... zerrten ihn weiter, bis er mit seinem verlängerten Rücken gegen die Kante der Ladefläche stieß, und zogen ihn schließlich auf dem Rücken liegend ohne Rücksicht auf Schäden an Körper oder Kleidung komplett auf die dem Knirschen nach nicht einmal besenreine Ladefläche. Als seine Füße ebenfalls ihren Weg in den Wagen gefunden hatten und nicht mehr im Weg waren, rollte die Schiebetür zu.
Erst jetzt begriff der theoretisch auf einen solchen Angriff vorbereitete und dagegen ausgebildete, praktisch aber einem solchen gegenüber in diesen Sekunden hilflose Kommissar wirklich, dass ihn nicht jemand aus Versehen im Vorbeigehen berührt, sondern ihn entführt hatte. Oder besser – ihn in diesem Moment gerade entführte!
„Der Boss möchte dich sprechen!“, erfuhr er von einer besonders tief verstellten Stimme, die er niemals wiedererkennen würde. „Er möchte dich zurück auf den rechten Weg bringen!“ Und er erfuhr auch, dass er sich keine Gedanken um Fahrschein und Fahrstrecke machen müsse, da man ihn als speziellen Service fahren werde. Gesehen hatte er die beiden Männer nicht, zu schnell war alles abgelaufen und zu eilig hatten sie ihm eine unangenehm nach Kunstfaser duftende Binde über die Augen gezerrt und seine Hände mit unfreundlich engen Kabelbindern gefesselt.
Trotz seiner schwierigen Situation musste Barth grinsen. Sahen diese beiden Typen tatsächlich so aus, wie jeder sich zwei Entführer vorstellte, bedienten sie gar alle einschlägigen Klischees? Trug der eine vielleicht eine Schweinchenmaske aus dem Karneval und der andere das übergestülpte Gummigesicht eines früheren US-Präsidenten?
„Er möchte dich zurück auf den rechten Weg bringen!“
Und saß dieser „Boss“ vielleicht im Bademantel am zugefrorenen Swimmingpool, mit einem Whisky in der einen und einer Zigarre in der anderen Hand, während neben ihm ein muskulöser Kerl im Anzug böse schaute und eine frierende Schönheit im Bikini lächelte?
Wer mochte dieser „Boss“ sein? Sie hatten in der letzten Zeit gegen mehrere Männer ermittelt, die Köpfe kleiner oder mittlerer Organisationen waren und „Boss“ sein konnten. Tomanek, der in seiner Villa im Norden der Stadt residierte, keinen Widerspruch und besonders nicht die Polizei im Haus duldete und am liebsten seine beiden Hunde auf sie gehetzt hätte? Zinner im Süden, der „Glatte“, der für alles eine Rechtfertigung und für jedes Problem einen Anwalt besaß? Apelt in dem alten Bauernhof im Westen, noch charmanter als so manche Frau, oder Ditges im Osten, unsichtbar wie ein Schlossgeist, den auch sie nicht befragen konnten? Diese vier Männer hatten die Stadt unter sich in ihre vier „Arbeitsbereiche“ aufgeteilt. Deshalb war es weitaus gefährlicher, im falschen Gebiet zu agieren, als in der falschen Tarifzone mit dem Bus zu fahren.
Barth fiel auf, dass er keine Waffe trug, und sofort fiel ihm ein, warum das so war. Weil er nicht dienstlich, sondern privat in der Stadt unterwegs gewesen war, um ein Geschenk für Nadine zu kaufen. Das Fahrzeug fuhr an und rollte geradeaus weiter in die Richtung, in der es gestanden hatte, dabei lärmte das Autoradio mit unverminderter Lautstärke weiter. Wahrscheinlich wollten sie nicht durch seine möglichen Hilferufe auffallen, dachte Barth, sie wollten dies lieber durch offensichtlich schlechten Musikgeschmack tun.
Er rollte sich zur Seite und versuchte, ohne Respekt seiner neuen Jacke gegenüber, mit den gefesselten Händen sein Mobiltelefon aus der Innentasche zu ziehen. Es gelang ihm und er erfühlte die Tasten, die er für einen derartigen Notfall programmiert hatte. Und er teilte – vor dem Handy liegend – seinem Kollegen Haller flüsternd mit, dass der Wagen zuerst nach links abbog, dann nach rechts, danach noch einmal nach rechts, später nach links, schließlich wieder nach rechts und so zuletzt lange geradeaus weiterfuhr, bis er hielt …
Können Sie Haller helfen? Wissen Sie, welcher „Boss“ der Auftraggeber der Entführung war?
ENDE
Die Auflösung finden Sie auf S. 48