... alternativen und verbindlicheren Bach-Stil András Schiffs und seiner Nachfolger (bis hin zum sentimentgeladenen Lang Lang), die Klang, Phrasierung und individueller Charakterisierung mehr Raum lassen.
Fray, Jahrgang 1981, ging es offenbar primär darum, mit Hilfe seiner perfekten und ausgesprochen noblen Pianistik die Polyfonie der Musik klar konturiert zum Klingen zu bringen, gleichzeitig aber die wechselnden Charaktere von Bachs „verschiedenen Veraenderungen“ durch freiere Agogik und Dynamik voll auszuspielen.
Mit einem Wort: eine wichtige Ergänzung der „Goldberg“-Diskografie. Sie bietet aktualisierendes musikalisches Regietheater der akzeptablen, ja der feinsten Art.
Ingo Harden
Ensemble
HD
Weinberg
Kammersinfonien
East-West Chamber Orchestra, Rostislav Krimer; Naxos
Vor zwei Jahren hat Naxos die Kammersinfonien Nr. 1 u. 3 mit den gleichen Musikern vorgelegt, die auch hier am Werke sind. Nun ist der Zyklus im doppelten Sinne vollendet. Kammermusik-Puristen mögen vielleicht den jeweiligen Streichquartetten den Vorzug geben, von denen Mieczyslaw Weinberg seine ersten drei Kammersinfonien abgeleitet hat – nur die vierte von 1992, Weinbergs letztes vollständig beendetes Werk überhaupt, ist eine Originalkomposition. Diese Bearbeitungen haben es in sich – und werden meisterhaft dargeboten!
Burkhard Schäfer
Klavierkonzerte
Beethoven, Mendelssohn
Klavierkonzerte
Gerlint Böttcher, Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim, Timo Handschuh; Hänssler
Die Freude am gemeinsamen Gestalten verleiht den Klavierkonzerten (Beethoven Nr. 1, Mendelssohn Nr. 2) frische Spontaneität.
Gerlint Böttcher hat diese Werke wahrlich in Herz, Kopf und Fingern, bildet mit dem Kammerorchester Pforzheim unter Timo Handschuhs impulsiver Leitung eine schöne Einheit, obwohl man bei diesen historischen Streichorchesterbearbeitungen, besonders im Beethoven-Konzert, den heroischen Ton der Bläser vermisst.
Frank Siebert
Klaviermusik
HD
Chopin
Diverse Werke
Bruce Liu; Deutsche Grammophon
Eins aus 87 – das ist die Erfolgsquote des Chopin-Wettbewerbs von 2021, der pandemiebedingt um ein Jahr nach hinten geschoben werden musste. Wie es seit vielen Wettbewerb-Ausgaben guter Brauch ist, darf sich auch diesmal der Gewinner nur wenig später mit einem eigenen Album der Öffentlichkeit präsentieren.
Bruce Liu, der Kanadier chinesischer Abstammung, ging schließlich als Erster von zwölf Finalisten über die Ziellinie. Seine nun vorliegende Chopin-Hommage ist breit aufgestellt, mit Beiträgen zu fast allen zentralen Gattungen, die der Komponist bedient hat, darunter auch die Mozart-Variationen und die Mazurken op. 33. Beim „Andante spianato“ mit „Grande Polonaise brillante“ zu Beginn beweist Liu Sinn für Ausdruck und perlende Geläufigkeit. Eine lupenreine Technik darf man bei einem solchen Preisträger erwarten, ebenso Sinn für dynamische Feinheiten.
Liu liefert. Nicht mehr, nicht weniger. Seinen Sinn fürs Poetische beweist Liu schon eher mit den Mazurken, die er als kleine, intime Perlen genau auslotet, mit sicherem Gespür für eine passende Dosis Rubato. Auch das Kecke im vierten Scherzo, dem tendenziell weniger radikalsten aller vier, arbeitet Liu entsprechend heraus. Aber auch unverwechselbar?
Nicht so sehr. Beim Vergleich der Mozart-Variationen allerdings zieht Liu – in puncto Klangsubstanz, Klangfarbe, Klangverwandlung – mit einem anderen Chopin-Wettbewerb-Preisträger deutlich den Kürzeren. Nur dass Daniil Trifonov 2010 lediglich den dritten Preis gewann…
Christoph Vratz
Gesang
HD
Mozart, Beethoven u. a.
