... der Leyen mit falscher E-Mail-Signatur ist!« Ana Felef treten die Schweißperlen auf die Stirn. »Fuck!«, schreit sie und grinst in der nächsten Sekunde sehr breit. »Haha«, hüstele ich verlegen und lese meine erste Frage von einem College- Notizblock ab, der mir plötzlich in dieser Umgebung eklig vorkommt. »Wie kann es aber sein, dass die Baerbock-Kampagne so viele Fehler gemacht hat?« Felefs Kopf dreht sich ruckartig in meine Richtung, nachdem er kurz auf ihre Brust gesunken und zur Seite geknickt war. »Fehler?! Keine Fehler. Das war alles strategically mandated.«
Beschämt stochere ich mit meinem billigen Plastik-Kugelschreiber in den Löchern meines Notizblocks und murmele unsicher: »Ähm, der Lebenslauf war dann also auch …« Felef fährt herum, nachdem sie für einen Moment darin versunken war, an die Glasscheibe des hinter ihr in die hellgrau-glattgestrahlte Betonwand des Offices eingebetteten Aquariums mit dem blutenden Finger eine komplexe Formel zu malen. »Absolutely!«, unterbricht sie mich. »Wer heutzutage in seinem CV kein retroactive upskilling hinkriegt, kann doch gleich bleiben, wo der pepper growt! Annalena ist für das Kanzleramt ein strong hire! Wenn die Bürger den CV checken, müssen die sehen, dass Baerbock für den agile workflow steht, wo du eben permanent task-based optimization leisten musst.« Felef steht jetzt auf ihrem Schreibtisch und versucht vergeblich, die Halogenstrahler, die in die Decke eingelassen sind, durch schnelle Faustschläge zu dimmen. »Hätte die Kampagne zu viel Zeit in Perfektion investiert, wär das eine klare red flag gewesen. Konservative Korinthenshitter checken alles tausendmal, aber die Grünen sind ’ne 21st century love brand … da muss der Lebenslauf FLUID – SEIN – KÖNNEN!«
»Twitter mentions, social media shares, alles durch die Decke.«
Langsam und – wie ich hoffe – unmerklich rolle ich im sündhaft teuren Vitra-Besucherstuhl, auf dem ich nur noch mit einem Anflug von erklärlichem Selbsthass sitzen kann, Stück um Stück weg vom Schreibtisch, denn Ana Felef balanciert immer unsicherer auf ihren recht hohen Absätzen und hat mittlerweile auf der matt-ledernen Schreibtischunterlage immer tiefere quadratische Abdrücke eingestempelt sowie das MacBook Air gepfählt. »Pla-pla… giate?«, hauche ich, halb in der Hoffnung, Ana Felef würde es nicht hören.
Doch im nächsten Augenblick springt sie vom Schreibtisch, packt mich an den Schultern und kommt mir sehr nahe. Ich rieche ihr Parfüm (Armani Sí?). Sie flüstert: »Hätte sonst irgendjemand über das Buch geredet? Ohne die Plagiatsaffäre? No way! Wir haben den Plagiatsjäger selber aktiviert. Das hat die share of voice um 200 Prozent erhöht! Twitter mentions, social media shares, alles durch die Decke. Fuck the content, feed the algorithm, weißte?« Ich schlucke, zweimal, in der fehlgeleiteten Hoffnung, dass ich dadurch das Einatmen ersetzen kann. »Aber Baerbock …« – »›Aber Baerbock‹ – voll ineffizient, wie du das schon sagst! Du kannst einfach die ersten zwei Buchstaben vom Namen switchen und hast ›Aberbock‹, dann sind vier Buchstaben und zwei Silben wegrationalisiert, win-win!«
Felef sinkt in sich zusammen, der Schraubstockgriff ihrer Hände wird schwächer und ich nutze die Chance, um zwischen ihr und meinem Stuhl ungelenk auf die schwarzen Marmorkacheln des Fußbodens zu rutschen. Behutsam robbe ich, den Blick gebannt auf Felefs mittlerweile blasse Lippen gerichtet, die immer wieder zucken, Richtung Tür. Doch dann kann ich nicht anders. In bester Talkshow-Endfragerunde-Tradition muss ich wissen: »Wie viel Prozent wird Baerbock am 26. September holen?« Felefs fahriger Blick irrlichtert im Raum umher, ohne mich zu erfassen, aber mit bemerkenswerter Klarheit sagt sie: »120 Prozent. Easy. Nur dann …«, und fährt plötzlich ohrenbetäubend laut fort, »… stimmt bei dem Honorar, das wir fürs Consulting nehmen, der RETURN ON FUCKING IN- VESTMENT!«
ANGELEY ECKARDT