Kinder haben einen angeborenen Bewegungsdrang. Sie gehen nicht, sondern hüpfen auf einem Bein, balancieren auf der Mauer, kicken Steine vor sich her, rennen bis zur nächsten Straßenecke. Die Lust an der Bewegung ist etwa bis zum Alter von zehn bis zwölf Jahren besonders ausgeprägt. „Kinder brauchen eine tägliche körperliche Belastung von mindestens zwei bis drei Stunden“, sagt der Wiesbadener Sport- und Bewegungswissenschaftler Dr. Dieter Breithecker, Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung.
Die natürliche Freude am Toben, Rennen und Springen hat gute Gründe. Denn ohne regelmäßige Bewegung leidet die körperliche Entwicklung. Die Muskulatur verkümmert, der Wirbelsäule fehlt Halt, sie wächst krumm und schief. Die Knochenbildung verläuft nicht optimal. Außerdem gibt es Probleme mit der Motorik. Bewegungsmangel wirkt sich auch auf das Fußskelett aus: Das Fußgewölbe bildet sich nicht richtig aus, Spreiz- oder Plattfüße und andere Fehlstellungen sind dann ein wackeliges Fundament. Und auch für Kinder gilt: Wer sich weniger bewegt, wird eher pummelig. Kinder, die sich nicht beim Klettern, Laufen oder Hüpfen ausprobieren, werden zudem ungeschickt und verletzen sich eher.
Natürlich haben Eltern Angst, dass ihre Kinder stürzen und sich verletzen. Aber wer den Bewegungsdrang des Nachwuchses eindämmt, tut dem Kind auch für die Zukunft keinen Gefallen. Denn daran, dass immer mehr Kinder in alltäglichen Situationen verunglücken, ist auch der Bewegungsmangel schuld, ergab eine Studie deutscher Unfallkassen. „Ein Kind, das nie beim Spielen hinfallen durfte, läuft Gefahr, sich bei einem Sturz schwerer zu verletzen. Denn Fallen lernt man nur durch Fallen“, weiß Breithecker. Die normale Abenteuerlust der Kinder sollten Eltern nicht durch übergroße Vorsicht abwürgen. Das stete Vermeiden jeglicher Risiken erhöht später das Unfallrisiko: Kinder, die nie balanciert, nie mit dem Fahrrad gefahren sind und keine Erfahrung mit rechtzeitigem Zurückweichen sammeln konnten, verunglücken öfter. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft für Kindersicherheit haben in Deutschland jedes Jahr rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche einen Unfall. Fachleute glauben, dass 60 Prozent davon vermeidbar wären.
Hopp, hopp, hopp – Elchlein, lauf Galopp.
Kinder sitzen zu viel
Schon im Grundschulalter verbringen die Kleinen durchschnittlich neun Stunden täglich im Sitzen. Fehlende Spielräume in der Stadt und ein strammer Wochenplan vom Flötenunterricht bis zur Nachhilfestunde führen dazu, dass Kinder antriebslos und faul werden. Zudem fahren viele Eltern ihre Sprösslinge mit dem Auto zu jedem Termin. Gameboy, Fernseher oder Computer sind schon bei kleineren Kindern beliebte Alternativen zu Ballspielen, Seilspringen oder Fangen.
Die Zeit mit diesen Medien sollte aber von den Eltern klar beschränkt werden, rät die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Anlass für diesen Appell ist die steigende Zahl von Kindern mit Übergewicht, Konzentrations-, Hyperaktivitätsund Aufmerksamkeitsstörungen. Die Bundeszentrale stützt sich zudem auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach früher und häufiger TV- und PC-Konsum auch die geistigen Fähigkeiten und damit die Schulleistungen negativ beeinflusst. Kinder unter drei Jahren sollten deshalb überhaupt nicht fernsehen oder Computer spielen. Sind sie zwischen drei und fünf Jahren reicht täglich eine halbe Stunde vor den Medien. Bei Grundschulkindern ist insgesamt eine Stunde TV- und Computerkonsum pro Tag akzeptabel. Morgens vor dem Kindergarten oder der Schule, während der Mahlzeiten und unmittelbar vor dem Schlafengehen bleiben Glotze und PC am besten komplett ausgeschaltet.
Fehlt die körperliche Aktivität, leidet auch die geistige Entwicklung. Besonders im ersten Lebensjahrzehnt ist beides eng gekoppelt. Deshalb sind Streifzüge durch den Park, Ausflüge zum Spielplatz oder Touren durch den Wald so wichtig, denn ihren großen Bewegungsdrang stillen Kinder am besten draußen. Über einen Zaun zu klettern, an einem Ast zu hangeln, über einen Bach zu springen oder ein Lagerfeuer zu machen – das sind wichtige Erfahrungen, die Kinder fit fürs Leben machen. Brenzlige Situationen (unter Aufsicht) zu meistern, das vermittelt Kindern nachhaltigere Erfahrungen und Kompetenzen als jahrelange theoretische Belehrungen.
Wer mit anderen spielt, lernt auch, Regeln einzuhalten
Studien zeigen: Spielen, vor allem in Aktion mit anderen, hat einen positiven Einfluss auf die Intelligenz, Sprachvermögen und logisches Denken. Kinder erfahren, was es bedeutet, Regeln einzuhalten, Kompromisse zu schließen, Gedanken in Worte zu fassen, mit den eigenen Gefühlen und denen der Mitspieler umzugehen. Alles, was ihnen sonst schwer fällt – zum Beispiel mit anderen zu teilen –, gelingt ihnen mühelos, wenn es das Spiel verlangt. Spielend bewältigen Kinder auch Situationen, die ihnen bedrohlich vorkommen und verarbeiten Frust und Angst: Die Mutter hat geschimpft – die Tochter lässt Dampf ab, indem sie ihre Puppe „bestraft“.
Tipps für Eltern von Couch-Potatos
Um Bewegungsmuffel auf Trab zu bringen, sind die Eltern gefragt: Sie sind das beste Vorbild, wenn sie selbst Sport treiben oder sich gerne bewegen. Ein tägliches Limit für Fernsehen, Computer oder Gameboy schafft Zeit für Sport und Spiel im Freien. Hier weitere Tipps:
■ Öfter mal auch längere Wege zu Fuß zurücklegen.
■ Dem Kind etwas zutrauen, es ermutigen, auf einen Baum zu steigen, zu balancieren, zu klettern oder in eine Pfütze zu springen.
■ Zu Geburtstagen oder zu Weihnachten Spielgeräte schenken, die zur Bewegung anregen wie Bobbycar, Laufrad oder Trampolin.
■ Gemeinsame Unternehmungen wie Schwimmbadbesuche oder Wanderungen in der Natur mit Fernglas und Picknick machen allen Beteiligten Spaß.
■ Eine spannende Schatzsuche veranstalten, bei der die Kinder zu Fährtensuchern und Detektiven werden.
■ Mit dem Nachwuchs Feder- oder Fußball spielen, werfen und fangen üben, Verstecken spielen, Seil springen, schaukeln, Rad fahren …