... Kiefernzweigen absichern, damit die wütende See nicht zu sehr an ihnen nagt. Die Stürme, sagt Kęstutis, sind dann Fluch und Segen zugleich:
Die Bernsteinsammler freuen sich über das angespülte „Gold des Meeres“, die Förster hingegen müssen Überstunden einlegen …
Die Kurische Nehrung, UNESCO-Welterbe, ist eine traumhaft grandiose Landschaft: Fast 100 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle nicht einmal 400 Meter breit. Die südliche Hälfte gehört zu Russland, die nördliche zum Euro-Land Litauen. Mitten im stillen Kiefernwald verläuft hier eine NATO- und Schengenraum-Außengrenze, und immer wieder erfassen Detektoren und Wärmekameras den Förster auf seinen Rundgängen.
Es ist eine Landzunge voller Kontraste – mit Dünen, Wäldern, sturmumtostem Ostseestrand und stillem Haff. Mittendrin hat Kęstutis Dikšas, der jüngste Oberförster Litauens, sein Revier. Der „Dünenförster“ ist ein wichtiger
Mann auf der Nehrung. Denn erst„seine“ Bäume, einst gepflanzt von den Preußen, stoppten die wandernden Sandmassen und machten die „ostpreußische Sahara“ bewohnbar.
Orte wie Nida (Deutsch Nidden), Juodkrante (Dt. Schwarzort), Preila (Dt. Preil) und Pervalka (Dt. Perwelk) sind noch heute geprägt von Fischerhäusern mit verzierten Giebeln, reetgedeckt. mit blauen Windbrettern versehen.
Eine verträumte Halbinsel zwischen Meer und blauer Lagune, wie aus der Zeit gefallen.
Die Kurische Nehrung galt bis Anfand des 20.
Jahrhunderts als absolutes Traumziel.
Orte wie Sandkrug, Erlenhain oder Rossitten waren Inbegriff von Reisezielen der Sehnsucht, von purer Ostseeromantik und heiler Welt. Wilhelm von Humboldt schrieb 1809: „Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut als Spanien oder Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll.“
Jagd nach dem Gold des Meeres
Bald, nach der Corona-Krise, kommen die Touristen wieder in Scharen, so hofft jedenfalls Förster Kęstutis: „Seitdem Litauen der Europäischen Union beigetreten ist, liegt die Nehrung nicht mehr in gefühlt unerreichbarer Ferne, sondern mitten in Europa.“
Am Strand von Nida sucht der 70-jährige Kazimieras Mizgiris nach Bernstein. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Kurische Nehrung ein Dorado für Bernsteinsucher – wieder, denn bereits im Altertum bestanden feste Handelswege quer durch ganz Europa bis hin zu den ägyptischen Pharaonenpalästen am Nil, und auch die alten Römer waren versessen auf die prähistorischen Harzklumpen aus dem heutigen Litauen. Nach jedem Sturm ist Kazimieras am Spülsaum unterwegs. Er sammelt, schleift und verkauft die versteinerten Harzbrocken – das Gold des Meeres.
Auf der Kurischen Nehrung, mehr als fünftausend Jahre durch Sand, Wind und Wellen geformt, ist alles etwas rauer. „Tanzende Bäume“ nennen die Litauer die schief gewachsenen Kiefern, die sich nur vor dem Wind verneigen.
Der Radweg verläuft direkt neben der meist leeren Straße. Verlassene Militärgebäude aus Sowjetzeiten verfallen allmählich – manche Touristen mögen gerade diesen Charme einer längst vergangenen Ära, sagt Förster Kęstutis.
Die Retter der Dünen
Die Bäume stammen aus Dänemark, erzählt er, sie haben besonders ausladende Wurzeln.
So halten sie die Nehrung fest. Früher hatten Sandverwehungen regelmäßig Dörfer unter dicken Schichten begraben. Nida ist verschont geblieben, mit 1600 Einwohnern schon die größte Ortschaft der Halbinsel.
Ende des 19. Jahrhunderts waren es die Abgeschiedenheit und das besondere Licht, die zahlreiche Künstler ins damalige Nidden lockten. Berühmtester Feriengast war der Schriftsteller Thomas Mann. Von 1930 bis 1933 verbrachte der Lübecker hier seine Sommer, ließ sich auf dem Schwiegermutterberg ein rotes, reetgedecktes Ferienhäuschen mit blauen Fensterläden bauen – im typischen kurischen Stil. Heute ist es ein kleines Museum.
Ewiger Sehnsuchtsort Meer
„Es ist dieses Meer, das man überall hört und zu dem alle Wege führen. Weit breitet es sich aus; jeden Tag hat es ein anderes Gesicht “, schrieb der Nobelpreisträger. Ob er auch die 52 Meter hohe Parniddener Düne erklommen hat, ist nicht verbürgt – aber die überwältigende Aussicht auf Haff und Meer von der zweithöchsten Düne Europas, dazu den Duft der Wälder und das Plätschern der Wellen, das alles hat er sich wohl kaum entgehen lassen.