... sein eigenes Ding abzieht, zeigt der BR dann doch nur ein bisschen dieselben Filme wie der RBB, aber auch ein paar andere noch.
Aber genug der Häme! Denn „RBB Queer“ ist eine tolle Sache: Die queeren Filme, die hier laufen ( jeweils samstags, lange nach „Sandmännchen“, um 23.30 Uhr, also wenn man in München nicht einmal mehr ein Schnitzel auf den Teller bekäme) sind allesamt richtig gut. Und einige sogar herausragend.
Super gewählt ist der Auftaktfilm der „RBB Queer“-Reihe: die Tragikomödie „Futur Drei“ (2.7.) des jungen Berliner Regisseurs Faraz Shariat, die auf der Berlinale 2020 völlig zurecht den Teddy Award gewann, den wohl wichtigsten queeren Filmpreis der Welt. Parvis (Benjamin Radjaipour), der Protagonist in „Futur Drei“, dessen Eltern aus Iran nach Hildesheim kamen, kann die Arme schwingen im queeren Disco-Keller. Kurz danach taucht am Rande des Tanzbodens dennoch die Frage auf, wo er denn herkomme? Oder: Parvis lässt sich beim Grindr-Date auf der Couch durchbumsen, von einem Typ, der kein Problem damit hat, seine Zunge im Hintern von Parvis zu vergraben. Doch bei der Zigarette danach auf dem Balkon stellt der dann klar, dass er noch nie was mit „so einem“ hatte, einem „Ausländer“ – eigentlich stehe er da nicht so drauf. Alles klar.
Weitere Highlights: „Moffie“ (9.7.) erzählt herzerschütternd (aber zu guter Letzt empowernd) von der Homophobie im südafrikanischen Apartheidsmilitär, auch bei jungen Rekruten; und der dänische Überraschungshit „Eine ganz normale Familie“ (30.7.) von zwei Schwestern, deren eine Mutter trans ist. Der Film bewahrt sich dabei eine frische Entspanntheit – obwohl die Grundkonflikte ernstgenommen werden.
Jetzt aber Trick 17: Auch von Berlin aus kann man sich in die Mediathek des BR „einhacken“. Am meisten lohnen dürfte sich das für Xavier Dolans „Sag nicht, wer du bist!“, der ab dem 14.7. für drei Wochen abrufbar ist. Aber psst!
STEFAN HOCHGESAND
RBB 2.7.–13.8., jeweils samstags 23.30 Uhr und danach je 14 Tage in der Mediathek
Tempelhof Sounds
KONZERTE Eigentlich wollte Literaturredakteur Erik Heier sich ja die vollen drei Tage Tempelhof Sounds Festival geben. Aber dann kam am Sonntag die M4 nicht (die Fahrradsternfahrt war einfach wichtiger). Arte zeigt jetzt sieben der Konzerte vom Feld: Muse, Idles, die Sleaford Mods, Two Door Cinema Club, die Mighty Oaks, The Mysterines und Black Honey. Hoffentlich ist da was für den Kollegen dabei, sonst Gnade uns G ott.
LUG
Arte Mediathek bis 10.9., 7 Konzerte, 31–83 Min ●●●●○
Traumorte-Die Normandie
DOKUMENTATION Die Sommerferien stehen vor der Tür, in Europa darf wieder gereist werden und Sie haben immer noch keine Pläne? Bei 3sat gibt es sehr schöne Vorschläge: Wenn man sich wirklich für die nordwestliche Atlantikküste von Frankreich entschieben hat (Traumhaft! Wirklich! Vor allen Dingen die Gegend um Saint-Malo), sollte man wissen, dass die Franzosen da auch gerne selber Urlaub machen. Wem das nicht gefällt: Malle ist ja im Inselinnern auch sehr schön.
TB
3sat Mediathek bis 14.9., 45 Min ●●●●●
Tracks East
MAGAZIN Schluss mit dem Westplaining: mit „Tracks East“ startet Arte eine Sonderreihe seines Popkultur Magazins und gibt Journalist:innen sowie Kulturschaffenden aus dem postsowjetische Raum das Wort. In zehn Folgen erzählen Menschen vor Ort und Expert:innen aus Ost- und Südost-Europa, dem Kaukasus und Zentralasien selbst ihre Geschichten, teilen den Blick und Wissen über ihre Länder von innen heraus. Es geht um ukrainische Musiker:innen, die auf Instagram und an der Front für ihr Land kämpfen, Russ:innen, die im Propagandadickicht nach Luft zu schnappen versuchen, und Angehörige der sogenannten Postost-Generation, die mit ihren komplexen Identitäten zwischen allen Stühlen ihren Platz suchen. Eine längst überfälliges, wichtiges und spannendes Format.
INA HILDEBRANDT
Arte Mediathek bis September/Oktober, 10 Episoden à 30 Min ●●●●●
Im inneren Kreis
DOKU Während die kriminellen Clans und rechte Kreise gerne unter sich bleiben, war die linksradikale Bewegung meist offen, um Diskussionsrunden herum organisiert. Offene Türen also für verdeckte Ermittler der Polizei, die hier im Zuge von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zum Zug kamen. Ganz spannend sind die sehr unterschiedlichen Blicke auf die Rolle verdeckter Ermittler: Die Bundesanwaltschaft (Kay Nehm, Foto) argumentiert sehr nüchtern, juristisch. Die „Aktivisten“ sind auch viele Jahre später noch eher persönlich beleidigt.
