... Forschungsgegenstand. Inzwischen ist Zweiflern längst das Lachen vergangen. Elf Prozent aller Deutschen meditierten 2017 laut Statistischem Bundesamt täglich, acht Institute und 1000 Lehrer bieten hierzulande Achtsamkeitstraining an – vielleicht der angesagteste Spross aus der großen Familie der Meditationsvarianten –, das viele große Unternehmen auch ihren Angestellten bieten und von Krankenkassen oft auch bezuschusst wird. Meditation ist Lifestyle, ein Stück Alltag für viele – und ein großes Thema für die Forschung. Denn das Gefühl, dass sie guttut, ist nicht nur subjektiv, sondern mit wissenschaftlichen Methoden durchaus messbar.
Prof. Dr. Peter Sedlmeier
Professor für Forschungsmethodik und Evaluation amInstitut für Psychologie der TU Chemnitz. Eines seiner Spezialgebiete: Meditationsforschung. Er ist Autor des Buches „Die Kraft der Meditation“ (Rowohlt, 16,99 Euro)
Viele Wege führen zum Ziel
Der Begriff selbst – nicht leicht zu fassen. Ein großes Wort, unter dem eine Menge Methoden Unterschlupf finden. Im Mittelalter fasste man unter dem lateinischen Ursprungswort das Nachsinnen über spirituelle oder philosophische Probleme zusammen, noch bis zur Jahrtausendwende waren fast immer Techniken aus indischen oder fernöstlichen Traditionen gemeint, wenn es um Meditation ging. Aber: „Meditation ist eigentlich alles, was man voller Aufmerksamkeit und immer wieder tut“, erklärt Prof. Peter Sedlmeier, Meditationsforscher an der Uni Chemnitz. „Und es ist oft verbunden mit der Absicht, den Geist zur Ruhe kommen und leer werden zu lassen.“ Es geht um innere Ruhe, um Konzentration auf das Wesentliche. Für immer mehr Menschen ist Meditation die kleine Pause im Alltag. Eine Möglichkeit, dem Stress die Rote Karte zu zeigen. Wo, wann und in welcher Stellung auch immer. Mit oder ohne Anleitung, mit oder ohne Mantra-Worte, die man wiederholt. Äußere Stille allerdings kann dabei recht hilfreich sein: „Dabei nimmt man sich selbst besser und vor allem realitätsgerechter wahr, hört sich im weitesten Sinne selbst zu, ist nicht abgelenkt und erkennt eher, wie man wirklich denkt und fühlt“, sagt Sedlmeier, der privat seit vielen Jahren meditiert. „Man betrachtet, wie Gefühle auf Gedanken folgen, welche…Gedanken umgekehrt erst durch Gefühle ausgelöst werden. Diese Selbstbetrachtung kann zur Beruhigung des Geistes führen.“ Die beliebte Technik der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR) wurde dabei schon Ende der 70er-Jahre vom Amerikaner Jon Kabat-Zinn entwickelt – als Mix aus Atem-, Körper-, Gedanken- und Gefühlsbeobachtung sowie Hatha-Yoga-Übungen und Gehmeditation. Erleuchtung und Sinnfindung sind für die MBSR kein Thema mehr, reine Entspannung auch nicht – es geht um viel mehr. Auch in den Hoffnungen, die mit der Meditation verbunden sind: Depressionen soll sie lindern, Ängste und Stress sowieso. Sie soll Ausgeglichenheit schenken und Konzentration. Sie soll nicht weniger, als das Leben verbessern. Aber kann sie das? „Die Gedanken kann man nicht abstellen, aber man kann lernen, besser damit umzugehen“, sagt Sedlmeier. „Das betrifft vor allem die Reaktion darauf. Wir ärgern uns, mögen einige Leute nicht, sind traurig – aber es kommt darauf an, den Einfluss dieser Gefühle auf uns zu vermindern oder wirkungslos werden zu lassen. Man wird nicht mehr durch seine Emotionen fortgeschwemmt. Und dadurch werden unter anderem ruhige Freude und Gleichmut stärker.“
„Metaanalysen zeigen: Meditation wirkt sich insgesamt positiv auf unsere Persönlichkeit aus.“
Peter Sedlmeier
Entspannter Jungbrunnen
Der Gleichmut bewirkt auch auf körperlicher Ebene Veränderungen der Wahrnehmungen, konnte Kabat-Zinn schon 1982 nachweisen: 51 Teilnehmer seiner Studie litten an Schmerzen in verschiedenen Körperteilen. Die hatten sich nach dem zehnwöchigen MBSR-Kurs bei 65 Prozent der Probanden um ein Drittel redu- ziert. Die Leute hatten gelernt, mit Schmerz anders umzugehen, ihre Stimmung hatte sich klar verbessert. Inzwischen zeigte die Wissenschaft die schmerzlindernde Wirkung auch mit bildgebenden Methoden im Kernspintomografen: Man stellte verstärkte Aktivitäten im orbitofrontalen Kortex bei Meditierenden fest – eine Gehirnzone, die für die Verringerung der Schmerzintensität zuständig ist.
