REPORT
Im Jahr 1900 ernährte ein Landwirt noch 4 Personen.Heute sind es 144
Herkömmliche Tierhaltung
Der Druck, der auf Landwirten lastet, ist enorm: Sie sollen nachhaltig, umweltschonend und tiergerecht produzieren, aber die Bevölkerung auch gesund und preisgünstig versorgen. Und, nicht ganz unwichtig: Das Ganze soll sich lohnen – die Bauern müssen damit Geld verdienen. Wie kann das gelingen? Weltweit suchen Wissenschaftler derzeit nach der Formel für die Landwirtschaft der Zukunft. Im Folgenden erklären Experten, vor welchen Herausforderungen die Höfe zurzeit stehen, was sich ändern muss und was jeder Einzelne als Verbraucher tun kann, um gemeinsam einen neuen Kurs einzuschlagen.
Ackern für unser Essen ist ein hartes Geschäft. Anneke Kreißig kennt das von klein auf. Die 28-Jährige ist auf einem Bauernhof groß geworden. Ein Betrieb mit 280 Sauen im niedersächsischen Dorf Drakenburg. Heute steht die Tochter, die Landwirtschaft studiert hat, vor der Entscheidung: Übernehme ich den Betrieb und führe ihn in die dritte Generation, oder lasse ich es und verdiene mein Geld als Unternehmensberaterin? „Ich mag die Arbeit auf dem Hof sehr, aber der Alltag mit den vielen Auflagen ist schwierig geworden und die Zukunft ungewiss“, sagt Kreißig.Der Hof ihrer Eltern, der jedes Jahr 8800 Ferkel verkauft, gehört deutschlandweit eher zu den kleineren unter den konventionellen. Die Gewinnmarge liegt nur bei etwa drei bis fünf Prozent, ein vergleichsweise niedriger Wert für den hohen finanziellen und körperlichen Einsatz. Auch die globale Konkurrenz drückt auf die Preise.
Ökologische Tierhaltung
Ökologische Landwirtsch aft
Die Fehler der Vergangenheit
Die Generation von Anneke Kreißig steckt in einer herausfordernden Situation. Seit den 1950er-Jahren ging es in Sachen Ackerbau und Viehzucht jahrzehntelang nur um Effizienz. Die Erträge, die Flächen – alles sollte mehr werden. Heute wissen wir, wie sehr unsere Natur darunter leidet: Die Erde ächzt. Die Massentierhaltung, die intensive Bearbeitung immer größer werdender Anbauf lächen, die schwindende Vielfalt: Das alles verschmutzt unsere Gewässer, zerstört Böden, belastet Luft und Klima und raubt Tieren den Lebensraum. Experten sind sich einig: Die nächsten 50 Jahre kann es auf keinen Fall so weitergehen!
Das Image der Bauern ist derzeit nicht das beste. Zu Unrecht, denn Deutschland belegt in Bezug auf Lebensmittelqualität in einem weltweiten Ranking einen der oberen Plätze. Zudem setzen sich hierzulande immer mehr konventionelle Landwirte für das Tierwohl und den Umweltschutz ein. „Wir stecken mitten im Wandel hin zur Ökologisierung“, sagt Anneke Kreißig. „Die Politiker haben viele Ideen, ständig gibt es neue Verordnungen, aber bei der Umsetzung fehlt oft die Unterstützung.“ So gibt es Maßnahmen der EU, die finanziell gefördert werden, aber von den Kommunen hängt es ab, ob die Bauern diese auch realisieren können. Ein Beispiel: Kreißig und ihre Kollegen müssen fürs Tierwohl Stallf lächen vergrößern, aber sie erleben, dass es auch mal fünf Jahre dauert, bis man eine Baugenehmigung erhält. „So fällt es wirklich schwer, wirtschaftlich zu arbeiten – gerade in diesen Zeiten, in denen auch Bauen immer teurer wird“, sagt Kreißig.
