»Der Schlüssel zur KOMMUNIKATION mit der Welt ist FREUNDLICHKEIT.«
Dr. Marianne Koch
Davon träumen wir alle: ewig jung zu bleiben! Oder besser: steinalt zu werden – das aber gesund und topfit. Geistig wie körperlich. Die gute Nachricht: Das müssen wir nicht dem Zufall überlassen, denn wir können einiges dafür tun! Schon eine Handvoll gesunder Angewohnheiten kann sich messbar positiv auf die Lebenserwartung auswirken.
Wie es gelingt, geistig jung, gesund und voller Elan zu bleiben, lebt uns Ärztin und Buchautorin Dr. Marianne Koch vor, die vor Kurzem ihren 90. Geburtstag feierte. Ihr Motto: „Erfolgreich altern“.
Die durchschnittliche Lebenserwartung für neugeborene Mädchen lag 2020 in Deutschland bei 83,4 Jahren, für Jungen bei 78,6 Jahren. Das ergeben die Daten des Statistischen Bundesamts. Medizinischer Fortschritt im Kampf gegen lebensbedrohliche Krankheiten und bessere Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass die Bundesbürger immer älter werden (siehe auch Grafik Seite 10). Auch wissen hierzulande inzwischen deutlich mehr Menschen Bescheid über die Möglichkeiten, die jeder und jede selbst für ein längeres, gesünderes Leben hat: Themen wie Ernährung, Bewegung und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sind allgegenwärtig – viel mehr als noch vor einigen Jahren.
Doch nicht jeder begegnet dem Älterwerden mit Freude. Denn es geht auch mit einer Vielzahl an Klischees und Vorurteilen einher. Wir werfen einen Blick auf die gängigsten und klären auf, was zutrifft, was nicht und was wirklich jung hält.
Hauptsache, Stürze vermeiden? Nicht nur!
■ Bloß nicht die Treppe hinunterfallen oder über eine Schwelle stolpern! Das gilt vielen älteren Menschen als Maxime, wenn es um die eigene Beweglichkeit geht. Mehr verlangen sie ihrem Körper nicht ab. Dabei weiß man unterdessen: Bewegung ist viel wichtiger – sie lässt uns Flügel wachsen! Nach einem ausgedehnten Spaziergang, nach der Fahrradtour durchs Grüne oder einer Runde im Schwimmbecken fühlen wir uns energiegeladen und sind meist besser gelaunt als zuvor. Bewegung ist viel mehr als eine gute Sturzprophylaxe!
Körperliche Aktivität kann die Seele und den Organismus gleicher maßen gesund halten. „Bewegung ist die Ursache allen Lebens“, wusste schon der Universalkünstler Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert. Marianne Koch ist heute überzeugt: „Körperliche Aktivität ist der Schlüssel zum erfolgreichen Altern!“ Mit ihr kann man nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen, sondern auch das Immunsystem stärken, Ar throse und Osteoporose verhindern. „Und unser ganzes Skelett, die über 200 Knochen, verlieren an Festigkeit, wenn wir sie nicht durch einen aktiven Lebensstil regelmäßig belasten“, sagt Marianne Koch, die täglich mit ihrem Hund einen Spaziergang macht und weiß, wie daraus ein perfektes Bewegungstraining wird: Aufrecht gehen! Schultern zurück, Bauch einziehen, Arme locker schwingen! Oder: als Übung für den Gleichgewichtssinn 30 Schritte präzise auf einer gedachten Linie entlanggehen. Bewegung bedeutet auch Schutz vor der Sarkopenie, dem Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft, die fast immer den Anfang von Gebrechlichkeit bedeutet.
Das Herz wird automatisch immer schwächer? Irrtum!
■ Um unser Herz ranken sich zahlreiche Mythen. Schließlich ist es viel mehr als nur eine herzförmige Ansammlung von Gefäßen und Muskelgewebe. Das Herz ist leistungsstarker Lebensmotor, Sinnbild der Liebe und gibt bei großen Gefühlen den Takt vor. Aber eines ist dieses Organ nicht: altersanfällig. Ein gesundes Herz ist ein gesundes Herz – und prinzipiell in jedem Alter gleich leistungsfähig. Feind des Herzens ist also nicht die Anzahl der gelebten Jahre. Es ist unser Lebensstil, der die Gefäße verklebt, etwa zu Herz- und Schlaganfall führt. Die Hauptschuldigen sind hinlänglich bekannt: Rauchen, Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, seelischer Stress und Bewegungsmangel. Es hilft alles nichts: Um herzgesund alt zu werden, müssen diese Risikofaktoren aus unserem Leben verbannt werden. Übrigens: Schicksalsschläge, ungelöste Konflikte und große Sorgen können das Herz sogar brechen lassen. Denn kein anderes Organ in unserem Körper reagiert so sensibel auf unsere Empfindung. Das Herz ist sozusagen ein Seismograf unserer Seele. Beim sogenannten Broken-Heart-Syndrom wird das Herz mit Stresshormonen gef lutet. „Als Folge verkrampfen sich die kleinen Blutgefäße, die den Herzmuskel versorgen“, erklärt Marianne Koch das plötzliche Herzversagen. Meistens genüge es dann, wenn man beruhigende Medikamente verabreicht und den Patienten intensiv überwacht.
