... begeisterte Gesichter. Würde der eine oder die andere nicht sogar denken, dass es sich hier um einen bösen Scherz handelt?
Auch das abfällige Sprechen über Schüler*innen wie »Das ist doch kein Oberstufenmaterial«, »Die ist einfach nur unerzogen« und schon fast eher lösungsorientiert »Hast du die Eltern schon mal gesehen?«, »Ja, wenn der schlecht drauf ist, dann geht gar nichts« oder »Der kann einfach kein Latein: Das wird nichts mehr« hat direkten Einfluss auf unsere Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.
Oft ist die Haltung, die sich dahinter verbirgt, nicht einmal schülerabgewandt. Die allermeisten Lehrer*innen, die man auf eine solche Äußerung direkt anspricht, würden sofort nachvollziehen, wie unangemessen die Äußerung ist – und vermutlich schnell ein »Du weißt ja, wie ich das meine« nachschieben.
Im Zusammenhang unseres Themas ist entscheidend: Die Lehrenden sind in der Position der Beurteilenden – auch bezogen auf das Verhalten von Schüler*innen, das zunächst gar nicht Gegenstand der Beurteilung, sondern allenfalls der Diagnostik sein sollte.
In der Praxis ist es sicher zentral, dass man solchen Äußerungen begegnet und im Lehrerzimmer selbst unterscheidet: Welches Gespräch ist eher privat, welches dienstlich? Jede Äußerung muss ihren Raum haben, und dabei ist wichtig, Situationen zu unterscheiden: Lasse ich Dampf ab? Befinde ich mich in einem Diskurs der Diagnostik? Führe ich ein ernsthaftes Gespräch? Erst dann können wir Lehrer*innen auch sehen: Es war nicht die fürchterliche 7b, sondern schlicht ein schlechter Tag für den Schimpfenden in der Pause. Wenn wir dienstliche Gespräche führen, kann man das markieren, indem man eher fragt als (ver-)urteilt: »Ich finde es schwer in der 7b. Du auch? Woran kann das liegen?«
In den Lehrerzimmern kann dies grundsätzlich durch eine räumliche Struktur angelegt sein, auch wenn der Raum sehr eng bemessen ist. Beispielsweise hat der Lehrer*innenrat bei uns Stehtische positioniert und mit bunten Deckchen dekoriert. Wer Geburtstag hat, stellt hier die Süßigkeiten hin, die er oder sie ausgibt. An diesen Tischen ist auch mal ein informelles Gespräch möglich, aber es ist auch klar: Das ist eher nicht der professionelle Rahmen. Hier sprechen wir nicht ernsthaft über die Entwicklung der 7b.
Gehe ich aber in den professionellen diagnostischen Diskurs, suche ich einen anderen Raum auf oder setze mich an einen der Arbeitstische, um mit Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. Allein diese räumliche Struktur hilft schon, dass Äußerungen eindeutiger einsortiert werden können. Und dazu gehört dann auch ein fehlerfreundlicher Umgang miteinander.
Aber wie wird fehlerfreundlicher Umgang unter den Kolleg*innen etabliert und gefördert? Unsere Antworten: durch teamförderliche Maßnahmen, durch die Förderung der Zusammenarbeit und durch transparentes Arbeiten; z. B.:
■ Jährliche gemeinsame Aktionen und Feste stärken das Vertrauen zueinander; es entsteht eine Basis, auf der sich die Kolleg*innen gegenseitig stützen und Rat bei Problemen suchen können.
■ Alle Lernpläne, die wir für unsere Lerngruppen konzipieren, werden in einer Cloud abgelegt und stehen allen zur Verfügung. Damit wird die Gestaltung des Lernprozesses transparent, und es gilt die Regel: Du musst nicht alles selbst entwickeln, sondern du darfst Gelungenes aus den Lernplänen der anderen übernehmen.
■ Durch entsprechende gemeinsame Fortbildungen. Zum Beispiel hatten wir am Ende der diesjährigen Sommerferien eine gemeinsame Fortbildung zu der Leitfrage: Was gelingt uns? Was bewahren wir, weil es wohltuend ist? In einer spannenden, intensiven Auseinandersetzung wurde uns (wieder) bewusst: Fehler machen dürfen zählt dazu, denn an der fehlerfreundlichen Schule werden Fehler, Noten, Tests, Klausuren zu Chancen. Ein Teil dieser Auseinandersetzung erfolgte künstlerisch. Dabei sind in einer Gemeinschaftsproduktion unterschiedliche Bilder entstanden (siehe Abbildung oben).
■ Und schließlich: Ins Gespräch mit meinen Kolleg*innen muss ich nicht zwischen Tür und Angel kommen. Unsere Konferenzen sind zugunsten einer »Teamzeit« auf ein Mindestmaß festgelegt, die wöchentlich fest im Terminkalender verankert ist. Hier habe ich Zeit, Gespräche zu führen, Erfahrungen auszutauschen (beispielsweise auch über Lernpläne, die ich von anderen genutzt habe) und Ideen zu entwickeln. Und: Es ist die Zeit, um Dinge zu besprechen, die nicht gut gelaufen sind, und diese gemeinsam zu lösen.
Solche Maßnahmen und Strukturen werden viele Schulen haben – sie zu benennen und fest zu verankern, bringt alle schon deutlich weiter. Von da aus kann man sie weiterentwickeln, die Haltung dabei reflektieren und die Praxis schließlich optimieren.