Die junge Landwirtin wäre bereit für den großen grünen Umbruch – so wie viele ihrer Kollegen. Doch von der Politik werden sie dabei auf EU- und Deutschlandebene eher halbherzig begleitet. „Wenn wir investieren, brauchen wir eine langfristige Perspektive“, sagt Kreißig. Zurzeit animiert die EU die Betriebschefs mit ihren Fördermilliarden vor allem dazu, möglichst viele Hektar zu bewirtschaften. Aus dem Brüsseler Agrartopf gehen jährlich etwa sechs Milliarden Euro nach Deutschland. „Je mehr Fläche ein Landwirt hat, umso mehr Geld erhält er“, sagt Christian Rehmer, Leiter Agrarpolitik beim BUND. „Artenvielfalt spielt dabei keine Rolle. Viel besser und wichtiger wäre es, Betriebe zu unterstützen, die sagen: Ich möchte besonders umwelt- oder klimaschonend produzieren. Der Kurswechsel kann nur gelingen, wenn die Bauern vernünftig für ihre Umweltschutzleistungen belohnt werden.“
Familie Kreißig betreibt nicht nur Viehzucht, sie bewirtschaftet zudem 75 Hektar Ackerf läche, um Weizen, Gerste, Roggen anzubauen, seit einigen Jahren auch etwas Mais. Mit den Kolben liegt sie im Trend. Keine Überraschung, denn die EU fördert seit 2008 beispielsweise Biogasanlagen mit nachwachsenden Rohstoffen. „Wir haben Regionen in Deutschland, wo auf jedem zweiten Hektar Mais wächst“, sagt BUND-Experte Rehmer. „Das ist ein großes Problem, denn wir brauchen Vielfalt, also verschiedene Pflanzen, die zu unterschiedlichen Zeiten geerntet werden, damit Wildtiere wie Rehe und auch Insekten in den Feldern Nahrung und Unterschlupf finden.“ Zudem laugen die Maispflanzen die Böden aus, es kommt zu Erosion.
Etwa 6000 Pflanzenarten hat der Mensch für seine Ernährung kultiviert. Doch nur noch 9 Arten liefern heute zwei Drittel der globalen Ernte
Suche nach Alternativen
„Die Situation ist ökologisch furchtbar, aber eben ökonomisch interessant“, sagt BUND-Referent Rehmer. So donnert etwa in Schleswig-Holstein zur Erntezeit im Herbst ein Riesentrecker nach dem anderen über Landstraßen Richtung Biogasanlage. Wo man einmal mit Mais angefangen hat, kann man so schnell nicht mehr damit aufhören, denn Biogasanlagen müssen wegen der vereinbarten Laufzeiten meist 20 Jahre „gefüttert“ werden. Das Bundesumweltministerium steuert inzwischen gegen: Per Gesetz hat es die Anbauf lächen für Mais zur Gasgewinnung um über die Hälfte reduziert. Die Landwirte mussten nach Alternativen suchen. Viele bauen häufiger Wildpflanzen an, die ebenfalls Biomasse für Gasanlagen liefern. Das kann als eine gute Nachricht für Tier- und Artenschutz und ein Schritt in die richtige
Herkömmliche Landwirtschaft
Landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland 1991 – 2019
Ungefähr die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Das sind etwa 18,1 Millionen Hektar. Rund 266.000 Betriebe erzeugen Nahrungs- und Futtermittel – über 50 Prozent weniger als noch vor 30 Jahren Richtung betrachtet werden – aber nicht als eine nachhaltige Strategie für die Zukunft.
Ökologisch in die Zukun ft
Wer wird heute noch Bauer?
Wichtig ist dafür auch die Frage: Wer will in Zukunft überhaupt noch Landwirtschaft betreiben? Viele Bauern fühlen sich durch Gesetze und Vorschriften gegängelt, klagen über hohe Hindernisse im Arbeitsalltag – und über zu niedrige Gewinne. Das alles führt zum Sterben vieler Höfe (siehe Grafik auf Seite 9). „In unserem Dorf gab es früher 18 Betriebe, heute sind wir zu dritt“, sagt Anneke Kreißig. „Viele junge Landwirte sind unsicher. Die meisten von ihnen sind sehr gut ausgebildet, viele haben studiert. Das sind Leute, die auch in der Wirtschaft gute Jobs finden würden. Und da ergibt sich für viele die Frage: Ist das Leben auf dem Hof noch erstrebenswert – oder könnte ich mein Geld doch woanders verdienen?“ Anneke Kreißig mag so schnell nicht aufgeben. Sie treibt der Gedanke um, ob es für ihre Familie Sinn machen würde, von konventioneller Produktion auf Bio umzustellen. So würde man fürs Schweinef leisch einen höheren Preis erzielen. Pro Tier kostet die Neuausrichtung aber ungefähr 4000 Euro. Das macht bei ihrem Bestand von 280 Sauen etwa 1,12 Millionen Euro. Die Rechnung ist einfach, doch mit diesem Ergebnis bleibt die Entscheidung schwer.