Zwei Studien aus den Jahren 2008 und 2013 legten darüber hinaus nahe, dass die mit der Meditation oft verbundene Entspannung langfristig bestimmte Gene unterdrückt, die in Entzündungsvorgängen und bei Stressbewältigung eine Rolle spielen; dafür vermag sie Gene zu aktivieren, die für die Insulinabgabe, die DNA-Reparatur und den energiereichen Stoffwechsel zuständig sind. Da Dauerstress sich auch organisch auswirkt, da er Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, Diabetes und rheumatoide Arthritis auslösen kann, wirkt Meditation auch gegen diese Übel. Es wird auch vermutet, dass sie die Zellalterung verlangsamen kann, weil sie die Reparatur und Erhaltung von Telomeren anregt, jenen Endstücken der Chromosomen, in denen Forscher den Schlüssel für Alterungsprozesse verorteten. 2015 schließlich veröffentlichten holländi-sche und amerikanische Wissenschaftler eine Metaanalyse von 115 ernst zu nehmenden Studien, nach der Achtsamkeit als ergänzende Behandlung gegen körperliche und psychische Begleitprobleme bei Krebs, chronischen Schmerzen, Depressionen, Phobien und Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen werden kann.
Im Bilde Mithilfe des Kernspintomografen konnten Forscher die Wirkungen von Meditation im Gehirn sogar beobachten
Ruhezonen Zengärten wie dieser wurden eigens angelegt, um Ordnung und Gelassenheit in den Kopf zu bringen
Das Gehirn im Kurzurlaub
Aber welche Meditationsvariante ist nun die beste? Das Max-Planck-Institut für Kognitionsund Neurowissenschaften in Leipzig verglich in der weltweit größten Studie die verschiedenen Stärken unterschiedlicher mentaler Techniken – und ihre Wirkungen. Das wichtigste Ergebnis: Alle Techniken verbessern die Körperwahrnehmung und senken sozialen Stress, Meditierende verfügen über eine bessere Emotionsregulierung. Durch bestimmte Techniken wiederum sinkt auch der hormonelle Stresspegel. Und das Gehirn schaltet einen Gang runter: „Der Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure, GABA, sorgt in der Meditation für einen inneren Entspannungszustand“, erklärt der Neuropsychologieprofessor Dr. Erich Kasten. „Das ist der Stoff, der auch aktiv ist, wenn man abends nach einem Gläschen Wein wohlig müde wird. Das Gehirn schaltet dabei von Betawellen auf Alphawellen um – und damit in eine Art regenerativen Zustand, in dem sich auch unsere Gehirnzellen erholen. Außerdem aktiviert das Hirn im Ruhezustand sein Default Mode Network, das beim Tagträumen, bei der Meditation und beim Fantasieren gefordert ist. Wir kommen in unseren inneren Fluss, unsere Empathie wird gestärkt, wir werden kreativer und reflektierter.“ Meditation wirkt sich sowohl auf Gehirnprozesse als auch auf Gehirnstrukturen aus. Schon nach drei Monaten Meditation hat sogar bei Anfängern die Großhirnrinde an Substanz gewonnen, die Zahl der grauen Zellen ist also gestiegen. Außerdem schreitet der Abbau von Gehirnzellen langsamer voran.
Meditation – Vorbeugung und Entspannungshilfe. Und eine Lebenshilfe, die durchs Üben der Fokussierung aufs Wesentliche offenbar auch zufriedener macht, zeigt eine Erhebung von Psychologen der Harvard University: 47 Prozent der Erwachsenen, fanden sie heraus, lassen sich bei dem, was sie gerade tun, ablenken. Und wann immer sie sich ablenken ließen, waren sie weniger glücklich als in absolut bewusst erlebten Momenten. Und genau um diese Erfahrung geht es ja bei der Achtsamkeit.
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