... auf und ab. Das Pferd verspannt, die Tritte werden kürzer. Hier stimmt etwas nicht. Mit der Balance, der Fitness oder der Beweglichkeit des Reiters. Oder aber mit der Losgelassenheit des Pferdes. Die ist nämlich zwingend notwendig, um überhaupt aussitzen zu können. Allerdings wird ein Reiter, der sich beim Aussitzen verkrampft auch immer die Losgelassenheit seines Pferdes beeinträchtigen. Ein Teufelskreis. Die gute Nachricht: Jeder kann lernen, gut auszusitzen. Die vorerst schlechte: Es gibt unzählige Ursachen, die genau das verhindern.
Bequem sitzen
„Aussitzen muss bequem sein. Wenn es unbequem wird, muss man es erst einmal abbrechen und sich überlegen, an welchen Stellschrauben man drehen muss“, sagt Thies Kaspareit, Leiter der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), denn: „Gutes Leichttraben ist besser als schlechtes Aussitzen“, sagt der Ausbildungsexperte. Deshalb sei erst einmal nichts dagegen einzuwenden, überwiegend leichtzutraben. Versammelnde Übungen, wie Übergänge oder Tempounterschiede innerhalb der Gangart sind nämlich auch im Leichttraben möglich. Und ein Reiter, der im Aussitzen nicht locker in der Bewegung des Pferdes mitschwingt, gegen den Takt sitzt oder generell verspannt, schadet damit nicht nur seinem Pferd, sondern wird auf Dauer selbst Rückenschmerzen bekommen.
„Wenn ein Pferd beim Leichttraben besser vorwärtsgeht als beim Aussitzen, kann die Ursache nur der Reiter sein.“
Thies Kaspareit
Aber warum muss man überhaupt aussitzen? „Beim Aussitzen kann der Reiter sein Pferd noch sicherer mit den Hilfen einrahmen“, begründet Kaspareit. „Das ist aber nur hilfreich, wenn man dabei genauso locker bleibt wie beim Leichttraben“, fügt er hinzu. Gutes Aussitzen ist nämlich auch für das Pferd angenehm. Für Ulrich Schichta, Leiter der Landeslehrstätte in Vechta, ist das Aussitzen essentiell: „Für eine gute Ausbildung ist es zwingend notwendig, auszusitzen“, lautet sein Statement. „Man kann nur wirklich fein und korrekt einwirken, wenn man aussitzt, denn die Gewichtshilfen kommen vor den Schenkel- und Zügelhilfen“, begründet er. Auch Lektionen wie Volten oder Kehrtvolten sind nur im Aussitzen korrekt zu reiten, findet der Dressurausbilder. „Nur so kann der Reiter sicherstellen, dass sein Pferd auch wirklich gerade ist. Bekommt er das nicht hin, hat die Lektion keinen Wert“, sagt Schichta.
Einfach sitzenzubleiben ist jedoch leichter gesagt, als getan. „Pferde bewegen sich dreidimensional“, erklärt Bewegungstrainer Eckart Meyners. Damit ein Reiter also der Bewegung eines Pferdes folgen kann, muss in erster Linie sein Becken beweglich sein. Es muss sich gleichermaßen nach links und rechts, nach vorne und hinten sowie nach oben und unten bewegen können. Denn je nachdem, welches Hinterbein des Pferdes sich gerade vom Boden abdrückt, bewegt sich dessen Rücken einseitig nach oben.
Man kann die Bewegung des eigenen Beckens im Trab mit einer einfachen Trockenübung nachvollziehen, die Susanne von Dietze in ihrem Buch „Rücksicht auf den Reiterrücken“ beschreibt: Stellen Sie sich gerade hin, die Füße hüftbreit nebeneinander und fassen Sie sich mit den Händen an die breiteste Stelle der Hüfte. Dann knicken Sie abwechselnd mit je einem Knie ein. Sie werden spüren, wie sich Ihr Becken senkt und wieder hebt. Manchen Reitern hilft es beim Aussitzen, wenn sie sich bewusstmachen, welche Bewegung ihr Becken beim Aussitzen im Trab machen muss.
Problemzone Becken
Eigentlich bewegt sich auch der Mensch dreidimensional. Allerdings nur, wenn er geht oder läuft. Weil wir uns aber zu wenig bewegen und zu viel sitzen – nicht auf dem Pferd, sondern im Auto, auf dem Bürostuhl oder auf der Couch – sind häufig Becken und Kreuz-Darmbein-Gelenk blockiert. „Wenn das Kreuz-Darmbein-Gelenk nicht frei ist, kann der Reiter sich nicht dreidimensional bewegen. Damit empfindet der Reiter die Bewegung des Pferdes als stoßend und macht sich fest“, erklärt Meyners. Dabei geht ein festes Becken mit harter Handeinwirkung einher. „Hand und Becken korrespondieren immer“, sagt er.