Ackern mit Visionen
Wie kann es gelingen, Ökologie und Ökonomie in Zukunft dauerhaft in Einklang zu bringen? Weltweit forschen Experten an Lösungen. Etwa Nahleen Lemke: Sie ist Wissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg und entwickelt derzeit eine Software, die es Anneke Kreißig ermöglichen würde, den Hof ihrer Eltern zu übernehmen und nebenbei einen weiteren Job anzutreten. Von dieser Arbeitsstelle aus könnte sie dann eine Drohne starten, die ihre Felder überwacht. Auf dem Acker würden Roboter derweil Unkraut zwischen der Gerste jäten. Noch ist das Zukunftsmusik und erst in etwa 20 Jahren möglich. Nahleen Lemke entwirft die Vision weiter: „Auf einem nahen Hügel düngen Maschinen vollautomatisch Weizen. Sensoren haben zuvor bestimmt, welche Nährstoffe den Gewächsen fehlen.“ Statt endloser Monokulturen aus Raps und Mais überfliegt die Drohne einen bunten Flickenteppich. Auf einem Feld wachsen bis zu fünf verschiedene Nutzpflanzen, die durch die Technik optimale Erträge liefern – was bei steigender Weltbevölkerung essenziell wäre. Mithilfe von Feldrobotern kann auch der Einsatz von Spritzmitteln um mehr als die Hälfte reduziert werden. „Wir erproben diese Entwicklungen erfolgreich auf Feldern. Es erleichtert und optimiert die Arbeit der Landwirte und zeitgleich den Umweltschutz“, sagt Forscherin Lemke.
Neueste Forschung
Für die Landwirtschaft 4.0 entwickeln Wissenschaftler weltweit Ideen. Eine Vision der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist es, Kühe mit einer speziellen Kräutermischung zu füttern, die den Ausstoß des schädlichen Treibhausgases Methan reduziert (Foto l.). Im Fokus stehen außerdem die Entwicklung umweltverträglicher Düngemittel sowie der Einsatz von Drohnen. Die Digitalisierung erreicht die Höfe.
“ Wir stehen vor einer großen Revolution in der Agrartechnik.“
Nahleen Lemke, Agrarforscherin
Die Künstliche Intelligenz soll auch im Bereich Viehzucht eingesetzt werden, etwa mit Sensoren, die die Gesundheit der Tiere sekundengenau überwachen. „Wir stehen mit der Digitalisierung vor einer großen Revolution in der Agrartechnik“, so Lemke. Sie könnte sogar die ersehnte Versöhnung von Mensch und Natur ermöglichen.
Was jeder tun kann
Bis diese Vision endlich Realität wird, dauert es leider noch. Was aber nicht bedeuten muss, dass bis dahin alles bleibt, wie es ist. „Jeder von uns hat als Verbraucher großen Einfluss, wenn er bewusst einkauft“, sagt Christian Rehmer vom BUND. „Wer zu Bioprodukten greift, entscheidet sich für die Umwelt. Wer regional einkauft, unterstützt die Bauern vor Ort.“ Zunehmend werden auch die Produkte von Erzeugern gekennzeichnet, die mit ihrem Anbau Biodiver sität fördern. Das Institut von Nahleen Lemke arbeitet am Siegel „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ mit. Landwirtin Anneke Kreißig freut der Wandel: „Ich habe die Hoffnung, dass unsere Arbeit wieder mehr wertgeschätzt wird.“
MIRJA HALBIG