80 Prozent der Gesundheit beeinflussen wir durch unseren Lebensstil
Im Alter lässt das Gehirn nach? Falsch gedacht!
■ Es gibt dieses „Es liegt mir auf der Zunge“-Syndrom. Da fällt einem trotz intensiver Anstrengung partout der Name der Stadt nicht ein, die man vor Kurzem bereist hat, oder der des Bekannten, den man auf der Straße trifft. Das ist zwar immer ein bisschen peinlich, aber kein Grund, gleich eine beginnende Demenz zu fürchten. Denn meistens ist das Gesuchte zehn Minuten später ohnehin wieder da. Außerdem liegt der kleine Anfall von Vergesslichkeit nur an unserem Denktempo, das mit dem Alter langsamer wird. Tatsächlich sterben im Lauf des Lebens auch Nervenzellen ab, andere werden inaktiv, und die Verbindungen zwischen den Neuronen werden träge. Und was rüttelt sie wieder wach? „Wir müssen unser Gehirn zwingen, Neues zu lernen und so neue Kommunikationswege aufzubauen“, sagt Dr. Marianne Koch: „Im Gehirn ist immer noch Platz für mehr Wissen!“ Die wichtigste Voraussetzung, die zum Lernen verführt: Interesse an der Sache – egal ob es sich um ein aktuelles Thema oder eine neue Sprache handelt. „Es kann der Stammbaum der Familie sein oder genauso gut ein Kurs zum Bienenzüchten.“ Und die Medizinerin hat noch weitere Ratschläge: „Schreiben Sie Tagebuch, üben Sie Kopfrechnen, oder lernen Sie Gedichte auswendig.“
Essen ist im Alter nicht mehr so wichtig? Von wegen!
■ Senioren haben tatsächlich nicht mehr so viel Hunger, denn mit den Kräften schwindet bei vielen auch der Appetit. Andere ernähren sich hauptsächlich von industriell verarbeiteten Lebensmitteln, weil sie nicht für eine Person kochen mögen. Auf dem Speiseplan stehen dann etwa Dosennudeln, Gulasch aus der Aluschale und Gemüsesuppe zum Anrühren. Dabei ist eine ausgewogene, ausreichende und vor allem frische Küche Basis für gesundes Altern. „Denn je stärker unsere Nahrung mit Chemie belastet ist, desto mehr freie Radikale gelangen in unsere Zellen“, erklärt Marianne Koch. Sie beschleunigen den Alterungsprozess, indem sie die Zellen vorzeitig absterben lassen.
Stattdessen empfiehlt die Medizinerin diese Lebensmittel: frisches Gemüse, Salate, Obst, Nüsse und hochwertige Pf lanzenöle, die aufgrund der enthaltenen Antioxidantien als Radikalenfänger wirken und so die Zellen jung erhalten. „Wohlgemerkt alle Zellen, besonders aber die des Immunsystems, das uns vor den typischen Alterskrankheiten wie Grippe, Krebs oder Gürtelrose bewahren soll“, betont Marianne Koch.
Ältere lehnen technischen Fortschritt ab? Ein Vorurteil!
■ Ganz im Gegenteil! Für viele ist die digitale Welt längst kein undurchdringlicher Dschungel voller Bits und Bytes mehr. Sie nutzen Tablets zum Blick ins Zimmer der Enkelkinder, Handys, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben, oder finden ihre Schachpartner online. Laut Angaben des Bundesfamilienministeriums waren im Jahr 2019 bereits 79 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 45 Prozent der über 70-Jährigen im Internet unterwegs.
Senioren, die sich noch nicht oder nur zögerlich in der digitalen Welt zurechtfinden, macht Marianne Koch Mut: Die Auseinandersetzung mit der neuen digitalen Welt sei ein wunderbares Training für die grauen Zellen im Gehirn! „Sie und ich werden auf diesem Gebiet vielleicht keine Genies mehr, aber wir werden mit reden können, uns über E-Mails unserer Enkel mit den neuesten Fotos freuen und die richtigen Apps herunterladen.“
So alt ist Deutschland Mehr Rentner als Jugendliche
■ Deutschland altert! Unsere Gesellschaft wird geprägt von einer geringeren Geburtenzahl und einer steigenden Lebenserwartung. Ende des Jahres 2020 waren rund 18,27 Millionen Menschen 65 Jahre und älter. Die Gruppe der Senioren war zu diesem Zeitpunkt damit deutlich größer als die der Minderjährigen: etwa 13,75 Millionen. Die größte Gruppe bilden die Menschen über 60 Jahre, gefolgt von den sogenannten Best Ager zwischen 40 und 59 Jahren. Prognosen des Statistischen Bundesamtes gehen davon aus, dass der Anteil der Älteren weiter stark zunehmen wird: im Jahr 2060 etwa auf mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Der Anteil der unter 20-Jährigen könnte bis dahin auf unter 14 Prozent sinken.