Blockierte Gelenke sind aber nicht das einzige Problem, wie Meyners verdeutlicht: „Um das Becken herum neigen Muskeln zur Verkürzung und Abschwächung.“ Die tiefe Rückenmuskulatur ist häufig verkürzt, ebenso die vorderen Hüftbeuger und die Adduktoren, die auch als Klemm-Muskeln bekannt sind. All das lässt das Becken nach vorne kippen. Der Reiter kann nicht mehr in der Bewegung des Pferdes mitschwingen.
Die Bauchmuskeln, die seitlichen Rumpfmuskeln und die Gesäßmuskulatur sind hingegen häufig zu schwach. „Das führt dazu, dass der Reiter sich nicht mehr optimal aufrichten kann“, führt Eckart Meyners weiter aus. Der Weg aus der Misere: verkürzte Muskulatur dehnen und geschwächte Muskulatur stärken. Konkrete Übungen, wie Sie die Schwachstellen des Körpers gezielt trainieren können, finden Sie ab Seite 36.
Bewegungstrainer Eckart Meyners hat in seiner jahrelangen Praxis schon viele Reiter aussitzen sehen. Ihm fallen dabei häufig die gleichen Fehler auf: „Ich sehe immer wieder, dass die Reiter sich im Becken feststellen und den Oberkörper leicht hinter die Senkrechte nehmen. Dann stoßen sie natürlich ins Pferd“, beschreibt er. Er hat festgestellt, dass viele Sportler im Grunde gar nicht wissen, welche Bewegungen ihr Körper machen muss. So haben viele Reiter keine Vorstellung davon, was Mitschwingen eigentlich bedeutet: „Mitschwingen wird häufig falsch verstanden und umgesetzt durch Schieben und Sattel auswischen“, macht Eckart Meyners klar und stellt richtig: „Mitschwingen heißt ‚verschmelzen mit dem Pferd‘ und das darf nicht aktiv passieren, sondern muss zunächst passiv sein.“
Thies Kaspareit beschreibt: „Im Grunde muss der Reiter die Bewegung des Pferdes zulassen und ihm helfen, im Gleichgewicht zu bleiben. Insofern verbietet sich das Sitzen hinter der Senkrechten und es verbietet sich starkes Schieben oder Quetschen.“ Denn damit bringt er sein Pferd nur aus dem Takt und aus der Balance.
Doch nicht alle Reiter sitzen zurückgelehnt auf dem Pferd. Bei manchen fällt der Oberkörper auch nach vorn. Das geht häufig mit dem Spaltsitz einher. Auch in dieser Position ist gutes Aussitzen – also ein lockeres Mitgehen in der Bewegung des Pferdes – nicht möglich. „Gerade und im Schwerpunkt zu sitzen, ist im Grunde Physik“, sagt Thies Kaspareit. „Wer vor der Bewegung sitzt, muss muskulär dagegenhalten, um nicht vornüberzufallen. Wenn der Oberkörper nach hinten geneigt ist, muss der Reiter klemmen, um nicht hinten über die Kruppe zu fallen. Die Auswirkungen spürt das Pferd dadurch, dass der Reiter eine Gegenreaktion machen muss, um sich halten zu können. Dabei sitzt er tendenziell gegen die Bewegung des Pferdes.“ Die Folge: Das Pferd fühlt sich nicht mehr wohl und schwingt nicht mehr locker durch.
Der Oberkörper der Reiterin fällt nach vorn. Der Sitz verkrampft.
FOTO: C. SLAWIK
Falsche Vorstellungen vom Mitschwingen: Der Reiter fällt nach hinten.
FOTO: C. SLAWIK
Alles im Lot: Ohr, Schulter, Becken und Ferse bilden eine Linie.
