... Ophuysen/Harazd 2014) identifiziert Input- und Prozessmerkmale, die für das Gelingen des Grundschulübergangs als Output-Variable bedeutsam sind. Für die weiterführenden Schulen stellen die individuellen fachlichen und sozialen Fähigkeiten der Schüler:innen, die diese aus der Grundschule mitbringen, sowie ihre persönlichen Erwartungen an die weiterführende Schule wichtige Eingangsbedingungen dar. Daneben sind die Qualifikationen der Lehrkräfte und schulorganisatorische Merkmale als weitere wichtige Input-Merkmale an der weiterführenden Schule zu nennen. Die Maßnahmen zur Übergangsgestaltung sind in diesem Modell die Prozessvariablen und dienen letztlich der schülerseitigen Bewältigung des Übergangs. Dabei sind sowohl die Entfaltung des individuellen Leistungspotenzials als auch die Sicherung des schulischen Wohlbefindens als wichtige Zielvariable von Schule in den Blick zu nehmen (Hagenauer 2011).
STUDIE
In einer Studie haben wir die Verbreitung der oben genannten, theoretisch verankerten Maßnahmen untersucht.
Die Daten der Studie wurden mittels Online-Befragung im Schuljahr 2018/2019 an weiterführenden Schulen in NRW erfasst. Per E-Mail wurde eine Zufallsauswahl von 540 Schulen um Teilnahme gebeten und erhielt den Befragungslink. Die Rücklaufquoten variierten je nach Schulform (Gym: 48 Prozent; RS: 35 Prozent; HS: 17 Prozent; Ges: 46 Prozent; Sek: 31 Prozent).
An der Befragung nahmen letztlich 198 Personen stellvertretend für ihre Schule teil (vgl. Tabelle 1).
Kernstück des Online-Fragebogens ist eine Liste an Gestaltungsmaßnahmen aus den oben erläuterten Inhaltsbereichen (vgl. Tabelle 2). Für jede Maßnahme sollte angegeben werden, ob diese aktuell praktiziert wird (0 = nein, 1 = ja). In der Spalte Verbreitungsgrad in Tabelle 2 ist pro Maßnahme die prozentuale Häufigkeit notiert, mit der diese – nach Auskunft der befragten Lehrkräfte – zum Befragungszeitpunkt an den Schulen umgesetzt wurde. Die Werte variieren erheblich und liegen zwischen 99 Prozent (Eingewöhnungsphase; Informationsveranstaltung für Eltern und Kinder vor Anmeldung) und 17 Prozent (gemeinsame Fortbildung mit Lehrkräften der Grundschule). Die Maßnahmen zur sozial-emotionalen Begleitung erreichen einen sehr hohen durchschnittlichen Verbreitungsgrad (89,2 Prozent); ebenso die Aktivitäten zur fachlichen, unterrichtsbezogenen Begleitung (86,1 Prozent). Der Verbreitungsgrad der diagnostischen Aktivitäten zu Beginn der fünften Klassen liegt bei 63,8 Prozent. Den höchsten mittleren Verbreitungsgrad erreichen die Maßnahmen im Bereich der Informierung und Beratung (91,7 Prozent), wobei Maßnahmen zur Informierung im Vorfeld des Übergangs häufiger praktiziert werden als die erfragten Aktivitäten der Elternarbeit nach dem Wechsel. Deutlich weniger verbreitet sind Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung (44,4 Prozent).
Das Schlusslicht bilden die Maßnahmen der schulstufenübergreifenden Kooperation (36,2 Prozent), wobei die Angaben je nach Maßnahme erheblich variieren (17,1 Prozent gemeinsame Fortbildungen; 87,8 Prozent Kontakthalten mit wichtigen zuliefernden Grundschulen).
