dächern wuchsen. Seit zwanzig Jahren bastelt das Ehepaar nun beständig an seinem kleinen Paradies. Und wer ihnen in die Gesichter sieht, bemerkt ganz deutlich: Sie haben das Glück gefunden.
Jetzt geht es aber erst einmal um unser Urlaubsglück. Während wir das köstliche Lamm essen, erklärt Michael, worauf wir uns ab morgen einstellen müssen, wenn wir mit dem Esel losziehen. Wer „alles geregelt“ haben wolle, für den sei diese Art Urlaub falsch. „Einlassen“ müsse man sich können. Tagesetappen, bei denen man keiner Menschenseele begegnet. Bäume, die den Weg versperren. „So was ist hier normal.“
Der Duft von Kräutern
Wollen wir das? Trauen mein Mann und ich uns das? Wir, die wir ja eigentlich nicht die Herausforderung suchen, sondern Erholung. Genau deswegen ist ja unsere Wahl auf die Esel-Tour in Frankreich gefallen: Entspannte 15 Kilometer wandern pro Tag und die Gepäckstücke trägt das Tier. Keine Plackerei, einfach nur genießen!
Michaels Farm erreichen wir am nächsten Morgen über Serpentinen, die uns lehren, dass es noch einsamer als einsam geht. Das Auto parken, Taschen raus: tschüs, Zivilisation! Wir gehen ein Stück in Richtung Weide. Da steht sie und döst in der Morgensonne: Melisse. Weiches Maul, lange Wuschel-Ohren. Dazu Augen wie getuscht und mit tintenschwarzen Lidrändern. In einem Streichelzoo wäre dieses schöne Tier der Star. Hier hat es jedoch viel mehr Freiheiten. Denn die Esel auf der Farm, es sind sechzig, kommen nur morgens zum Frühstücken in den Stall. Direkt dahinter beginnen zwei Dutzend Hektar eingezäunte „Halb-Wildnis“. Genug Auslauf, damit die Huftiere schon von klein auf robust und trittsicher werden. Auch unsere Melisse ist hier aufgewachsen.
Kaum sind wir mit dem Esel gestartet und haben den kleinen Weiler im Rücken, finden wir das perfekte Szenario: Berge, eine wilde Landschaft und die Sonne zaubert diese unfassbaren Farben, für die der mediterrane Süden Frankreichs ja bekannt ist. Aber dann ist da auf einmal noch etwas. Dieser Duft! Rosmarin, Lavendel, Oregano und … ja, genau: Melisse! Wir laufen, wir schnuppern, die wild wachsenden Kräuter sind überall. Ein Fest für die Sinne.
Unsere Esel-Dame scheint sich für ihre Namensvetterin eher wenig zu interessieren. Geduldig und in gleichmäßigem Tempo läuft sie durch die Landschaft, mal über Granit, dann über Schiefer oder Kalk und dazwischen über weichen Waldboden. Als sei es eine Selbstverständlichkeit, sich den Gegebenheiten immer neu anzupassen. Was hatte Michael noch gesagt? „Der Esel lebt im Hier und Jetzt.“
„Es gibt schon mal Bäume, die den Weg versperren. Auf diese Art Urlaub muss man sich einlassen“
Michael Schumm, Betreiber einer Esel-Farm in Castagnols
Nichts lenkt ihn ab. Und der Klang seiner Hufe schlägt einen gemächlichen Takt. Wann war ich im Urlaub je so weit weg von meinem Job und dem Alltag? Die Natur nimmt uns aufs Schönste gefangen, während wir entlang plätschernder Wildbäche gehen, auf felsigem Geröll und auf alten Viehwegen, die von Kastanienbäumen gesäumt werden. Nicht zu vergessen die Hochebene oberhalb der Baumgrenze, über die sich das Heidekraut wie ein violetter Teppich legt.
Dahinter: ein atemberaubender Weitblick bis hinüber zu den Alpen. Plötzlich stoppt Melisses Hufgeklapper: kein „Tipptapp“ mehr, stattdessen ein Zug an der Leine. Michael hatte uns vorgewarnt, dass Melisse uns vor allem in der ersten halben Stunde testen würde.