FOTO: S. LAFRENTZ
Ulrich Schichta beschreibt das perfekte Aussitzen folgendermaßen: „Wer richtig aussitzt, wird von der Bewegung des Pferdes so mitgenommen, dass er sie kaum wahrnimmt, obwohl sie schwungvoll und elastisch ist.“ Er hat schon häufig beobachtet, dass Reiter im Leichttraben viel zu schnell unterwegs sind und dann im Aussitzen „zwei Gänge runterschalten“. Für den Dressurausbilder ist der Fall klar: „Das hat mit der Balance zu tun. Eigentlich muss der Reiter in der Lage sein, sich dem idealen Tempo des Pferdes anzupassen.“
Schwierigkeiten beim Aussitzen sind keinesfalls nur ein Problem von Freizeitreitern, die sich nach Feierabend in den Sattel schwingen. Selbst Profi-Reiter haben manchmal Schwierigkeiten damit. Grand Prix-Reiterin Jessica von Bredow-Werndl verrät: „Ich hatte mal ein Pferd, das unheimlich schwer zu sitzen war. Ich hatte nur zwei Möglichkeiten: entweder den Trab so klein reiten, dass ich ihn sitzen kann – was sehr schade gewesen wäre um die tolle Bewegung des Pferdes – oder aber ich muss an mir arbeiten.“ Sie entschied sich für die zweite Option, macht seither Yoga und Fitness-Workouts, um fit für ihre Pferde zu sein. „Zehn bis 25 Minuten täglich oder auch nur drei Mal die Woche reichen schon aus und der Sitz wird sich radikal verbessern“, verspricht sie. Ihr Rezept für gutes Aussitzen: „Man braucht einen starken Rumpf. Die obere Bauchmuskulatur muss man anspannen, aber trotzdem noch in den Bauch atmen und die untere Bauchmuskulatur loslassen können.“ Außerdem rät sie: „Immer wieder in den Spiegel schauen, sich selbst korrigieren und selbstkritisch bleiben.“
„Mitschwingen heißt, ‚verschmelzen mit dem Pferd‘ und das darf nicht aktiv passieren, sondern muss zunächst passiv sein.“
Eckart Meyners
Junge Pferde hingegen sollte man nicht zu früh aussitzen, lautet die verbreitete Meinung. Thies Kaspareit sieht das nicht so pauschal: „Für das Pferd sollte es sich gar nicht so anders anfühlen, ob ein Reiter aussitzt oder leichttrabt“, sagt er und meint: „Ein wirklich gut und geschmeidig in der Bewegung sitzender Reiter kann auch bei einem Jungpferd schon relativ früh aussitzen.“ Dennoch sollte das Leichttraben zu Beginn der Ausbildung vorherrschen, stellt er klar. Ein Reitanfänger sollte hingegen erst mit dem geschulten Aussitzen beginnen, wenn er in der Lage ist, sich auf dem Pferd auszubalancieren und mitzuschwingen, findet Kaspareit. Dabei spielt das passende Pferd eine große Rolle.
Denn es gibt tatsächlich sitzbequeme und weniger sitzbequeme Pferde. „Kurze Pferde sind schwerer auszusitzen als längere, deren Rücken mehr schwingt“, erklärt Ulrich Schichta. „Auch Pferde mit geradem Rücken und geradem Hinterbein, denen es schwerer fällt, unter den Schwerpunkt zu treten, sind schwerer zu sitzen. Gleiches gilt für ein Pferd, das sich auf die Hand legt, weil es mit seinem Hinterbein nicht unter den Schwerpunkt fußt“, sagt der Dressurausbilder.
Dennoch sollte der Reiter es nicht immer auf sein Pferd und dessen schwungvolle Bewegung schieben, wenn das Aussitzen Probleme macht, wie Thies Kaspareit erklärt: „Schwung ist eigentlich etwas Angenehmes für den Reiter. Schwungvolle Bewegungen lassen sich gut sitzen, wenn der Reiter eben gut mitschwingt.“
Dicke Pauschen fixieren
Manchmal passen aber auch Pferd und Reiter bewegungstechnisch einfach nicht zusammen, wie Eckart Meyners erklärt: „Wenn ein relativ kleiner Reiter auf einem großrahmigen Pferd sitzt, das unheimlich schwingt, dann treffen Bewegungsamplituden aufeinander, die nicht miteinander korrespondieren.“ Auch der Sattel als Verbindungsstück zwischen Reiter und Pferd spielt beim Aussitzen eine wichtige Rolle. „Ein Sattel, in dem man zu hoch über dem Pferd sitzt, verhindert die Einwirkung. Man möchte ja nah am Pferd sitzen“, nennt Ulrich Schichta einen Faktor. Sättel mit dicken Pauschen, in denen sich viele Reiter besonders sicher fühlen, sind kontraproduktiv. „Der Reiter muss ein bisschen Platz im Sattel haben, um sein Gleichgewicht zu finden. Große Pauschen am Sattel verhindern dieses Gefühl, die Mitte zu finden“, sagt Thies Kaspareit.
Letztendlich ist gutes Aussitzen eine Mischung aus vielen Faktoren: Das Pferd muss losgelassen sein, der Reiter ausbalanciert, beweglich und fit. Er muss in der Lage sein, sich auf die Bewegung seines Pferdes einzulassen, sich psychisch und physisch loslassen können. Verbissenheit oder Angst stehen einem lockeren Sitz ebenso im Weg wie falsche Vorstellungen über gutes Aussitzen und Mitschwingen. „Erst wenn der Reiter wirklich zum ausbalancierten Sitzen kommt, kann er überhaupt reell einwirken“, stellt Ulrich Schichta klar.
Auf den nächsten Seiten verraten unsere Experten ihre besten Übungen und Tipps für einen losgelassenen, unverkrampften und dennoch stabilen Sitz – für ein Aussitzen wie auf Wolken.