Konzertarien
Cecilia Bartoli, Maxim Vengerov, Kammerorchester Basel, Muhai Tang; Decca
Es gibt Sängerinnen, die man bewundert und in Momenten, in denen das Bewundern nicht leicht fällt, bewundern will. Eine davon war Maria Callas, eine andere ist Cecilia Bartoli. Für ihr Album mit dem Kammerorchester Basel unter Muhai Tang hat sie sieben Konzertarien von Haydn, Mozart, Beethoven und Myslivecek ausgewählt. Beethovens „Ah! Perfido“ ist der Klagegesang einer Frau, die während der Vorbereitung ihrer Hochzeit von ihrem Bräutigam verlassen wird. Die ersten vier Takte des Rezitativs gehören zu jenen Momenten, die man bewundern will. Sie kommen wie ein Keuchen daher, der letzte Ton von „Perfido“ klingt verzittert. Ausdrucks-Absicht? Oder erste Anzeichen für einen stimmlichen Kontrollverlust nach mehr als drei Jahrzehnten?
Erst aus dem Geleitwort im Beiheft geht hervor, dass das neue Recital schon vor acht Jahren entstanden ist. Die Detail-Affektationen dieses Rezitativs wie im gehetzten finalen Allegro Assai der Arie, erreicht durch zugespitzte Mittel des verbalen Espressivo, hätten gewiss nicht so stark irritiert, wenn die Beethoven-Szene ihren Platz am Ende des Recitals gefunden hätte. In der für Nancy Storace geschriebenen Einlage-Arie „Ch’io mi scordi di te?
Non temer, amato bene“ ist eine Cecilia Bartoli zu hören, die stärker um die Balance von Artikulation und gesanglichem Fluss bemüht ist. Statt des gewohnten Klavierparts ist in dieser wenig bekannten Version der Geiger Maxim Vengerov zu hören, ebenso in „L’amerò, sarò costante“ aus „Il re pastore“. Dennoch bleibt insgesamt der Eindruck, dass sich La Bartoli mit der Tessitura dieser Sopran-Arien auf ein zu hohes Terrain gewagt hat.
Jürgen Kesting
Barock
HD
Telemann, Vivaldi u. a.
Concerti all’arrabbiata
Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz; Aparté
Abgesehen von einem Einführungstext, der auf Biegen und Brechen versucht, witzig zu sein, dabei aber nicht frei von sachlichen Fehlern ist, kann man sehr viel Freude an dieser Produktion haben, weil die Dinge hier auf den Punkt gebracht werden. Exemplarisch sei dies an Telemanns „Grillensinfonie“ gezeigt: Wegen seiner seltsamen Besetzung (Pikkoloflöte, Oboe, Chalumeau, zwei Solokontrabässe und Orchester) hat dieses Werk durchaus schon einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, doch die meisten Interpreten betonen das Bizarre, gar Skurrile, während das Freiburger Barockorchester recht ernsthaft an die Sache herangeht und jede Phrase genau abzirkelt. Ein solcher Ansatz führt beinahe zwangsläufig zu eher gefassten Tempi, selbst in dem von polnisch-hanakischer Volksmusik geprägten Schlusssatz, und gerade dadurch wird deutlich, dass es Telemann nicht um vordergründige Komik geht, sondern darum, das Potenzial des Spektrums an Soloinstrumenten auszuloten.
Sehr präzise Gesten prägen auch das Eingangsstück, die Sinfonia TWV 52:D2, in der die Hornisten den Impetus eines Jagdtableaus mit edler Klangkultur überhöhen.
Ann-Kathrin Brüggemann nimmt sich in Plattis Oboenkonzert alle agogische Freiheit, die nötig ist, um den Affekten Nachdruck zu verleihen. Ebenso beeindruckend ist Javier Zafra als Solist in Vivaldis Fagottkonzert RV 483, das er sehr sinnlich gestaltet, ohne die Konturen zu verwischen. Nur in Geminianis Bearbeitung von Corellis „Follia“ droht das FBO bisweilen den Sologeiger zu erdrücken.
