... ordnen und damit auf Leinwand zu schreiben. Dieses Merkmal zeigt sich in vielen seiner Werke. Zugleich reduzierte er die Farben auf ein von Blau- und Erdtönen begleitetes Weiß. Girkes Auseinandersetzung mit der Farbe Weiß, Sinnbild für alles Flüchtige und Nichtmaterielle, wird zum Hauptthema seines Œuvre. Da ist Weiß nicht statisch, sondern in Bewegung. Die monochromatische Palette bedeutet jedoch nicht Beschränkung, sondern eröffnet eine neue Welt, die sich erweitern lässt. Hier sucht Girke nach klassischer Ordnung und greift die Tradition der Tafelmalerei auf, in der Ordnung, Farbe und Licht im Fokus stand. In den 70ern fordert Girke, der Reizüberflutung „stille, reduzierte Sachen gegenüberzustellen und den Betrachter wieder zu einer Konzentration zu führen.“ In Girkes Werk aus jener Zeit dominiert eine fast monochrom-weiße Bildgestaltung mit feinen Differenzierungen in Farbe und Helligkeit. In den 80er-Jahren nimmt Girkes Kunst eine fundamentale Rolle in der Malerei in Deutschland ein. Raimund Girke lebt und arbeitet bis zu seinem Tod 2002 in Berlin und Köln. Die Monografie „Between White“ über das Œuvre von Raimund Girke erscheint am 28. Oktober 2021 zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung. Herausgegeben wird das Buch von der Kewenig Galerie und der Axel Vervoordt Gallery. Wir haben Boris Vervoordt, Founder der Axel Vervoordt Gallery, um ein Interview gebeten. Zu Girke. Der Farbe Weiß. Der Monogafie. Und der Ausstellung.
Herr Vervoordt, erzählen Sie mir bitte von Ihrer ersten Begegnung mit dem künstlerischen Schaffen Raimund Girkes. Ich habe Girke zunächst durch die Linse der ZERO-Generation gesehen, da er Teil vieler ZERO-Ausstellungen und -Sammlungen war. Aber eine gründliche Recherche, die in der neuen Monografie erstmals gezeigt wird, hat ergeben, dass er ein radikaler Einzelgänger war. Was fasziniert Sie an seiner Malerei, besonders an seiner Auseinandersetzung mit der Farbe Weiß? Tatsächlich nimmt uns Girkes Werk mit auf eine spirituelle Reise der visuellen Erfahrung, die eine Erkundung der völligen Leere beinhaltet. Im Niederländischen haben wir ein schönes Wort hierfür: „vol-ledig“. Sein fesselnder Blick auf das Weiß, der dem Weiß seinen Geist einhaucht, die Ganzheit einer Abwesenheit von Farbe, ist faszinierend und überwältigend. Ich bin davon überzeugt, dass dies so essenziell ist, dass es auch heute noch sehr aktuell ist.
Nun erscheint „Between White“. Was dürfen wir von der Monografie erwarten? Das Buch lehrt uns, wie sehr er Teil der sich ständig wandelnden Avantgarde des 20. Jahrhunderts war, einschließlich seiner Teilnahme an vielen Ausstellungen, die eindeutig die Perspektiven aufzeigen, die ihn neben seinen geschätzten Zeitgenossen stellten. Man braucht nur die Ausstellungstitel zu lesen, um die Ansichten der Kuratoren zu erkennen: Nieuwe Tendenzen, Konzeptuelle Malerei, Arte Concettuale und Avant-Garde. Ich glaube, dass diejenigen, die das Buch lesen, verstehen, dass Girkes Werk eine wichtige Rolle für unser Verständnis der Kunst in der Nachkriegszeit bis zu seinem Lebensende im Jahr 2002 zu spielen hat.
Die diesjährige Ausstellung ist nicht die erste, die die Axel Vervoordt Gallery kuratiert. Nach „In Between White“ 2015 in Hongkong, „Dominanz des Lichts“ 2018 in Wijnegem und „The Silent Balance“ 2019 wiederum in Hongkong, ist dies die vierte Schau, die pünktlich zum 91. Geburtstag des Künstlers eröffnet. Was hat Ihren Vater Axel und Sie ursprünglich dazu bewogen, Girkes Œuvre in die Ausstellungen aufzunehmen? Für uns ist Girkes Werk ebenso erneuernd und wichtig wie die Arbeiten von Agnes Martin oder Antonio Calderara, aber aus seltsamen Gründen hat er nie die internationale Karriere erreicht, die einige dieser Künstler hatten. Wir wollten ihm die volle Anerkennung zuteil werden lassen. Für viele Sammler ist er eine wichtige Wiederentdeckung; das ist unsere Aufgabe als Galeristen. Ich bin sehr dankbar für die tiefe Freundschaft, die ich auf diesem Weg mit der Tochter des Künstlers, Madeleine Girke, Direktorin und Eigentümerin des Nachlasses Raimund Girke, entwickelt habe. Madeleine atmet die Hingabe ihres Vaters und verleiht allen, die mit ihr zusammenarbeiten, Flügel und garantiert dem Werk eine Zukunft. Ohne ihr Wissen und ihre Arbeit würde es das Buch nicht geben.
Gibt es ein Werk, das Sie besonders hervorheben möchten? In dieser Ausstellung haben wir die Gelegenheit, Gemälde zu zeigen, die Teil wichtiger historischer Ausstellungen waren. Eines, ein Werk ohne Titel von 1973, wurde in der Ausstellung „Fundamental Painting“ in Amsterdam gezeigt, in der die Kuratoren Edy de Wilde und Rini Dippel die Prinzipien der Malerei erforschten. Es war nur eine der Ausstellungen, in denen Girke gemeinsam mit Robert Ryman, einem Künstler, den er sehr bewunderte, Arbeiten zeigte, obwohl er sich der unterschiedlichen Herangehensweise an ein Kunstwerk bewusst war. 1977 wurde das Werk auf der Ausstellung „12 since ‘45“ gezeigt, die 12 deutsche Maler im Rahmen der »Europalia ‘77« vorstellte. Unter ihnen Girkes ehemaliger Studienkollege Gotthard Graubner und Gerhard Richter, dessen Werke Girke selbst sammelte. Das Werk aus dem Jahr 1973 gelangte dann in die Sammlung Crex in Zürich, die sich auf minimalistische und konzeptuelle Kunst spezialisiert hat. Die Sammlung war bis 2014 in den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen zu sehen.
Warum sollten Girke-Liebhaber die Ausstellung auf keinen Fall verpassen? Die Ausstellung wird eine Retrospektive von Girkes Œuvre und Werke zusammenbringen, die noch nie einem internationalen Publikum gezeigt wurden; unsere früheren Ausstellungen zeigten nur Werke aus seiner späteren Periode. Diese neue Ausstellung wird ein breiteres Licht auf diesen sehr wichtigen Künstler werfen.
Vielen Dank, Herr Vervoordt! Und: Bis bald in Antwerpen.
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