... Parisienne“, so der Originaltitel, „dann ziehen Sie sich um!“ Außerdem: Besser ist es, keine Mode-Idole zu haben und sich höchstens an Jane Birkin zu orientieren – Regeln sind da, um sie zu übertreten. Als Pariserin wird man nicht geboren. Es ist eine Geisteshaltung. Oft sind es die Zugereisten, verrät de la Fressange, die diese Freiheit am besten verkörpern.
Ihr voller Name Inès Marie Laetitia Eglantine Isabelle de Seignard de la Fressange erzählt bereits eine Geschichte. Sie wird 1957 in der Nähe von Saint-Tropez in eine bunte, jüdisch-aristokratische Familie geboren. Die Mutter, groß und gertenschlank, Mannequin für Guy Laroche, kommt aus Argentinien. Der Vater ist der Enkel des Bankiers André Lazard und arbeitet als Börsenmakler. Sie beschreibt ihn als eine Art James Dean, sieht ihn als „exzentrischen Mathematiker“. Und beide Eltern sind beim berühmten Psychiater Jacques Lacan in Behandlung.
Mit dem polnischen Kindermädchen Toya lebt sie in ih ren zwei Brüdern und einer Wohnung über der ihrer Eltern im gutbürgerlichen 16. Arrondissement von Paris. Am Muttertag ist es Toya, die die Geschenke der Kinder bekommt. „Ich begegnete meinen Eltern regelmäßig, aber erinnere mich nicht, nur ein einziges Mal mit ihnen gegessen zu haben“, erzählt sie ohne Bitterkeit.
Später ziehen sie in eine große Mühle weit vor Paris. Nach dem frühen Abi will sie Kinderpsychiaterin werden, dann Anwältin, schließlich Bildhauerin oder Malerin. „In meiner Familie musste man ein Genie sein, oder man war gar nichts.“ Sie entscheidet sich, aus dem Nichts ins Lampenlicht zu treten. Nach wenigen Semestern Kunstgeschichte wird sie entdeckt. Doch als sie ihre Karriere beginnt, Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre, ist ein ganz anderer Frauentyp gefragt. Auf den Titelseiten der Magazine posieren durchtrainierte Blondinen in knappen Badeanzügen, die Haut gebräunt, die Haare vom Surfen ausgebleicht. Die Männer träumen von Elle Macpherson. Inès de la Fressange ist das Gegenteil: Spargelfigur. Kaum Busen.
Dunkle kurze Haare. Wie soll so eine Frau als Model Karriere machen? Aber Jean Paul Gaultier und Thierry Mugler sind begeistert. Sie sehen sie als Zwitterwesen, wie eine ziemlich maskuline Frau oder wie einen irrsinnig weiblichen Mann. Das gefällt den jungen Modeschöpfern, und sie stecken Inès in futuristische, eckige Entwürfe. Einmal defiliert sie mit zwei Königspudeln über den Laufsteg und trägt einen weißen Fellmantel, wie eine Eiskönigin.
„Die Muttertagsgeschenke hat unsere Kinderfrau bekommen”
D ie Haute-Couture-Häuser rümpfen die Nase. Nur Modeschöpfer der Karl Lagerfeld nicht. Er erkennt eine Ähnlichkeit mit Coco Chanel und engagiert sie. Ab 1983 bekommt sie einen Exklusivvertrag mit Chanel, wird „Muse“ und das erste Model, das fest an ein Haus gebunden wird. Chanel? Das ist Inès. Inès ist Chanel. „Von ihm habe ich gelernt, nicht immer zu viel in die Dinge hineinzulegen, alles mit Leichtigkeit zu nehmen“, erzählt sie. Als sie zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution für die Büste der Marianne Modell steht, die in allen Rathäusern Frankreichs aufgestellt wird, eine Ehre für jede Französin, schmeißt Lagerfeld sie raus. Er fand es frivol, „ein Denkmal anzuziehen“. Jahrelang sprechen sie kein Wort. Als Model bricht Inès de la Fressange alle Codes. Während die anderen mit ernster Miene über den Catwalk laufen, lächelt und lacht sie. Sie scheint an allem, was sie tut, Spaß zu haben. Sie plaudert mit jedem, sogar mit Journalisten und Fotografen. Ihr Spitzname: „das Model, das spricht“.