DISKUSSION
Insgesamt haben viele der von uns abgefragten Maßnahmen erfreulicherweise einen hohen Verbreitungsgrad. Dabei nehmen schülerbezogene Maßnahmen die führende Position ein. Im Folgenden werden die Maßnahmen erläutert, deren Umsetzung unseres Erachtens jedoch ausbaufähig ist: Der informelle Austausch über die Schüler:innen im Kollegium als Teilbereich der Diagnostik – und damit ein erster Schritt zur Sicherung eines multiperspektivischen Blicks auf die Kinder – findet eine hohe Verbreitung (~ 98 Prozent). Die systematische Dokumentation von Schülerinformation, beispielsweise in Form von Profilbögen, wird hingegen nur von knapp drei Viertel der Schulen genutzt. Diese Maßnahme stellt jedoch eine gute Möglichkeit dar, Informationen systematisch zu erfassen und dauerhaft für spätere Beurteilungen verfügbar zu halten. Noch seltener werden die Einschätzungen über die Schüler*innen aus der Grundschule berücksichtigt. Vermutlich spielen hier auch rechtliche Schwierigkeiten eine Rolle, da die formale Weitergabe von Schülerinformationen nur mit Einwilligung der Eltern möglich ist. Die Informationen über besondere Auffälligkeiten eines Kindes und über geeignete Fördermöglichkeiten oder Umgangsweisen können jedoch sehr hilfreich sein. Wünschenswert ist dabei ein professioneller und differenzierter Umgang mit diesen Informationen, damit die Vorinformationen nicht unreflektiert die eigene Urteilsbildung prägen.
Die in dieser Studie abgefragten Maßnahmen, die dem Bereich der Organisations- und Personalentwicklung zugeordnet wurden, unterscheiden sich deutlich in ihrer Verbreitung. Fast alle Schulen geben an, eigene Informationsmaterialien zu erstellen, die über die Schule und ihre Besonderheiten informieren. Hingegen findet sich deutlich seltener ein schriftliches Übergangskonzept. Ein solches Konzept kann jedoch das organisatorische Wissen und Praktiken hinsichtlich des Übergangs und des Starts an der neuen Schule vor allem nach innen kommunizieren und so Zielklarheit und Kohärenz herstellen (Rolff 2005). Für eine nachhaltige Entwicklung ist letztlich die Qualifikation des beteiligten Personals von hoher Bedeutung. Die Frage nach pädagogischen Konferenzen beantworteten zwar über 60 Prozent positiv, an deutlich weniger als der Hälfte der Schulen nehmen die Kollegien aber an schulinternen Arbeitsgruppen oder spezifischen Fortbildungen teil.
Wenngleich nach unserer Befragung die meisten Schulen Kontakt zu den für sie wichtigen Grundschulen halten und feste Ansprechpersonen haben, die für Anfragen aus den Grundschulen zur Verfügung stehen, finden alle anderen abgefragten Maßnahmen an weniger als der Hälfte der Schulen statt, obwohl entsprechende kooperative Aktivitäten auch von der KMK ausdrücklich empfohlen werden (KMK 2015). So geben nur knapp 30 Prozent der Schulen an, in schulstufenübergreifende Netzwerke eingebunden zu sein. Die stufenübergreifende Kooperation in Schulnetzwerken gilt jedoch als Qualitätsmerkmal der Übergangsgestaltung (z. B. van Ophuysen/Harazd 2014). Die bisherige Forschung deutet darauf hin, dass in Schulnetzwerken der Übergang durch stufenübergreifenden Ideenaustausch, durch Professionalisierung der Lehrkräfte durch gemeinsame Reflexionsprozesse und durch die Bündelung von Kompetenzen zur gemeinsamen Zielerreichung besser gelingen kann (Jungermann et al. 2018). So zeigen auch weiterführende Analysen unserer Studie, dass stärker kooperierende Schulen signifikant mehr Maßnahmen in Bezug auf die Übergangsgestaltung praktizieren. Gerade Maßnahmen, die spezifisches Wissen über die Abläufe der Grundschule beziehungsweise die Bereitschaft voraussetzen, typische Grundschulelemente zu übernehmen, werden an aktiv kooperierenden Schulen häufiger praktiziert.
Der eher geringe Anteil an stufenübergreifender Kooperation lässt sich durch die mit der Arbeit in Schulnetzwerken verbundenen Herausforderungen, wie der Koordination oder den benötigten personellen sowie zeitlichen Ressourcen, erklären. Die Initiierung, Unterstützung und Begleitung von Netzwerken durch breit angelegte Fortbildungsmodule der Kompetenzteams in den Städten und Kreisen vor Ort sowie ein systematisches Übergangsmanagement auf kommunaler Ebene könnten diese Schwierigkeiten vermutlich reduzieren (Sartory et al. 2017) und sowohl für Grund- als auch für weiterführende Schulen besonders gewinnbringend sein.
