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Die wahre Story hinter dem Welthit


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TV Digital XXL-Ausgabe - epaper ⋅ Ausgabe 25/2021 vom 26.11.2021

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DER FRONTMANN Wie wird es mit dem entlarvten Spielleiter in Staffel zwei weitergehen?

Wie viel sind eigentlich 45,6 Milliarden Südkoreanische Won umgerechnet in Euro? Würde ich mein Leben opfern oder den Tod meiner Frau zulassen, wenn nur einer von beiden ein tödliches Spiel überleben kann? Und wo bekomme ich für Halloween einen pinken Overall mit schwarzer Wächter-Maske? Die ebenso bizarre wie verstörende Netf lix-Serie „Squid Game“ hat seit dem Start im September etliche Fragen aufgeworfen – und das bei Zuschauern in aller Welt: In 94 Ländern war der Neunteiler auf Platz eins der Netflix-Charts geklettert. 142 Millionen Haushalte hatten in den ersten 32 Tagen mindestens zwei Minuten der Serie gesehen, ein überragender Wert, der den bisherigen Spitzenreiter „Bridgerton“ (82 Millionen in den ersten 28 Tagen) in den Schatten stellte.

Die Story wirkt wie eine noch makaberere Variante von „Die Tribute von Panem“: 456 hochverschuldete Menschen nehmen freiwillig für ein Preisgeld von umgerechnet 33 Millionen Euro am „Squid Game“ teil, das aus mehreren Runden koreanischer Kinderspiele besteht. Klingt harmlos, ist aber äußerst brutal. Denn am Ende gibt es nur einen Gewinner. Wer verliert, verliert sein Leben – oder wird „disqualifiziert“, wie es zynisch heißt. Trotzdem – oder genau deshalb – macht „Squid Game“ süchtig. Der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg ermittelte: 66 Prozent der Zuschauer, also 87 Millionen Menschen, sahen die komplette Serie innerhalb der ersten 23 Tage.

Platz eins in 94 Ländern

Das Ausmaß des Hypes war selbst für die Macher so nicht abzusehen: 42 Milliarden Mal wurden laut Netflix Memes zur Serie auf dem sozialen Netzwerk TikTok geguckt – etwa mit dem riesigen Robotermädchen aus dem ersten Spiel, das auf einer Figur aus dem koreanischen 80er-Jahre-Schulbuch „Chul-soo und Young-hee“ basiert. Auf Youtube überholten „Squid Game“- Videos mit 17 Milliarden Abrufen (Stand 10. November) die dortigen Inhalte zu „Game of Thrones“. Und selbst Rezepte für Dalgona-Kekse (auch Ppopgi genannt), die von den Spielern in „Squid Game“ mit einer Nadel bruchfrei ausgestanzt werden müssen, sind im Internet ein Riesenthema.

So entstand „Squid Game“

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DER MACHER Von Juni bis Oktober 2020 drehte Hwang Dong-hyuk (r.), inklusive einem Monat Covid-Zwangspause
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DIE KULISSEN Die meisten Sets waren ein Mix aus gebauter Kulisse und Chroma-Key-Hintergründen

Hierzulande schlugen Pädagogen Alarm, weil Kinder in Schulen und sogar Kitas die „Squid Game“-Spiele nachspielten, obwohl Netflix 16 Jahre als Mindestalter für die Serie empfiehlt. Und in Südkorea klagte ein Internetprovider, weil die Serie das Netz lahmlege. Mehr noch: Tausende von Gewerkschaftsarbeitern des Landes demonstrierten in den pinkroten Ganzkörperanzügen mit schwarzer Maske, wie sie in „Squid Game“ von den anonymen Soldaten getragen werden, und forderten von der Regierung bessere Arbeitsbedingungen wie eine Erhöhung des Mindestlohns. „Die Serie ist von einer einfachen Idee motiviert“, sagte „Squid Game“-Erfinder Hwang Dong-hyuk dem britischen „Guardian“. „Wir kämpfen unter sehr ungleichen Bedingungen um unser Leben.“ In der Serie werden die Spiele von einem unfassbar reichen Unbekannten veranstaltet – und milliardenschwere VIPs, die auf einzelne Spieler wetten, sind die Zuschauer der tödlichen Spektakel. Auch im realen Südkorea, das ab den 60er-Jahren zu einem der reichsten Länder Asiens heranwuchs, wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer. Die Wohnungspreise in Seoul sind seit 2017 um über 50 Prozent gestiegen, die schwierigen Zeiten haben zu einer rekordverdächtig niedrigen Geburtenrate geführt. Und da zahllose Familien versucht haben, mit den Lebensstandards Schritt zu halten, übersteigt laut Associated Press die Verschuldung der südkoreanischen Haushalte mit über 1,5 Billionen Dollar inzwischen die jährliche Wirtschaftsleistung des Landes, was einige Ökonomen zu der Warnung veranlasst hat, die Schulden könnten zur ernsten Gefahr für die Wirtschaft werden.