„Geht doch ganz wunderbar, dieses Leben ohne Navi, ohne Supermarkt“
Elisabeth Hussendörfer gewöhnte sich im Urlaub um
Aufmüpfige Begleiterin
Inzwischen ist klar, was er gemeint hat – und im Verlauf des Vormittags kommt es immer mal wieder, dieses Kräftemessen. Melisse will dann plötzlich fressen, drückt ihre Schnauze dafür ruckartig zu Boden. Lassen wir das Tier auch nur einen Tick zu lang gewähren und ziehen anschließend dagegen, beginnt ein kleiner Kampf. Druck erzeugt Gegendruck, wie auch sonst im Leben. Reagieren wir dagegen prompt und spielerisch auf die Fresslaune unserer Begleiterin, genügt schon ein kleiner Impuls am Halfter und das deutliche Nennen ihres Namens – und die Eseldame versteht: Hier geht es lang! Mit uns. Und im Weiterlaufen ist Melisse dann wieder ganz in sich ruhend. „Test bestanden“, kommentiert mein Mann.
Tatsächlich hat uns Michael nicht zu viel versprochen: Über Stunden begegnen wir keiner Menschenseele. Was auf der Karte wie ein Dorf aussieht, entpuppt sich oft als ein einzelnes Haus. Gut, dass man ein jedes mit Namen versehen hat: So können wir anhand der Wegbeschreibung prüfen, ob wir noch richtig sind. Geht doch, dieses Leben ohne Navi, ohne U-Bahn, ohne Supermarkt. Geht sogar ganz wunderbar.
Mittags nehmen wir dem Esel die Taschen ab, binden ihn an und setzen uns zum Picknick ins Gras. Couscous-Salat mit Rosinen und Minze hat Eva uns eingepackt, dazu gibt es Wasser. Und frische Feigen, direkt vom Baum! Und der Esel? Er käme den Tag über ohne Futter zurecht, sagte man uns. Irgendwie will ich das nicht wahrhaben und führe Melisse zu einer Stelle mit saftigem Gras.
Später am Abend kommen wir in dem kleinen Bergdorf Ventalon bei Cathy an, die in einem ehemaligen Bauernhof vier Gästezimmer anbietet. Von den alten Steinhäusern aus schauen wir auf eine Bergwelt, die in der Dämmerung aussieht wie grüner, in Falten geworfener Samt. Cathy ist eine „Cévenole“, also hier aufgewachsen. Die mit zahlreichen Töpfen und Blumen geschmückte Terrasse nennt sie ihren Kraft-Ort. Das zeigt, dass die Schönheit ihrer Heimat auch für sie nicht selbstverständlich ist. Und dass nicht nur wir es sind, die staunen. Dann stellt Cathy einen prachtvollen Salat auf den Tisch. Mit Oliven, die ein paar Hügelketten weiter südlich gewachsen sind, und mit Maronen, die unsere Gastgeberin eigenhändig vom Baum geholt hat. Eine gute Tonne käme da jedes Jahr zusammen, für Kastanienmehl und die berühmte, süße „Crème de Marrons“, eine lokale Spezialität. Eine Tonne? „Ja, bei einem 50 Hektar großen Garten kommt das schnell zusammen.“
„Das Wandern mit einem Esel ist ein sehr intensives Naturerlebnis und berührt die Seele – davon kann ich sicher noch lange zehren“
Thomas Fischer, Ehemann der Autorin, hat die viertägige Esel-Tour durch die Cevennen fotografiert
Einmal Aussteiger sein
Nach einem wunderbar tiefen Schlaf holen wir morgens den Esel von der Weide. Wir ziehen wie immer die Gurte fest. Darin haben wir jetzt fast schon Routine. Auch Melisse hält schön still. Abends geht das Ganze retour: Gurte lockern, Weidegang für den Esel. Und für uns: wieder einmal schlemmen in einem wunderschönen Garten. Das Dazwischen ist ein einziges Abenteuer. Eines, das sich allerdings keineswegs nach Action oder Mutprobe anfühlt, selbst wenn hier und da tatsächlich mal ein Baum quer liegt, der umgangen werden will. Wir haben ja Zeit, haben einen trittsicheren Esel; alles kein Problem!
Wir fühlen uns ein bisschen wie die vielen Aussteiger, die hier leben, als wir uns zum Ende der Tour der Esel-Farm nähern. Wir haben losgelassen und vielleicht genau deswegen ganz viel bekommen. Und dann, als wir Melisse nach vier Tagen, die gefühlt eine kleine Ewigkeit sind, zurück zur Weide bringen, kommt Wehmut auf.
