... Blase drückt, kommt Ausflugsguide José ganz schön ins Schwitzen. Jeder Kontakt mit Einheimischen ist für die deutschen Schiffsurlauber eigentlich tabu – und öffentliche Toiletten ebenfalls. Das soll verhindern, dass irgendwer der festen Gruppe sich das Virus einfängt.
Begonnen hat die Reise drei Tage vor Abflug im Hinterhof eines Helios-Klinikums. Schilder weisen den Weg zum PCR-Test für Kreuzfahrtpassagiere. Tui, Aida, Hapag- Lloyd und Nicko Cruises haben einen Vertrag mit dem Klinikkonzern. 50 Reisewillige warten an diesem Nachmittag auf ihre Testung. Ein braun gebrannter Senior mit Goldkettchen war Ostern schon auf Mallorca und will jetzt aufs Schiff. Eine sechsköpfige Familie samt Oma im Rollstuhl ist gekommen und auch ein junges Gastronomen-Pärchen. „Wir haben Berufsverbot. Da können wir auch wegfahren“, sagt er. Der Preis von 800 Euro für die Woche auf See sei unschlagbar.
Dafür muss man zeitraubend Formulare ausfüllen: Das Schiffsmanifest, einen Online-Checkin, Gesundheitsdaten für die spanischen Behörden. Aber die voll besetzte Chartermaschine nimmt von Düsseldorf dann doch planmäßig Kurs auf die Kanaren. Im Flughafen von Las Palmas herrscht Grabesstille. Nur 1000 deutsche Kreuzfahrturlauber landen hier heute neben wenigen spanischen Reisenden. Lange Kontrollen gibt es nicht. Eine Dame scannt den QR-Code, mit dem die Anmeldung beim Spain Travel Health Portal bestätigt wird. Kaum zwei Stunden später betreten die Reisenden nach einem Infrarot-Scan zur Fiebermessung am Hafen und den üblichen Sicherheitsprozeduren die „Mein Schiff 2“. „Sehnsucht“ ist auf den Bug gepinselt. „Willkommen zuhause“ steht über der Gangway.
Das neue Urlaubsleben an Bord
Es ist ein Zuhause wie aus einer verloren geglaubten Welt. Schon frühmorgens wippen am nächsten Tag 14 deutsche Rentnerinnen bei der Wassergymnastik mit bunten Auftriebshilfen im großen Pool. Auf Deck 14 drehen zumeist jüngere Joggerinnen und Jogger ihre Runden auf der 480 Meter langen Laufstrecke. Im Restaurant „Atlantik“ servieren Kellner wenig später Spiegeleier, Pancakes und Orangensaft am Platz. Auch das große Büffet-Restaurant „Anckelmannsplatz“ ist wie gewohnt geöffnet. Allerdings darf man sich nicht selbst bedienen. Man sagt dem Servicepersonal stattdessen, was man essen oder trinken möchte. Der Präsentation der Speisen kommt fraglos zugute, dass nicht Hunderte Hände in den Auslagen herumstochern.
Ein Shopping-Bummel über den „Neuen Wall“ oder ein Friseurbesuch ohne Schnelltest, ein Kochkurs oder eine Malstunde sind anschließend auch kein Problem. Nur in der Bord-App muss man sich möglichst frühzeitig anmelden, denn die Plätze sind jeweils begrenzt. An den Pools gibt es Eis und Cocktails. Auch der Kabinenservice wird wie gehabt zweimal täglich angeboten. Niemand muss also auf den gefalteten Schwan aus Handtüchern oder auf eine Schlange aus Bettwäsche verzichten. Bei der reduzierten Auslastung von maximal 60 Prozent verkauft Tui Cruises ausschließlich Balkonkabinen. Ausgiebiges Lüften ist damit täglich gesichert.
Sogar ein Besuch in der „Schaubühne“ und dem zweistöckigen Bordtheater ist möglich. Platzanweiser füllen die Ränge zu einem guten Drittel mit viel Abstand zueinander und zur Bühne. Im Theater genießen am ersten Abend die Opernsänger Roman Grübner und Andreas Schmidt alias „Tante Woo and Robin Who“ den Kontakt zum Live-Publikum. Vor der Pandemie war das Duo mit seinem Udo-Jürgens-Programm Dauergast im Hamburger Schmidt Theater an der Reeperbahn. „Wir danken Ihnen allen, dass Sie da sind“ sagt Schmidt in der Frauenrolle der fiktiven Bühnendiva „Tante Woo“. Ein Gänsehautmoment. Nur auf größere Bühnenensembles wird derzeit aus nachvollziehbaren Gründen noch verzichtet.
Das Sicher ist sicher-Konzept
Hinter den Kulissen geht es nüchterner zu. „Es ist herausfordernd“, sagt General Manager René Peters über das aktuelle Geschäft. 20 Jahre ist der 66 Jahre alte Südafrikaner auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Aber so viel zu beachten war noch nie. Jeder muss morgens zum kontaktlosen Fiebermessen. In den Restaurants gibt es eigenes Personal, das die Gäste freundlich aber bestimmt zum Händewaschen auffordert. Und wenn jemand seine Maske vergisst, taucht Minuten später wie aus dem Nichts ein Mitarbeiter auf, der daran erinnert. Alle öffentlichen Bereiche sind videoüberwacht. Kompromisse gebe es nicht, sagt Peters. Gäste, die per Taxi zum Hafen fuhren, um schneller an Bord zu kommen, sahen das Schiff vom Kai aus ablegen. Zu groß ist die Sorge vor eingeschleppten Infektionen. „My way or gangway“ wird an Bord als Credo des sonst so aufgeräumten Kapitäns Simon Böttger kolportiert.
Unten auf Deck 2 ist das Reich von Wolfgang Richard Stremmel. Der Notfallmediziner leitet seit Mitte Januar das Bordhospital. Eine gut gefüllte Schiffsapotheke, ein Labor mit PCR-Sequenzierer, zwei Krankenzimmer, dazu zwei Intensivbetten mit Beatmungsgerät und ein OP gehören dazu. Falls doch etwas passiert, ist vorgesorgt. In dieser Woche bleiben die Betten leer. Für Müßiggang bleibt Stremmel und seinem Team trotzdem wenig Zeit. Jeden Dienstag testen sie in der Sporthalle die 750 Mitarbeiter, jeden Mittwoch bis zu 1400 Gäste. „Wir sind wie Tübingen auf See“, sagt Stremmel über das Leben an Bord. Dabei ist allen klar, wie dünn das Eis ist, auf dem sie unterwegs sind. „Doch wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass unsere Maßnahmen auch bei den vereinzelten positiven Fällen an Bord greifen“, sagt der Mediziner.
Unter den Gästen kommen keine Sorgen auf. Im Gegenteil: Dutzende verlängern kurzfristig, Einige sind schon zum zweiten oder dritten Mal während der Krise hier. „Was soll ich denn zuhause“, sagt eine Rentnerin, „hier bin ich sicherer als daheim“. Einige Kinder gehen nach dem Ende der Osterferien an Bord sogar nahtlos ins Homeschooling über, ohne auf den Pool verzichten zu müssen. Dass aktuell nur drei statt sonst fünf Häfen angelaufen werden, stört niemanden. Drei Tage kreuzt die „Mein Schiff 2“ im Windschatten der Kanaren auf dem spiegelglatten, tiefblauen Atlantik. Allerdings haben Gäste bei Kapitän Böttger angefragt, wo denn genau dieses französische Seebad „Seetage“ liege, das bei solcher Gelegenheit im Tagesprogramm genannt sei.