Die Ergebnisse unserer Studie können Schulen dabei unterstützen, sich systematisch mit dem Thema Übergangsgestaltung zu beschäftigen. Die in unserer Studie abgefragten Maßnahmen, kategorisiert nach inhaltlichen Bereichen, können als Checkliste genutzt werden, um bestehende Übergangsmaßnahmen oder auch -konzepte zu reflektieren, Zielsetzungen zu hinterfragen beziehungsweise neu zu formulieren und nach und nach weitere Maßnahmen abzuleiten und zu erproben.
DR. STEFANIE VAN OPHUYSEN hat Statistik und Psychologie studiert. Seit 2009 ist sie Professorin für Forschungsmethoden und empirische Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) der WWU Münster.
↗ vanophuysen@uni-muenster.de
DR. BEA BLOH hat Erziehungswissenschaft studiert und promovierte zur Thematik des Grundschulübergangs. Sie ist seit 2017 Professorin für Schulpädagogik der Sekundarstufe I am Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) der Universität Paderborn.
↗ bea.bloh@uni-paderborn.de
DR. SINA SCHÜRER arbeitet als akademische Rätin am IfE der WWU Münster. Neben dem Studium der Psychologie hat sie Lehramt für die Primarstufe studiert und zehn Jahre als Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin gearbeitet.
↗ schuerer@uni-muenster.de
LITERATUR
Breuing, K. (2014): Schulbezirke und ihre Aufhebung in NRW – Ländervergleich und schulrechtliche Regularien. In: Breuing, K. (Hrsg.): Schulwahl und Schulwettbewerb im dualen System. Wiesbaden, S. 13–41.
Büchner, P./Koch, K. (2001): Von der Grundschule in die Sekundarstufe. Der Übergang aus Kinder- und Elternsicht. Opladen.
Filipp, S. H. (1995): Ein allgemeines Modell für die Analyse kritischer Lebensereignisse. In: Filipp, S. H. (Hrsg.): Kritische Lebensereignisse. München, S. 3–52.
Hagenauer, G. (2011): Lernfreude in der Schule. Münster.
Hildebrandt, J. (2015): Das Erleben von Herausforderung und Bedrohung am Grundschulübergang. Analysen zu Validität, Leistungsentwicklung und Ressourcen. Dissertation. Fachportal Pädagogik.
Jungermann, A./Pfänder, H./Berkemeyer, N. (2018): Schulische Vernetzung in der Praxis. Wie Schulen Unterricht gemeinsam entwickeln können. Münster.
Klauer, K. J. (1982): Perspektiven Pädagogischer Diagnostik. In: Klauer, K. J. (Hrsg.): Handbuch der pädagogischen Diagnostik. Düsseldorf, S. 3–14.
KMK (2015): Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 02.07.1970 i. d. F. vom 11.06.2015. www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2015/Empfehlung_350_KMK_Arbeit_Grundschule_01.pdf
Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2019): Das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Sicht 2018/19. Statistische Übersicht Nr. 404 – 1. Auflage. www.schulministerium.nrw/sites/default/files/documents/Quantita_2018.pdf
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. Schulgesetz. www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Schulrecht/Schulgesetz/Schulgesetz.pdf
Rolff, H.‐G. (2005): Schulprogramm als kollegialer Diskurs. Überlegungen vor dem Hintergrund von Evaluation. In: Göhlich, M./Hopf, C./Sausele, I. (Hrsg.): Pädagogische Organisationsforschung. Wiesbaden, S. 133–150.
Sartory, K./Jungermann, A./Järvinen, H. (2017): Support for School-to-School Networks. How Networking Teachers Perceive External Support by a Local Coordinating Agency. British Journal of Educational Studies, 65(2), S. 143–165. https://doi.org/10.1002/per.2410010304
van Ophuysen, S. (2006): Übergangserwartungen und der Start in der neuen Schule. In: Hinz, R. (Hrsg.): Professionelles Handeln in der Grundschule: Entwicklungslinien und Forschungsbefunde. Baltmannsweiler, S. 97–105.
van Ophuysen, S. (2013): Der Grundschulübergang aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler – Befunde aus quantitativen Studien. In: Berkemeyer, N./Beutel, S.-I./Järvinen, H./van Ophuysen, S. (Hrsg.): Übergänge bilden – Lernen in der Grund- und weiterführenden Schule. Köln, S. 98–121.
van Ophuysen, S./Harazd, B. (2014): Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule aus der Perspektive der Schulqualität: ein Übergangsqualitätsmodell. In: Pfeifer, M. (Hrsg.): Schulqualität und Schulentwicklung – Theorien, Analysen und Potenziale. Münster, S. 73–92.