Sehnsucht nach Wildnis
Wenn sich all das doch ein Stück weit konservieren ließe, die Farben, die Düfte – für zu Hause!
Melisse hält inne, als wir das Halfter abnehmen. Sie könnte jetzt sofort losrennen, rund 60 Hektar Wildnis warten auf sie. Aber was tut Melisse? Sie wälzt sich auf der Erde. Genussvoll. Schließlich, nach einem langgezogenen „Ihh-ahh“, trottet sie gemächlich betreibt ein Gästehaus davon. Ganz in Esel-Manier. Keine Sehnsüchte scheinen sie zu plagen. Und wir? Die Düfte, die Farben – wir können sie ja nicht einfach mit nach Hause nehmen. Aber von Melisses Gleichmut, so denke ich mir, können wir uns ruhig ein Scheibchen abschneiden.
„Der Blick in die Natur gibt mir jedes Mal neue Kraft“
Cathy Combernous
Unterwegs in den Cevennen
Urlaub mit Esel
Unsere Autorin hat die viertägige Rundwanderung ab Castagnols (über Vimbouches, Le Lauzas und Lou Rey) über „Wandertouren Frankreich“ (www.wan dertouren-frankreich.de) gebucht. Die täglichen Wegstrecken sind rund 15 Kilometer lang und für wenig erfahrene Wanderer in gemütlichen fünf Stunden (ohne Pausen) zu schaffen.
Preis für zwei Erwachsene: 490 Euro pro Person inklusive Esel und Verpflegung (Frühstück, Picknick und dreigängige Abendessen mit Tischwein). Die fünf Übernachtungen (drei davon unterwegs) sind ebenfalls enthalten.
Tipps für die Region – falls Sie vor oder nach der Tour noch Zeit haben
Anschauen
Empfehlenswert ist ein Abstecher zur Gorges du Tarn, einer Schlucht, die etwa eine halbe Fahrstunde vom Startpunkt der Wanderung entfernt in Sainte-Enimie beginnt und sich etwa 35 Kilo -meter nach Süden bis nach Le Rozier zieht. In der Schlucht fließt die Tarn. Charakteristisch sind die steilwandigen Engpässe und zahlreiche Höhlen. Ein schneeweißer Kiesstrand lädt zum Baden ein. Vielerorts werden Aktivitäten wie Klettern oder Rafting angeboten. Am Ufer des Tarn finden sich zahl-reiche Verleihstationen für Kajaks. Es können auch Bootstouren zu entlegenen Abschnitten gebucht werden.
Cascade de Runes: Etwa 20 Minuten mit dem Auto ab Castelbouc, danach ca. 15-minütiger Fußweg (ab dem Wanderparkplatz) zu einem zauberhaften Wasserfall am Südrand des Mont Lozère, der fast 60 Meter in die Tiefe fällt. Am Grund bilden sich kleine Becken, in denen man baden kann. Achtung: Das Wasser ist eiskalt.
Auf dem etwa zehn Quadratkilometer umfassenden Hochplateau Cham des Bondons befinden sich 154 Menhire: nach Carnac die zweitgrößte Ansammlung von jahrtausendealten Hinkelsteinen in Frankreich.
Auf einer ca. fünf Kilometer langen Wanderung lassen sich die mystischen Steine bewundern.
Unterkünfte
La Ferme des Cévennes: Auf einem Berg gelegener Ziegenhof bei Castelbouc. Riesige, gemütliche Räume, eine Menge Tiere und herrlich rustikales Essen, das man mit anderen Gästen an der großen Tafel einnimmt.
Wer will, kann morgens beim Ziegenmelken zuschauen. Oder aber man kauft den leckeren Käse bei der Wirtin. DZ ab 40 Euro. www.laferme descevennes.com
La Source de Castagnols: typische südfranzösische Gîte (so heißen in Frankreich einfache und ländliche Ferien-Unterkünfte). Das Anwesen des Schweizers Michael Schumm liegt zwischen grünen Hügeln und hat einen blühenden Garten. Leckere Bioküche. Erdbeeren und Artischocken aus eigenem Anbau. DZ ab 110 Euro. www.castagnols.com