Matthias Hengelbrock
Sinfonien
HD
Saint-Saëns
Sämtliche Sinfonien
Olivier Latry, Orchestre National de Paris, Cristian Macelaru; Warner
Beim Prix de Rome hatte Camille Saint-Saëns kein Glück, daran konnte auch eine Sinfonie mit dem Beinamen „Urbs Roma“ nichts ändern. Ein viersätziges Werk, dessen anfangs trillerndes Scherzo in einzelnen Momenten an Mendelssohns „Sommernachtstraum“ erinnert. Aber da sind wir mitten in der Saint-Saëns-Falle, dessen Vielseitigkeit noch zu Lebzeiten und auch posthum auf eine Reaktionärs- Ästhetik zurückgestutzt wurde.
Das Orchestre National de Paris und Dirigent Cristian Macelaru zeichnen nun wichtige Etappen im Schaffen von Saint-Saëns nach, indem sie sämtliche fünf Sinfonien (von denen drei durchnumeriert sind) aufgenommen haben.
Die populäre Orgel-Sinfonie hat die anderen vier in den Schatten gestellt. Bei dieser Dritten heißt der Solist Olivier Latry, Titularorganist von Notre-Dame, der das Werk bereits 2006 in Philadelphia unter Christoph Eschenbach eingespielt hat. Macelaru verleiht Saint-Saëns’ Musik unterschiedliche Farben und Charaktere, mal jugendlich forsch, mal zaghaft aufblühend, mal getragen wie im Einleitungs-Adagio der ersten Sinfonie, oder auch filigran-flirrend, tänzerisch-leicht wie im Prestissimo der zweiten. Deren Auftakt „marcato“ nimmt das Pariser Orchester wörtlich, weniger breit als Jean Martinon 1972 und zum Glück ohne falsches Pathos. Christian Macelaru, dessen Vertrautheit mit dieser Musik glaubwürdig wirkt, bietet vor allem in den langen Sätzen den Solisten Raum zur Entfaltung, er formt die Bögen organisch und ohne ein Zuviel von allem. Das Klangbild indes hätte ein wenig mehr Präsenz und Transparenz vertragen können.
Christoph Vratz
Violinkonzerte
HD
Prokofjew
Violinkonzerte, Sonate
Tianwa Yang, ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Jun Märkl; Naxos
Die Erwartungen an die nächste Konzertaufnahme mit Tianwa Yang waren hoch. Nach ihrer sensationellen Einspielung von Lalos „Symphonie espagnole“ und der konzertanten Werke von Rihm und Brahms folgen nun die beiden Violinkonzerte von Sergei Prokofjew. Und wieder setzt die Geigerin neue Akzente, neue Marken für die Interpretation zweier Meisterwerke, die man in maßstabsetzenden Einspielungen mit Interpreten wie Milstein, Oistrach oder Zimmermann kennt. Denn Tianwa Yang formuliert jede melodische Linie mit Bedacht aus, ihr Spiel wirkt überlegt und abgezirkelt, inbrünstig und mannigfaltig abschattiert in Klangfarbe und Dynamik. Das alles erfährt man gleich im ersten Satz von Violinkonzert Nr. 1. Das gläsern funkelnde Scherzo kommt mit explodierender Vitalität daher, in diesem mittleren Satz treibt es die Solistin virtuos auf die Spitze und lässt die Finger nur so fliegen. Im dritten Satz legt sich der Sturm, und es ist wieder Gesang.
Auch das zweite Violinkonzert entfaltet Tiefgang und emotionale Vielschichtigkeit, Kantabilität neben Zerbrechlichkeit und Ironie, dazu höchste Virtuosität und eine gehörige Portion Temperament im Finale. Jun Märkl und das vorzügliche ORF Radio-Symphonieorchester Wien reagieren feinsinnig auf die Sensitivität der Solistin und lassen ihr freien Raum. Zugabe ist die dreisätzige Solosonate op. 115, die Prokofjew für ein Ensemble begabter Geiger komponierte.
Man kann das Stück natürlich auch „solo“ spielen. So funkensprühend und musikalisch ideenreich wie Tianwa Yang das Werk angeht, hat man es selten gehört.
Norbert Hornig
Kammermusik
HD
Mozart
Arrangements für Klavier und Bläser
Markus Becker, Ma’alot Quintett; CAvi
Vor knapp zwei Jahren erschien bei CAvi ein Beethoven-Album mit dem Es-Dur-Quintett für Klavier und Bläser. Es war mangels weiterer Werke des Komponisten in dieser Besetzung mit dem ersten Konzert-Versuch des Zwölfjährigen gekoppelt, und zwar in einem Klavier-Bläser-Arrangement von Ulf-Guido Schäfer, dem Klarinettisten des Ma’alot-Ensembles.