Auch die Schulleitung muss klar benennen: »Mir oder uns ist ein Fehler unterlaufen.«
DIE SCHULLEITUNG
Für eine fehlerfreundliche Schule ist die Haltung der Schulleiterin oder des Schulleiters elementar. Wie transparent wird damit umgegangen, wenn die Schulleitung einen Fehler macht? Darf das überhaupt jemand mitbekommen? Ist nicht die Schulleitung als entscheidender Kopf der schulischen Pyramide unnahbar und fehlerfrei?
Unsere Erfahrung ist: In der Fülle der Prozesse macht die Schulleitung unabdingbar Fehler. Aber wenn etwas nicht richtig gelaufen ist, wenn falsch entschieden wurde, ist es wichtig, dies klar zu benennen: »Mir oder uns ist ein Fehler unterlaufen.« Wie sonst soll sich etwas verbessern können? Gemeinsam findet man bestimmt eine Lösung – übrigens ganz genauso, wie wir es im Unterrichtsgespräch unseren Schüler*innen immer erläutern: Das ist nicht schlimm, dass das jetzt passiert ist. Wir lernen daraus.
Auch dies zeigt sich an unserer Schule wieder in der räumlichen Struktur: Die Schulleitungsbüros liegen nicht verborgen in einem Trakt hinter dem Sekretariat, sondern in einem Gang, der von allen betreten werden kann oder auch als Durchgang genutzt wird. Wir arbeiten gerne mit offenen Türen der Schulleitungsbüros, wenn wir unseren alltäglichen Schriftverkehr erledigen. Eine offene Tür signalisiert: Komm herein, ich bin ansprechbar.
Das mag die alltägliche Arbeit punktuell stoppen, aber häufig kommen die Kolleg*innen mit Dingen, die gemeinsam zu lösen sind. Etwas, was sich nicht aufstaut, was jemand möglicherweise auch gar nicht alleine entscheiden muss, führt zu einem Prozess, der nicht nur ungünstige Entscheidungen vermeidet, sondern auch eine Offenheit zeigt, die Fehler von beiden Seiten aus zulässt. Wichtig ist, dass man darüber spricht und eben über das Machen von Fehlern zu einer gemeinsamen Lösung kommt.
Die Schulleitung ist nicht unnahbar, auch ein Schüler oder eine Schülerin kann sich mit einem Problem direkt an ein Schulleitungsmitglied oder die Schulleiterin wenden. Und die Schulleitung kann irren: Man weist darauf hin oder wird darauf hingewiesen und lernt gemeinsam daraus. Funktioniert dies bei einem kleinen Problem, ist auch ein größeres schneller aus der Welt geschafft.
Unser Schulgebäude ist mit vielen Glasflächen zum Innenhof recht offen angelegt. Die Arbeit des Schulleitungsteams wird so auch über die räumliche Situation transparent. Man sieht eben, wie das Leitungsteam im Besprechungsraum miteinander diskutiert. Es ist erreichbar und streitet gemeinsam zu wichtigen Themen um Lösungen.
Zur Haltung gehört für uns in der Schulleitung unbedingt das Schlagwort des »inklusiven Kollegiums«. Wie in einer Klasse gibt es auch im Kollegium ausgeprägte Stärken und eben auch Schwächen (vgl. www.schulentwicklung.nrw.de/q/upload/Inklusion/Schulkultur/Rollen-im-Team.pdf). Dies muss im kollegialen Gespräch respektvoll benannt werden können, damit die Stärken aller nach vorne gebracht werden. Bei der Einschätzung der Stärken darf man wieder Fehler machen und gemeinsam daraus lernen: Der Schaden durch diese Fehler wird – gemessen an dem Schaden durch den eigenen Anspruch, in allem unfehlbar sein zu müssen – eher gering sein. Eine solche Gesprächskultur zur Praxis zu machen, funktioniert über die Vorbildfunktion: Auch ein Schulleitungsteam ist heterogen; das muss man immer wieder benennen.
Insbesondere das letzte Schuljahr war geprägt von vielen Prozessen und vielen Entscheidungen, die zum Teil schnell getroffen werden mussten. Klar ist, dass dabei nicht alles glattlaufen konnte, dafür fehlten uns schlicht die Erfahrungen und die Zeit für ein gemeinschaftliches Abwägen in Ruhe. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr dankbar dafür, dass uns aus der Schülerschaft, aus der Elternschaft und aus dem Kollegium immer wieder die Offenheit entgegengebracht wurde, ergebnisoffen und ohne verhärtete Fronten über Dinge ins Gespräch zu kommen. Dies geht unseres Erachtens nur über das Bewusstsein, dass in der Schule nicht alles glattlaufen kann, und über die Haltung, dass, wenn dies so ist, nur gemeinsam etwas gearbeitet werden kann, um eine gute Lösung zu finden. Dafür ist ein fehlerfreundlicher Umgang auf allen Ebenen der Schule unabdingbar – und unbedingt gesund.
SABINE KREUTZER ist Lehrerin für Englisch und Latein und Leiterin der Marie-Kahle-Gesamtschule in Bonn, einer Schule im Aufbau mit einem Dalton-Konzept. ↗ kreutzer@marie-kahle-gesamtschule.de
FALKO SEMRAU ist Lehrer für Deutsch und Kunst und Didaktischer Leiter der Marie-Kahle-Gesamtschule in Bonn. ↗ semrau@marie-kahle-gesamtschule.de