„Mein Job war es, das Fantasieprodukt von Karl Lagerfeld zu sein”
Von außen sieht das alles leicht aus, aber das Leben ist kein Fotoroman. Sie hat Mühe, schwanger zu werden. Tochter Nine bekommt sie mit Ende 30, als Violette geboren wird, ist sie über 40. Die Jüngste ist sechs, als ihr Mann Luigi d’Urso, ein Kunsthändler, an einem Herzinfarkt stirbt. Inès trägt nur noch Schwarz. Der Pate ihrer Tochter fragt sie eines Tages, was sie im Flugzeug tun würde, wenn der Druck abfällt. „Meinen Töchtern die Sauerstoffmaske aufsetzen“, antwortet sie. „Falsch“, sagt der Freund. „Du musst sie dir zuerst aufsetzen.“ De la Fressange begreift, dass sie den Verlust überwinden muss, will sie die Töchter nicht mit runterziehen. „Ich denke jeden Tag an ihn. Das Weinen hört irgendwann auf, aber die Traurigkeit bleibt“, verrät sie Jahre später in einem Interview. Heute lebt sie mit Medienmanager Denis Olivennes, Ex-Freund von Ex-Kollegin Carla Bruni-Sarkozy. Inès de la Fressange trägt selbst Schicksalsschläge mit Eleganz. Ihre Grundregel lautet: kein Selbstmitleid. Und wer sich zu sehr um sein eigenes Image kümmert, verwandelt sich in eine Mumie.
Mit über 40 geht sie wieder auf den Laufsteg, erkämpft sich die Rechte über ihr eigenes Label zurück, die sie viele Jahre lang verloren hatte, wird Markenbotschafterin bei Roger Vivier, dem französischen Schuhmacher der Bourgeoisie, dessen Image sie aufpoliert, modernisiert und beginnt schließlich ihre Kooperation mit Uniqlo. Mit den Japanern ist es Liebe auf den ersten Blick. Das Label passt zu ihr. Seit acht Jahren dauert dieser coup de foudre schon.
Ob Blümchenbluse, Hemdkleid oder schlichte Hose in Khaki, es sind Klamotten, die in ihrem Garten in der Provence genauso funktionieren wie in den engen Gassen des Pariser Marais. „Schöne Sachen müssen nicht teuer sein“, sagt de la Fressange. Die Eleganz liegt im Mix aus günstiger Stangenware und teuren Designerteilchen. Die Perlenkette zur Jeans statt zum Abendkleid. Und den „Head to toe“-Look vermeiden. Klingt einfach, ist in Wahrheit aber Instinkt.
Gemeinsam m it Naoki Ta- kizawa,Chefdesigner von Uniqlo, hat sie bereits ihre 17. Kollektion vorgestellt. Takizawa weiß, dass alle Japanerinnen die Stilbibel von Inès de la Fressange gelesen haben und sich bei ihm „ein Stück der Geschichte von Inès kaufen wollen“. Das Thema der Kollektion dieses Sommers ist Marrakesch. Selbstverständlich steht Inès de la Fressange selbst vor der Kamera.
Niemand würde auf die Idee kommen, dass sie zu alt dafür wäre. Im August feiert sie ihren 65. Geburtstag. „Am Anfang hält man das eigene Leben für eine Wundertüte“, sagt sie, später merke man, dass man jeden Augenblick genießen müsse. Über all die Jahre und Jahrzehnte ist sie die Stilkönigin geblieben – la Parisienne, ein bisschen Gavroche, ein wenig Mistinguett, nie klagend, immer lächelnd.