... Schrauben und Heftklammern jeder Größe sowie, hübsch aufgereiht, Rollen mit Garn in allen erdenklichen Farben. Beim Eintreten verfängt sich ein leichter Holzgeruch in der Nase, leise Radiomusik vermischt sich mit dem rhythmischen Rattern von Nähmaschinen.
Ein alter VW Käfer entfachte die Leidenschaft fürs Polstern
An einem Hubtisch in der Raummitte beugt sich ein junger Mann mit kurz rasierten schwarzen Haaren über eine einzelne Armlehne. Manuel Gehrig hat einen dunklen Velourstoff über die Lehne gestreift. Mit geübten Handgriffen zieht er das samtige Material an den Rändern glatt, dafür benötigt er viel Kraft in seinen Fingerspitzen. Der Bezug wurde millimetergenau angepasst. Wenn alles straff sitzt wie eine Haut, greift Gehrig nach der Tackerpistole und heftet den Stoff am Holz fest.
Lieblingsstücke haben hohe Ansprüche
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Der 34-Jährige ist gelernter Raumausstatter und Mitgesellschafter im Einrichtungshaus Oliver von Zepelin. In der Werkstatt werden sowohl individuelle Polstermöbel gefertigt als auch ältere Stücke aufgearbeitet. Als Gehrig hier 2007 nach dem Abitur seine Ausbildung begann, brachte er bereits eine große Begeisterung fürs Handwerk mit. Er besaß einen alten VW Käfer, dessen Sitze ein Autosattler neu bezogen hatte. Diese Fertigkeit faszinierte ihn, und so wurden Polsterarbeiten zu seinem Spezialgebiet: „Für mich ist das die Königsdisziplin im Bereich der Raumausstattung.“
In einem Sitzmöbel sind die verschiedensten Materialien verbaut: Holz, Schaumstoff, Textilien, Leder, mitunter sogar Metall oder Kunststoffe. Das macht Gehrigs Arbeit abwechslungsreich, aber auch anspruchsvoll.
Der Beruf des Polsterers ist alt – wohl im 16. Jahrhundert nahm man erstmals auf gepolsterten Sofas Platz. Heute rollen viele standardisierte Möbel vom Fließband, und so landet ein altes Stück eher auf dem Sperrmüll als zur Reparatur bei einem Handwerker. „Vor allem Liebhaberstücke oder sehr hochpreisige Möbel finden den Weg zu uns“, sagt Raumausstattermeister Oliver von Zepelin, Chef des exklusiven Einrichtungshauses. Ihm schicken Kunden Fotos ihrer Alltagsbegleiter für eine erste Begutachtung. Meist reicht von Zepelin, der selbst oft in der Werkstatt anzutreffen ist, ein Blick, um den Zustand eines Möbels und die benötigte Stoffmenge abzuschätzen.
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Die Messlatte ist immer das Original
Trotzdem können seine Mitarbeiter und er nie nach Schema F vorgehen. Ein 100 Jahre altes Sofa, klassisch mit Sprungfedern geschnürt, stellt andere Anforderungen als ein moderner Designersessel aus Leder. Für Manuel Gehrig liegt darin der Reiz: „Kommt ein Objekt mit einer ungewöhnlichen Form oder komplexen Ziernaht, freue ich mich, denn bei solchen Projekten kann ich viel lernen.“ Diese individuelle Herangehensweise hat ihren Preis. Für den Neubezug eines Ohrenbackensessels etwa müssen Kunden mit rund 1300 Euro rechnen. Allein ein hochwertiger Stoff kann schon mal 500 Euro kosten, pro Meter versteht sich.
Etwa zwei Arbeitstage wird Gehrig für den Sessel, an dem er gerade sitzt, aufwenden. Und nicht nur er: Gleich mehrere Kollegen arbeiten zusammen an dem Möbel. Nach dem Zerlegen beginnt die eigentliche Arbeit. Die Handwerker nehmen den alten Bezug als Vorlage und fertigen Schablonen aus Karton daraus. Gut 30 verschiedene Formen liegen am Ende vor ihnen. Zur Sicherheit werden die Maße noch einmal am Möbel überprüft. Die kleinste Abweichung rächt sich später.
Manchmal hat Gehrig ein Möbelstück vor sich, das vor Jahren schon einmal aufgearbeitet wurde. Dann angelt er sich in einer fensterlosen Kammer, von deren Decke Hunderte der selbst gefertigten Schablonen baumeln, die richtige Vorlage und hat einen Arbeitsschritt gespart.
Mit Schneiderkreide werden die Umrisse der Schablonen auf den Stoff übertragen und zugeschnitten. Anschließend werden die Schnittkanten mit einer Overlock-Nähmaschine eingefasst. Das ist der Part, der meist Nina Bossert zufällt. Im Moment kümmert sich die Chefnäherin um den Bezug für die zweite Armlehne an einer weiteren Nähmaschine, die an Starkstrom angeschlossen ist. Mit dieser Power kann das Gerät selbst Leder bearbeiten.
Nach Stunden der Arbeit ist der alte Sessel wie neu
Bossert lässt den eingefassten Stoff locker unter den Nähfuß gleiten und verbindet so die einzelnen Teile miteinander. Als Zierelement arbeitet sie eine helle Kederschnur aus Hartgummi ein. Der farblich abgesetzte Keder bringt die Konturen der Lehne später zur Geltung.
Währenddessen bereitet Manuel Gehrig die Lehne für den Bezug vor. Das Holzgestell hat er bereits mit Schaumstoff verkleidet. Nun sprüht er Klebstoff auf und drückt ein dünnes Polyestervlies an. Die Polsterung besteht aus mehreren Schichten und orientiert sich am Originalmöbel. Allerdings: „Vieles ist Bauchgefühl und Erfahrung“, sagt Gehrig. Als Füllstoff kommen auch andere Materialien infrage, Watte etwa, Palmfaser, Naturlatex oder Rosshaar.
Bis die Arbeiten abgeschlossen sind, werden noch einige Stunden vergehen. Erst wenn alle Teile neu gepolstert und bezogen sind, wird das Möbel wieder zusammengeschraubt. Der fertige Sessel wirkt dann wie neu. Jetzt wissen Gehrig und seine Kollegen, dass sie gute Arbeit geleistet haben. Denn, wie es ihr Chef Oliver von Zepelin erklärt: „Die Messlatte ist für uns immer das Original.“
KONTAKT: Oliver von Zepelin – wohnen & handwerk Kallhardtstraße 30, 75173 Pforzheim Tel. 0 72 31/2 57 23 von-zepelin.de