... Formwandler in den Stadien sein Unwesen. Doch wer oder was verbirgt sich hinter dieser, hierzulande aktuell als weiß-bunte Kugel aus 100 Prozent Polyurethan in Erscheinung tretenden, unheimlichen Präsenz?
Eine erste Spurensuche führt in die von Zigarettendunst und Bierschwaden vernebelte Redaktion eines namhaften Sportmagazins zu Bernie Schaluppke. Der erfahrene Journalist kann von Kopfballungeheuer-Sichtungen auf dem Fußballplatz ein Lied singen. »Dann macht es bumm, ja und dann kracht’s!« grölt er, von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet, durch das weitläufige Rund des Großraumbüros. Mehrere Jahrzehnte hindurch herrschte unter Schaluppke und seinen Kollegen stillschweigend Konsens darüber, dass als Kopfballungeheuer in der von ihm angenommenen menschlichen Gestalt niemand anders infrage kam als Ex-Nationalspieler und HSV-Legende Horst Hrubesch. Seine Ehrenmitgliedschaft in der IG Edelbluthaflinger e.V. sowie die an demenzbedingte Sprachstörungen erinnernden Aussprüche wie »Man lässt das alles noch mal Paroli laufen« oder »Manni Banane, ich Kopf – Tor« galten lange Zeit als beste Beweise. Aber spätestens sein Trainerengagement Anfang Mai in Hamburg für die letzten drei Saisonspiele, um den einstigen Bundesliga-Dino wieder ins Fußball-Oberhaus zurückzuführen, brachte Gewissheit: Der Drops ist gelutscht! Hrubesch kann es nicht sein! Auch er wurde anscheinend durch unzählige gewonnene Luftzweikämpfe in seiner Profikarriere vom tatsächlichen Kopfballungeheuer um den Verstand gebracht.
Schaluppkes Recherchen zufolge sind inzwischen andere Spieler in den Mittelkreis der Verdächtigen gerückt. Er klappt sein Notebook auf und klickt hastig den Bildschirmschoner mit den beiden prall aufgepumpten Bällen des leicht bekleideten Soccer-Girls aus den »Sexy Sport Clips« weg. Schaluppke ruft eine Website nach der anderen auf. »Massenhaft mutmaßliche Manifestationen!«, alliteriert er sportjournalistisch gekonnt und beweist mit Überschriften wie »90 + 2. Kopfballungeheuer schlägt gegen FSV Feldenede zu«, dass wir nicht allein sind und es da draußen vielleicht doch noch mehr gibt als einen strammen Volley mit rechts.
Ist die Vorstellung eines okkulten Kopfballungeheuers als Erklärung für das erhöhte Demenz-Risiko unter Fußballern in Wirklichkeit nicht großer Mumpitz bzw. vollkommener Humbug? »Mitnichten!«, findet der Sportund Parapsychologe Professor Mumpitz von der Humbug-Universität. »Der Fußball ist voller übernatürlicher Phänomene: Zum Ende jeder Saison ist das Abstiegsgespenst im hinteren Tabellendrittel allgegenwärtig. Immer wieder fallen Phantomtore, die kein Spieler geschossen haben will. Vermeintlich unterlegene Mannschaften verwandeln sich von jetzt auf gleich in elf Mentalitätsmonster. Südamerikanische Fußballkommentatoren huldigen dem ›Ghuuuuuuuuuuuuuuuuuul!‹. Und der von bösen Mächten wie Franz B. vielbeschworene Geist von Malente spukt heute ebenfalls noch sowohl in der ostholsteinischen Sportschule als auch in den vom Ungeheuer lädierten Oberstübchen aller künftigen Nationaltrainer herum.«
Sollte das Kopfballungeheuer weiterhin sein Unwesen treiben und vormals medizinisch unauffällige Realschüler in Niklas Süle verwandeln, fordert der renommierte Sportarzt Dr. Müller, Ehrenamtler bei der Wohlfahrt, drastische Konsequenzen. Er möchte das Kopfballungeheuer bezwingen und findet es richtig, dass in den unteren Jahrgängen schon heute das Spielen des Balles mit dem Kopf verboten ist. Müller kann sich sogar vorstellen, dass auch im Erwachsenenbereich nur noch die Spieler den Ball mit dem Kopf spielen dürfen, bei denen negative Folgen ausgeschlossen werden können. »Es wäre völliger Blödsinn, wenn wir Lukas Podolski vor einer geistigen Beeinträchtigung schützen wollten, das wäre unver-hältnismäßig«, sagt Müller. Er pfeift kurz durch die Zähne und dreht dazu vielsagend seinen rechten Zeigefinger um sein Ohr. Diese Spieler könnten seiner Meinung nach ein Attest in Form einer nicht bestandenen MPU mit sich führen. Bei einem Kopfballtor könnte dann der Trainer eine Spielunterbrechung beim 4. Offiziellen beantragen. Nach einer kurzen Rücksprache mit dem Videoschiedsrichter in Köln würde dann das Attest von zwei Notaren im Dienste des DFB begutachtet werden. Vier Unterschriften und zwei beglaubigte Kopien später würde dann der Treffer ohne großes Brimborium zählen, wenn kein Einspruch der gegnerischen Mannschaft einginge.
Aber wäre das noch der Fußball, den wir lieben und der mit seinen Protagonisten kurz vor oder deutlich nach der geistigen Behinderung unsere Herzen und Köpfe eroberte? Vielleicht muss das Kopfballungeheuer doch noch ein bisschen weiterleben. Und sei es nur dafür, dass sich nicht so viele Leute an die vielen Meisterschaften des FC Bayern erinnern müssen.
DANIEL SIBBE ZEICHNUNGEN: ARI PLIKAT