neueenergie: Frau Schlacke, Sie kritisieren, dass das deutsche Klimaschutzgesetz, das jetzt auf den Weg gebracht worden ist, nicht mit bestehenden europarechtlichen Vorgaben in Einklang gebracht wurde. Worum geht es dabei genau?
Sabine Schlacke: Die Europäische Union hat vor einem Jahr ein neues, umfassendes Legislativpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ auf den Weg gebracht. Darin geht es unter anderem um grenzüberschreitende Verbindungen großer Stromtrassen, die Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und um die Novellierung der Energieeffizienz- Richtlinie. Darüber hinaus wurde eine sogenannte EU-Governance-Verordnung zur Errichtung einer europäischen Energie- und Klimaunion verabschiedet. Diese Verordnung ist das gemeinsame europäische Dach, unter dem ab 2021 Energie- und Klimapolitik zusammengefasst sind. Sie regelt vor allen Dingen den Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz in der EU für den Zeitraum von 2021 bis 2030. Es gibt also einen neuen, europäischen Rahmen, der absolut in die richtige Richtung weist.
Sabine Schlacke
ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen (WBGU), ein Gremium, das Kanzleramt und Ministerien in klima- und umweltpolitischen Fragen berät.
ne: Ist das bei der Verfehlung der in den Plänen festgeschriebenen Ziele nicht ähnlich? Hat die EU Sanktionsmöglichkeiten?
Schlacke: Nein. Wie im Pariser Übereinkommen legen die EU-Länder nach der Governance- Verordnung ihre Ziele und Maßnahmen selbst fest. Rechtlich verbindliche Pflichten bestehen nur für die Vorlage der Pläne und die dann folgende regelmäßige Berichterstattung, nicht aber für das Ambitionsniveau und die Effektivität der Maßnahmen. Das liegt an den begrenzten Gesetzgebungskompetenzen der EU im Rahmen der Energiepolitik. Der Lissabon-Vertrag von 2009 hat für die EU weniger Kompetenzen etwa für die Festlegung des Energiemixes gebracht, die Mitgliedstaaten hatten ihre Souveränität ausgespielt. Umso wichtiger ist es jetzt, die Ambitionen national zu schärfen.
ne: Sie haben an einer Stellungnahme zu der Governance-Verordnung mitgewirkt. Darin wird festgestellt, dass die EU aber durchaus Druck ausüben könnte. Wie?
Schlacke: Bislang kann die Kommission eigentlich nur Empfehlungen abgeben. Eine Arbeitsgruppe des Projektes „Energiesysteme der Zukunft“ der deutschen Wissenschaftsakademien hat aber Möglichkeiten der Sanktionierung aufgezeigt. Auf nationaler Ebene wäre es möglich, die Ziele aus den NECP für die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft rechtsverbindlich festzuschreiben, etwa in dem man Klagebefugnisse für Nicht-Regierungsorganisationen aus dem Umweltbereich festlegt. Damit würde die Politik ein Grundprinzip des Rechtsstaates anwenden. Es würde dafür gesorgt, dass gesetztes Recht auch eingehalten wird. Derzeit versucht man aber eher, Verbandsklagerechte zu beschneiden.
ne: Gibt es weitere Möglichkeiten?
Schlacke: Die EU-Kommission könnte festlegen, dass es Fördermittel aus dem Europäischen Struktur- und Investitionsfonds nur noch dann gibt, wenn das jeweilige EU-Land die selbstgesteckten Klima- und Erneuerbaren- Ziele auch erreicht. Derzeit bietet sich genau dazu die Gelegenheit, die Strukturfördermaßnahmen werden aktuell neu festgelegt. Die neue Kommission wird sich damit sicher befassen. Zumal darüber schon jetzt in Brüssel gesprochen wird.
ne: Berlin hat aber erheblichen Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel …
Schlacke: Im Grunde ist es die Öffentlichkeit, die herausgefordert ist. Sie muss aufzeigen, dass die europäischen Verpflichtungen nicht ernst genommen werden. Die Zivilgesellschaft muss gemeinsam mit Nicht-Regierungsorganisationen den Finger in die Wunde legen, „naming and shaming“ heißt es so schön auf Englisch. Wobei es auch für die heimische Wirtschaft von Vorteil wäre, wenn die Rahmenbedingungen rechtssicher wären.
ne: Was meinen Sie genau?