TB
NDR Mediathek bis 12.9., 82 Min ●●●●○
Jack Taylor s3
KRIMI Ken Bruen schreibt die „Jack Taylor“-Romane jetzt seit 2001, bis zu seinem frühen Tod übersetzte Harry Rowohlt die Bücher. Seitdem waren wir Fans nur noch auf die BBC-Serie angewiesen.
Die ist nicht schlecht, ihr fehlt jedoch der alkoholinduzierte Wahnsinn der Bücher. Dafür bekommen wir mehr von den sozialen und politischen Umwälzugen zu sehen, die in den letzten Jahren über die irische Insel hinweg gefegt sind.Und vielleicht erbarmt sich ja mal ein Verlag und führt die Bücher auch ohne den kongenialen Rowohlt weiter.
LUG
ZDF Mediathek bis 15.8., 3 Episoden à 90 Min ●●●●○
Frost
KRIEGSFILM Rokas und Inga fahren einen LKW mit Hilfsgütern für die ukrainische Armee von Litauen aus in den Donbas. Doch was sich zunächst wie eine einfache Aufgabe anhört, wird im Laufe der Fahrt zu einer Reise, mitten in das Herz der Finsternis. Der französisch-litauisch-polnische Film aus dem Jahr 2017 kann heute nur als visionär bezeichnet werden, zeigt er doch deutlich, wie sich die imperialistische Eroberungspolitik Russlands auf einfache Menschen auswirkt, die nichts mit der NATO oder anderen angeblichen Kränkungen Putins gemeinsam haben.
TB
Arte Mediathek bis 31.7., 114 Min ●●●●○
Der Feind meines Feindes
THRILLER Nachdem der Münchner Strafverteidiger Klaus Burg geholfen hat, einen Clan der ‘Ndrangheta zu sprengen, steckt das BKA ihn und seine Tochter ins Zeugenschutzprogramm. Auf Island. In ein abgelegenes Fischerdorf. Als seine Tarnung auffliegt, muss sich Burg erneut auf ein gefährliches Spiel einlassen und nach Italien reisen. Regisseur Marcus O. Rosenmüller hat hier eine Fortsetzung seines erfolgreichen Thrillers „Flucht durchs Höllental“ vorgelegt und plündert erneut erfolgreiche Hollywoodfilme.
LUG
ZDF Mediathek bis 25.2.23., 89 Min ●●○○○
Popcult Japan
DOKU Wer noch niemals einen mittelalten, 150 Kilo schweren Kerl in einem „Sailor Moon“-Kostüm gesehen hat, der weiß nicht, wie lustig Cosplay sein kann. In dieser Doku kommen eher „normale“ Fans zu Wort, Menschen, die viele Stunden Arbeit und sehr viel detailreiche Liebe in ein Samurai-Kostüm gesteckt haben. Was man dabei ja oft vergisst: In Japan sind Comics keine Produkte für eine nerdige Nische, sie sind Bestandteil der Kultur. Porträtiert werden Fans und Profis.
LUG
MDR Mediathek bis 17.7.23, 46 Min ●●●●○
Charles & Lucie
MILIEUSTUDIE Bereits im Jahr 1979 inszenierte Nelly Kaplan diese berührende Geschichte um ein älteres Ehepaar, das nur mit Müh‘ und Not über die Runden kommt. Beim täglichen Kampf ums Dasein im Vorort von Paris ist die Liebe auf der Strecke geblieben. Doch dann macht Lucie angeblich eine Erbschaft, eine Villa an der französischen Riviera. Um die Gebühr zu bezahlen, verkauft sie all ihre Besitztümer. Wird es ein Happy End geben?
LUG Arte Mediathek bis 31.8., 95 Min ●●●●○
Chamissos Schatten
DOKU Auf den Spuren von Alexander von Humboldt, Georg Forster und des titelgebenden Adelbert von Chamisso machte sich die Berliner Regisseurin Ulrike Ottinger auf den Weg in den nördlichen Pazifik. Auf der Halbinsel Kamtschatka, der Inselkette der Aleuten und in Alaska kreuzen sich verwandte Ethnien, geformt von einer langen Geschichte kultureller Kolonialisierung, die sich trotzdem nach wie vor viel Eigenes bewahrt haben. In langen Totalen und virtuosen Kamerafahrten zeigt Oettinger grandiose, naturwüchsige Landschaften, Vulkane, gigantische Wolkengebilde, Seeotterkolonien und Menschen, die ganz bei sich selbst geblieben sind. Man braucht allerdings ordentlich Sitzfleisch: Ursprünglich war der Film mal sportliche zwölf Stunden lang, 3sat zeigt ihn zerlegt in vier Teile.
TED BAXTER
3sat Mediathek bis 18.6.23, 185 Min ●●●●○