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UNIFORM Spieler und Soldaten tragen je eine Farbe, um das Gefühl der Individualität zu verringern

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RICHTER UND HENKER Die Anzüge der Soldaten prägten den ikonischen ?Squid Game?-Look
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UNGLÜCKSRABE Loser Seong Gi-hun wird gespielt von Lee Jung-jae, der seine Karriere einst als Model begann

Leiden für den Erfolg

„Squid Game“ trifft also einen gesellschaftlichen Nerv. Netflix wiederum hat es deutlich reicher gemacht: 21,4 Millionen Dollar hatte der Streaminggigant für die Serie bezahlt, und das Unternehmen geht laut geleakter interner Daten davon aus, dass die Serie mehr als das 40-fache davon einbringen wird, geschätzte 891 Millionen Dollar. Eine Erfolgsprämie erhält der Serienerfinder Hwang Dong-hyuk allerdings nicht: „Es ist nicht so, dass Netflix mir einen Bonus zahlt. Netflix hat mich gemäß dem ursprünglichen Vertrag bezahlt“, sagte der 50-Jährige. Ab 2008/2009 begann Hwang

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LETZTE CHANCE Park Hae-soo, bald im Südkorea- Remake von ?Haus des Geldes? zu sehen, spielt hier einen gescheiterten Geschäftsmann

bereits am Drehbuch zu „Squid Game“ zu arbeiten, das ursprünglich als Film angedacht war. Auch er geriet in finanzielle Nöte und musste sogar seinen Laptop verkaufen, auf dem er an dem Skript gearbeitet hatte. Jahrelang kassierte Hwang Absagen für sein Konzept, bis Netflix vor zwei Jahren zugriff. Die Entwicklung, das Schreiben und die Regiearbeit haben ihn laut „Guardian“ so sehr gestresst, dass er dabei sechs Zähne verloren hat. „Es war körperlich, geistig und seelisch anstrengend“, sagt er. „Ich hatte ständig neue Ideen und habe die Episoden überarbeitet, während wir gedreht haben, sodass sich die Arbeit vervielfachte.“ Als Inspiration nennt Hwang Survival-Comics wie „Battle Royale“ und „Liar Game“. Kritikern, die den Japan-Horror „As the Gods Will“ (2014) gesehen haben, kamen einige Szenen sehr bekannt vor. Hwang konterte Plagiatsvorwürfe mit dem Hinweis, er habe bereits Jahre vorher an seinem Stoff gearbeitet.

Als der Dreh grünes Licht bekam, galt als Zielvorgabe, dass „Squid Game“ einen Tag lang auf Platz eins der US-Netflix-Charts stehen sollte – ein großer internationaler Erfolg wurde also bereits angepeilt. Dass dieser Gedanke nicht so abwegig ist, zeigt die heutige globale Beliebtheit von koreanischer Mode, Musik (K-Pop) und Essen („Bibimbap“). In Asien gelten südkoreanische Produktionen schon länger als herausragend in Sachen Kreativität und Produktionsstandards. Einige sorgten auch bei uns für Furore, etwa „Oldboy“ (2003), „Snowpiercer“ (2013) oder „Parasite“, der vierfache Oscargewinner von 2020. Nur konsequent also, das Netflix Anfang des Jahres 500 Millionen Dollar in den koreanischen Markt und neue Produktionsstätten bei Seoul pumpte. Etliche neue Serien (siehe unten) sollen nun das ohnehin schon reiche Korea-Portfolio des Streamers füllen.

Fortsetzung folgt!

Die Gesichter aus „Squid Game“ sind dem internationalen Publikum neu, in Südkorea sind zumindest zwei von ihnen bekannte Stars. Die Hauptrolle des arbeitslosen Seong Gi-hun, der gefeuert wurde, mit dem eigenen Geschäft gescheitert ist und nun Geld verzockt, das er seiner Mutter gestohlen hat, wird von Lee Jung-jae gespielt. Das ehemalige Model, in der Serie eher unvorteilhaft in Szene gesetzt, war bereits im Erotikthriller „Das Hausmädchen“ (2010) sowie dem preisgekrönten Gangsterdrama „Deliver Us from Evil“ (2020) zu sehen. Die Rolle von Gi-huns Freund aus Kindertagen, dem gefallenen Geschäftsmann Cho Sang-woo, übernahm Park Hae-soo. Er wurde 2017 für seine Rolle in der Serie „Prison Playbook“ gefeiert und soll in dem geplanten südkoreanischen „Haus des Geldes“-Remake Berlin verkörpern. Zum Fanliebling avancierte jedoch Anupam Tripathi, der zuvor nur in Nebenrollen zu sehen war. Er spielt den gut mütigen Ali, einen Fabrikarbeiter aus Pakistan. Die Figur trägt erheblich zur Sichtbarkeit von Minderheiten in Südkorea bei, wo rund 200.000 Arbeitsmigranten aus Ländern wie Indien oder Pakistan ausgebeutet werden sollen.

Lee Jung-jae soll auch in der zweiten Staffel von „Squid Game“ als Hauptcharakter Gi-hun zu sehen sein, die inzwischen von Serienschöpfer Hwang Dong-hyuk bestätigt wurde. Diesmal will Hwang seine Arbeit jedoch auf mehrere Schultern verteilen und überlegt, mit einem Writers’ Room zusammenzuarbeiten. Und vielleicht wäre jetzt auch noch ein guter Zeitpunkt, um mit Netflix über Tantiemen zu verhandeln?

DIRK OETJEN

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