... Gepäck: Zettel und Stift, ein Megafon, ein USB-Stick und ihre Stirnlampe. An ihrem Ziel suchen sich die jungen Forscher ein ruhiges Plätzchen nahe dem Dickicht und holen das Megafon heraus. „Auf dem USB-Stick sind Laute eines anderen Rudels, die ich über das Megafon abspiele. Wenn Goldschakale diese hören, antworten sie mit einem Heulen“, sagt die 42-jährige Österreicherin. „Das sind Gänsehautmomente, die man nie vergisst.“
Neue Heimat durch den Klimawandel?
Im Jahr 2013 begann Hatlauf, sich intensiv für die Tiere mit dem weichen Fell zu interessieren. 2015 rief sie das „Goldschakal Projekt Österreich“ ins Leben. „Wir wissen bisher sehr wenig, weil sich die Tiere erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in unseren Breiten ansiedeln“, sagt Hatlauf. „Und genau das hat mich an dieser Aufgabe gereizt.“ Was bisher schon bekannt ist: Der Vierbeiner mit dem markan- ten Gebiss ist zwischen 80 und 95 Zentimeter lang, an den Schultern etwa 35 bis 50 Zentimeter hoch und wiegt zierliche acht bis zehn Kilogramm. Meist ist das Fell gelblich. Nur Exemplare, die in den Bergen zu Hause sind, erkennt man an ihrer gräulichen Färbung. Wie die Wölfe leben sie in Familiengruppen – in der Regel sind das Eltern und deren Nachkommen. „Ich bin fasziniert, wie sozial Goldschakale sind“, berichtet Jennifer Hatlauf. „Wir erleben, dass Jungtiere die Eltern unterstützen, damit der nachfolgende Nachwuchs durchkommt. Das macht sie sehr erfolgreich.“ Zudem passen sich die Tiere schnell und gut an die Umgebung an.
In Sachen Nahrung sind die kleinen Räuber nicht wählerisch. Sie fressen, was ihnen vor die Schnauze kommt: „Nagetiere wie etwa Ratten und Mäuse, Vögel, Insekten und Amphibien, zum Beispiel Lurche, oder auch Beeren und Früchte“, sagt Jennifer Hatlauf. Wenn der Mensch ausreichend Abfälle von Fisch oder Fleisch bietet, vertilgen sie auch diese. Je nach Nahrungsangebot ist ihr Revier zwischen einem und 20 Quadratkilometern groß.
In Deutschland wurde 1997 der erste Goldschakal entdeckt – nach einer verhängnisvollen Begegnung mit einem Menschen: In der Lausitz hatte ein Jäger auf einen vermeintlichen Hund geschossen, der sich als Goldschakal erwies. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis 2007 ein weiteres Tier in Deutschland in eine Fotofalle lief, ebenfalls in Brandenburg. Danach verkürzte sich der Abstand der Nachweise rasch. Seit 2014 werden jährlich Tiere registriert, inzwischen in fast allen Bundesländern. Ausnahmen sind die Stadtstaaten, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt. Im vergangenen Herbst meldeten Forscher, dass sich im Schwarzwald sogar erstmals Tiere vermehrt hätten. Der Bestand wird in Europa auf 117.000 Exemplare geschätzt. Weil Goldschakale scheu sind und meist nur nachtaktiv, dürften sich in der Landschaft deutlich mehr Tiere tummeln.
10 KILOGRAMM wiegt ein ausgewachsener Goldschakal. Zum Vergleich: Ein Wolf wiegt 30 bis 80 Kilo
Letzten Geheimnissen auf der Spur
Wie kommt es, dass die Jäger auf vier Pfoten den Weg zu uns gefunden haben? „Die milden Winter fördern die Überlebensrate der wärmeliebenden Tierart“, weiß Jennifer Hatlauf. „Und Nahrung ist auch reichlich vorhanden.“ Für die studierte Agrarwissenschaftlerin und Wildtierökologin steigen also von Jahr zu Jahr die Chancen, immer mehr Goldschakale beobachten zu können. Um ihrem noch geheimnisvollen Leben auf die Spur zu kommen, nutzt sie neben dem Megafon auch Spürhunde, die nach Kotspuren suchen. Zudem sind Fotofallen installiert, um mehr über die Tages- und Nachtrhythmen der Tiere zu erfahren. Wie kommunizieren die Goldschakale? Was bedeutet das Heulen und ihr gesamtes Rufrepertoire, das auch wie das Kreischen eines Kindes klingen kann? Wie lange bleiben die Jungtiere bei der Familie? Die Antworten auf diese Fragen werden in Hatlaufs Doktorarbeit einfließen.
Welchen Einfluss die Neubürger auf unsere Ökosysteme haben, kann man noch nicht absehen. Während Goldschakale in Ungarn gejagt werden dürfen und in Italien aus Angst um das Nutzvieh immer wieder vergiftet werden, gelten sie bei uns als schützenswerte Art. In Deutschland sind Goldschakale in keinem Gesetz als jagdbare Arten eingestuft. Die österreichische Wildtierökologin Jennifer Hatlauf hat einen großen Wunsch für die Zukunft des Goldschakals: „Dass die Tiere eine Nische finden, in der auch die Menschen mit ihnen leben können.“
MIRJA HALBIG