Schlacke: Würden die nationalen Ziele bis zum Jahr 2030 mitgliedstaatlich verbindlich definiert, wäre das ein Signal, auf das sich sowohl die Wirtschaft im regenerativen Energiebereich einstellen könnte wie auch die Energiewirtschaft, die noch im fossilen Bereich agiert. Und auch die Netzbetreiber hätten endlich Klarheit.
ne: Der Kohleausstieg wäre also Teil des deutschen NECP?
Schlacke: Ich gehe davon aus, dass er inte- griert wird. Allerdings verkürzt. Es geht dann nur um die deutschen Regionen. Man denkt aber nicht grenzüberschreitend. Es wird nicht an eine Kohleausstiegs-Allianz etwa zwischen Deutschland und Polen oder an die Macron‘sche CO2-Allianz angeknüpft. Der deutsche Klimaschutz greift europäisch gedacht zu kurz. Deshalb bin ich dafür, dass die Regionalförderung grenzüberschreitend gedacht wird, als Anreiz, nicht als Verbot.
ne: Wie lautet Ihr Fazit?
Schlacke: Wir brauchen eine ganzheitliche ambitionierte nationale Strategie, um unseren Beitrag zu einer effektiven, europäischen Energie- und Klimapolitik zu leisten. Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Energieeffizienz und den Emissionshandel miteinander verknüpfen. Und dabei auch über unser neues Instrument, die CO2-Bepreisung, nachdenken. Wir müssten eine umfassende Energiesteuerreform durchführen, am besten auf EU-Ebene, die dann tatsächlich fossile Energieträger höher besteuern würde als die Stromgewinnung aus regenerativen Energiequellen. Das wäre ein großer Schritt nach vorn. Dazu braucht es aber einen integrativen Ansatz. Zurzeit denken wir in Ressort-Zuständigkeiten. Das Zusammenspiel der genannten zuständigen Ressorts ist bislang nicht optimal gestaltet.
ne: Wäre eine europäische Energiesteuerreform nicht sehr aufwändig?
Schlacke: Wir müssen die Pfade bis 2030 diskutieren, auch gesamtgesellschaftlich. Dann wird dem Einzelnen viel klarer, was wir künftig im Effizienzbereich, bei den Netzen und den erneuerbaren Energien wirklich noch brauchen. Die Diskussion über die Zulassung von einzelnen Windkraftanlagen wird dann schnell überflüssig. Wir brauchen die, ebenso wie viele große Windparks. Denn es ist ja offensichtlich, wir können nicht alles mit dem Emissionshandel lösen. Auch nicht, wenn er seitens der EU für große Industrieanlagen und den Flugverkehr vorgesehen ist. Damit sind noch immer kleine und mittlere Industrieanlagen nicht erfasst. Wir haben also nicht nur im Gebäude- und Verkehrsbereich keinen ETS (Emissions Trading System, Anm. d. Red.). Um nun aber im Verkehrsbereich den Emissionshandel aufzubauen, werden wir sehr viel Bürokratie- Aufwand betreiben müssen. Und wir haben fünfzehn Jahre gebraucht, damit der Emissionshandel für Industrieanlagen überhaupt greift. Wenn das im Verkehrsbereich auch so läuft, dann dauert das viel zu lange. Bei einer CO2-Steuer hätten wir einen klaren Preis, alle könnten sich darauf einstellen. Und zwar sofort.
Diskussion im Beraterkreis
Was bremst hierzulande die Energiewende – und wie kommt sie wieder in Schwung? Das waren die Leitfragen, die am 19. November bei einem Treffen des Wissenschaftlichen Beraterkreises von neueenergie und Mitgliedern der Redaktion intensiv diskutiert wurden. Bei dem Termin anwesend waren (v.l.):Sabine Schlacke (Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen & Universität Münster),Jörg-Rainer Zimmermann (Chefredakteur neueenergie ),Manfred Fischedick (Vize-Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie),Andreas Reuter (Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme & Universität Hannover),JoachimNitsch (ehemaliger Leiter der Abteilung „Systemanalyse und Technikbewertung“ am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt & Beirat des CO2-Abgabe- Vereins),VolkerQuaschning (Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin), Tim Altegör (CvD neue energie),AstridDähn (stellv. Chefredakteurin neueenergie ).
Das vorliegende Interview mit Sabine Schlacke ist eines der Arbeitsergebnisse dieser Runde. Die Reihe wird fortgesetzt.
Foto: Roland Horn
Foto: Roland Horn