Später braucht man viel weniger Schlaf? Mitnichten!
■ Während sich die jüngere Generation noch einmal genüsslich im Bett umdreht, haben ältere Mitmenschen bereits ihr Frühstücksei gegessen und den Hund ausgeführt. Ein gängiges Klischee, aber Untersuchungen haben gezeigt, dass ältere Menschen nicht unbedingt weniger Schlaf brauchen als jüngere. Es fällt ihnen nur schwerer, ausreichend Schlaf zu finden.
„Dabei sind gerade auch für ältere Gehirne mindestens sechs bis sieben Stunden wichtig“, weiß die Ärztin. Während der Nachtruhe regenerieren Körper und Geist: Das Immunsystem wird gestärkt, die Zellreparatur läuft auf Hochtouren, vor allem aber bilden sich im Gehirn neue Nervenverbindungen. Am Tag Erlebtes und Gelerntes wird so regelmäßig gespeichert.
Damit der Schlaf so gesund sein kann, wie er sollte, müssen wir uns körperlich und psychisch auf ihn einstellen. Marianne Koch empfiehlt deshalb, vor der Nacht ruhe nicht zu schwer zu essen und lieber auf das zweite Glas Rotwein zu verzichten. Und Fernsehen? Schlafforscher raten eher zu Dokus als aufregenden Krimis – und das ein bis zwei Stunden vor der Nachtruhe. Außerdem hilfreich: ein gut gelüftetes und abgedunkeltes Schlafzimmer.
Falten sind unattraktiv? Das wollen wir mal sehen!
■ Wir sitzen alle in einem Boot. Früher oder später zeichnen sie sich in jedes Gesicht und erzählen schöne und manchmal auch nicht so schöne Geschichten vom Leben: Lachfältchen, aber auch so manch Sorgenfalte. In jüngeren Jahren sind die Linien noch ganz fein. Mit der Zeit werden sie aber tiefer und zahlreicher. Das ist normal. Falten sind Teil des natürlichen Alterungsprozesses. Aber nicht ausschließlich: Auch Gene, Ernährung, Pflege und Bewegung spielen eine wichtige Rolle. Vor allem aber, wie ungeschützt und intensiv wir uns im Lauf des Lebens der Sonne ausgesetzt haben.
Zwar kann man mit einem bewussten Lebensstil und guter Pflege ein wenig gegensteuern und die Tiefe der Falten etwas reduzieren, aber ganz vermeiden lassen sie sich nicht. Warum auch? Sie gehören zu uns, sind die Memoiren der Haut, zeigen Gefühle und zeugen von Selbstbewusstsein. Marianne Koch: „Ich denke, ab einem gewissen Alter sollte man sich eher durch andere Eigenschaften definieren als durch ein glattes Gesicht.“ Ihre Maxime für eine jugendlichere Ausstrahlung lautet: der Welt freundlich gegenübertreten.
Senioren haben allen Grund, froh zu sein? Ein Klischee!
■ Auch wenn sie finanziell abgesichert sind und ein recht gutes Leben führen: Ältere Menschen müssen immer wieder loslassen, etwa wenn Freunde sich zurückziehen oder geliebte Menschen sterben. Sie haben Angst vor Krankheiten, vor Pf legebedürftigkeit. Und oft verbringen sie Tage nur mit sich allein. Wie könnte man da immerzu gut gelaunt sein?
„Die schlimmste Alterskrankheit ist die Einsamkeit“, bedauert Dr. Marianne Koch: „Einsam ist man wie gelähmt, antriebslos, abgeschnitten von allen Kraftquellen.“ Einsamkeit setzt den Körper unter Dauerstress, und der kann krank machen.
Aber was lässt sich dagegen tun? Ganz einfach: Agil bleiben! Das ist der Rat der 90-Jährigen. Koch verweist auf die zahlreichen Möglichkeiten, sich mit anderen zu treffen: Kirchen bieten regelmäßige Treffen, Sportclubs und andere Vereine freuen sich über neue Mitglieder. Es gibt Gemeinschaftsreisen und Volkshochschulen.
Und was empfiehlt die Medizinerin noch, um die letzte Lebensphase erfüllt zu genießen? „Sie sollten das Ältersein nicht beklagen, sondern als eine besonders wichtige Phase Ihres Lebens sehen, die nicht nur von Erinnerungen geprägt sein wird, sondern in der Sie neue wertvolle Fähigkeiten erwerben und interessante Erfahrungen machen werden.“ Und: „Es ist diese bejahende Einstellung zu uns selbst, die wir benötigen, um die geschenkten Jahre wirklich ausschöpfen und genießen zu können.“
SUSAN JUNGHANS-KNOLL