Dem gleichen Muster folgt jetzt das zehn Jahre früher, 1784 entstandene Mozart-Quintett KV 452, offenkundig Beethovens Vorlage, und eins seiner großen Wiener Klavierkonzerte, wiederum von Schäfer „auf die Harmonie gesetzt“, wie man früher sagte. Die Wahl fiel dabei auf das G-Dur-Konzert KV 453, das Mozart nur zwei Wochen nach dem Quintett fertigstellte – sicherlich wegen dieser zeitlichen Nähe der Entstehung, aber vielleicht auch, weil sich schon in der originalen Partitur besonders schöne Stellen für die „blasenden Instrumente“ finden. Die fünf deutschen Bläserprofessoren des Ma’alot-Ensembles, das seit 1986 existiert (und sich nach einer nordisraelischen Ortschaft nennt, die 1974 Schauplatz eines blutigen Geiseldramas war), spielen die beiden Werke und zwei weitere gelungene Schäfer-Arrangements mit aller wünschenswerten Homogenität und Sauberkeit, vor allem aber mit ansteckender Lebendigkeit. Markus Becker bewährt sich erneut als Pianist, dessen klarer und runder Ton sich klanglich optimal mit den Bläsern verbindet. Höchstens ein Schuss legerer wienerischer Beschwingtheit wäre vielleicht noch angebracht gewesen. Doch eine runde Sache ist diese Aufnahme allemal – Harmoniemusik in doppeltem Sinn.
Ingo Harden
Klavier
HD
Mompou
Música callada
Lilit Grigoryan;
Orchid Classics
Man kann der Pianistin Lilit Grigoryan gar nicht genug danken, dass sie mit ihrer behutsamen Interpretation von Federico Mompous „Música callada“ diesem rätselhaften Haupt- und Spätwerk des Katalanen erneut Aufmerksamkeit verleiht. Die „Música callada“ nimmt innerhalb von Mompous Gesamtwerk eine Sonderstellung ein. Der in früheren Werken spürbare Einfluss von Debussy und Ravel ist fast verblasst, einige Stücke erinnern vielmehr an Klanggebilde der Zweiten Wiener Schule oder scheinen in die spirituelle Sphäre eines Olivier Messiaen einzutauchen. Vergebens sucht man nach folkloristischer Politur, die Mompou durchaus in anderen Werken verwendete.
Die „Música callada“ ist auch ein absoluter Solitär in der Geschichte der Klaviermusik. Der improvisatorische Charakter vieler Stücke lässt sie seltsam körperlos erscheinen, verweist eher auf ein metaphysisches Geschehen. Mompou hat sein Werk selbst als einen „schwachen Herzschlag“ charakterisiert. Als feinsinnige Gestaltungskünstlerin nimmt Lilit Grigoryan diesen schwachen Herzschlag auf und lässt ihn ruhig durch das gesamte Werk pulsieren. Nie überreizt sie die Musik ins Plakativ-Expressive, sondern folgt dem stillen inneren Impuls und schafft ganz im Sinne Mompous differenzierte Seelenräume.
Die in vier Bände aufgeteilten 28 Klavierminiaturen, zwischen 1959 und 1967 veröffentlicht, haben in ihrer ruhigen Gangart – allein zwölf Stücke sind mit der Vortragsbezeichnung „Lento“ versehen – die Aktualität des Unzeitgemäßen, setzen einen stillen Kontrapunkt zum Informationschaos der Social- Media-Gesellschaft.
Frank Siebert
Violinkonzert
Rozycki
Violinkonzert u. a.
Ewelina Nowicka, Polnisches Nationales Radio-Sinfonieorchester Kattowitz, Zygmunt Rychert; cpo
Zu fünft sind sie ausgezogen, die jungpolnischen Komponisten, und Karol Szymanowski hat das Rennen gemacht. Vergessen wurde dabei auch Lubomir Rozycki (1883-1953), der an der Lemberger Oper seine ersten Meriten sammelte. 1944 entstand ein Violinkonzert, das Zygmunt Rychert vor 20 Jahren vervollständigte.
Sehr hörenswerte Musik im farbenreichen Stil der voraufgegangenen Jahrzehnte, von Ewelina Nowicka mit Schwung und Klangreichtum gespielt.
Bernd Feuchtner
Argentinien
HD
Piazzolla
Las cuatro estaciones porteñas u. a.
Martynas Levickis, Lithuanian National Symphony Orchestra; Accentus Music
Die wehmütige musikalische Sprache des südamerikanischen Meisters Astor Piazzolla wird überall verstanden. Zwar spielt Martynas Levickis nicht Piazzollas Bandoneon, sondern ein Akkordeon.
Der virtuose Solopart des Konzertes „Aconcagua“ lässt sich jedoch gut darauf übertragen. Solist und Orchester legen sich mit ganzer Begeisterung ins Zeug, wie auch das Ensemble, das Piazzollas „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ – in einem neuen, effektvollen Arrangement – mitgestaltet.
Carlos María Solare
Viola und Klavier
HD
Prokofjew, Schumann Romeo und Julia, Dichterliebe
Timothy Ridout, Frank Dupree; Harmonia Mundi
Bearbeitungen für Viola gibt es viele, dahinter steht oft der Wunsch nach Repertoire-Erweiterung. Hier machen Timothy Ridout und Frank Dupree musikalisch feinsinnig mit Stücken aus Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ und Schumanns „Dichterliebe“ bekannt. Sie kommen dem Ausdruck auf der Viola entgegen, auch wegen ihrer Kantabilität, der in milden Streicherfarben schön wirkt. Inwieweit solche Arrangements Sinn machen, sei dahingestellt. Nicht nur Bratschisten mögen sie erfreuen, besonders bei Schumann.
Norbert Hornig
Cello und Klavier
HD
Chopin Cellosonate u. a.
Anne Gastinel, Claire Désert; Naive
Eine neue hochrangige Einspielung der Cellowerke Chopins, die um einige Arrangements populärer Klavierstücke des Polen ergänzt sind. Die beiden renommierten Französinnen zielen (anders, als das Coverfoto suggeriert) in perfektem Unisono auf konzentrierten Ablauf, es geht ihnen durchweg weniger um pointiertes Herausstreichen von Einzelheiten als um Kontinuität. Weder ist die wogende Brillanz der Argerich noch die Intensität der du Pré oder die Intimität Capuçons erreicht, wohl aber eine kompakte kammermusikalische Geschlossenheit.
Ingo Harden
Gesang
HD
Händel, Graun u. a.
Barocke Opernarien
Jeanine de Bique, Concerto Köln, Luca Quintavalle; Edel
Was für eine Stimme! Opernspezialisten werden schon auf sie gestoßen sein, denn seit 2017 machte die in Trinidad geborene Sopranistin in zahlreichen Operninszenierungen schon von sich reden. Und das vor allem wegen ihrer glutvollen Stimme, die trotz ihres Obertonreichtums stets sehr grundiert, ja erdig klingt. Verbunden mit einem untrüglichen Rhythmusgefühl, das sie selbst auf ihre karibische Heimat zurückführt, scheint sie geradezu prädestiniert für Musik des 17. und 18. Jahrhunderts – auch wenn sie selbst sich da nicht so festlegen lassen will. Aber diese Stimme berührt und geht unter die Haut; wie selbstverständlich lassen sich so die Affekte darstellen.
Seien es nun Arien, die mit virtuosen Koloraturen Wut nachzeichnen oder solche, die gezielt betören und berühren wollen: De Bique kommt mit allen gleichermaßen gut zurecht. Mit geschmackvollen und zu den Affekten passenden Verzierungen bringt sie ihre eigene Persönlichkeit in den Dacapi ein.
Das schöne, von Yannis François zusammengestellte Programm beschränkt sich auf Arien von insgesamt fünf Protagonistinnen, wobei einer Arie Händels jeweils eine eines anderen Komponisten zur Seite gestellt wird.
Sie spiegeln einander aber nur wie in einem zerbrochenen Spiegel, denn jeder Komponist weiß die Affekte anders zu gestalten.
Schön jedenfalls, dass auf diese Weise auch drei Ersteinspielungen Raum gefunden haben. Lediglich an der Textverständlichkeit ließe sich wohl noch etwas nachbessern. Dieses klitzekleine Manko würde nicht so auffallen, wenn im Booklet die Texte abgedruckt wären und die übrigen Seiten in einer sinnvollen Reihenfolge stehen würden.
Reinmar Emans