... Meeresschutz hat den kleinen Wal seit mehr als 20 Jahren ins Herz geschlossen. „So lange schon begleitet er mich als mein ‚Partner‘ im Kampf gegen die Überfischung.“ Der nur rund 1,80 Meter große Zahnwal gilt als extrem scheu. „Er springt nicht einfach so aus dem Meer, und die Nähe zu Menschen, wie etwa der Delfin, sucht er schon gar nicht“, erklärt Heike Vesper. „Mit seiner geringen Größe und der grauen Erscheinung ist er in einer bewegten dunkelgrauen See kaum auszumachen.“ Nur Segler bekommen ihn öfter zu Gesicht, vor allem vor Dänemark, wo sich Nord- und Ostsee treffen. Das Geräusch eines Motorboots hingegen treibt die lärmempfindlichen Tiere sofort in die Flucht.
Schönheit
Seesterne leben massenhaft in Nord- und Ostsee, wie dieser hier in der Kieler Bucht
Aufräumarbeit
Bei ihren Fahrten bergen auch Forscher wie der Biologe Philipp Schubert Geisternetze
Warum ausgerechnet der Schweinswal als Symboltier? „Als einziger heimischer Wal eignet er sich geradezu perfekt“, so WWF-Expertin Vesper. „Außerdem lassen sich an seinem Beispiel all die Belastungen unserer Meere erzählen.“ Geht es dem Schweinswal schlecht, sind auch die Meere nicht gesund. Und es geht ihm nicht gut.
Kein Platz mehr für Natur
Vor allem in der zentralen Ostsee gilt die Lage als prekär. Dort leben nur noch 200 bis 600 Exemplare. In der deutschen Nordsee wird der Bestand nach aktuellen Studien auf rund 23.000 geschätzt. Tendenz: abnehmend – um 1,8 Prozent pro Jahr.
„Der Schweinswal stirbt vor allem als Beifang, weil er in die Netze schwimmt, die für Speisefische wie Dorsch, Kabeljau und Steinbutt aufgestellt werden“, betont Heike Vesper. Diese Stellnetze hängen kilometerweit wie Gardinen im Wasser und sind so fein, dass er sie nicht erkennen kann und sich darin verfängt. In trübem Wasser „sehen“ Schweinswale vor allem mit den Ohren: Sie senden Schallimpulse aus, die als Echo zurückgeworfen werden – aber nicht von den hauchdünnen Maschen der Netze.
Solche Bedrohungen betreffen nicht nur den kleinen Wal, sondern die ganze Wunderwelt unter Wasser. Er ist ein Symbol dafür, dass in unserer hoch industrialisierten Meereslandschaft immer weniger Platz für Natur bleibt. Vor deutschen Küsten verlaufen einige der meistbefahrenen Seeschifffahrtsrouten der Welt, die Umweltbelastungen sind immens. Dazu gehört Lärm: Mit seinem sensiblen Gehör reagiert der Schweinswal besonders heftig auf Störungen durch den Schiffsverkehr. „Baumaßnahmen werden für ihn ebenfalls zum Problem“, beklagt Expertin Vesper. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist dringend erforderlich, aber stets mit Lärm verbunden. Es ist eine Störung im eigenen Lebensraum, als würde ein Düsenjet bei uns auf der Terrasse starten.“ Rammarbeiten für neue Offshore-Windräder, das Verlegen von Kabeln oder Pipelines – das Meer wird zur Baustelle. Opfer fordert auch die Sprengung von Altmunition, die nach den Weltkriegen einfach in Nord- und Ostsee versenkt wurde. Die Gehörgänge der Wale werden durch die Detonation so stark geschädigt, dass sie innerlich verbluten.
BUCHTIPP
Heike Vesper Wenn wir die Meere retten, retten wir … Rowohlt 256 S., 16 €
„Auch die Plastikvermüllung der Meere betrifft unsere Nord- und Ostsee“, erklärt Heike Vesper. „Natürlich nicht zu vergleichen mit der Situation in Südostasien, wo sich der Müll teilweise an den Stränden stapelt.“ Doch auch unsere Meere haben ihre Unschuld verloren. Nur ein Beispiel: Die kleine Nordseeinsel Mellum gehört zur Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Auf ihr leben nur Vögel, keine Menschen. Trotzdem liegt sie voll Plastikmüll – angetrieben von den Meereswellen.
Gibt es Lösungen für all diese Probleme? „Eine klassische Lösung sind Schutzgebiete. Die Tiere brauchen einfach Rückzugsräume“, fordert Meeresbiologin Heike Vesper. Deutschland hat zwar fast 45 Prozent der nationalen Meeresf läche als Schutzgebiet ausgewiesen – bis heute mangelt es jedoch an konkreten Maßnahmen. Viele Schlupf löcher, wenig Kontrollen. Fischereiformen, die den Schweinswal besonders gefährden, sind weiterhin erlaubt. „Die im August 2021 beschlossene neue Meeresraumordnung lässt sogar die Möglichkeit offen, in diesen Zonen Windparks zu errichten“, beklagt Heike Vesper.
Expertin
Heike Vesper ist Leiterin des Internationalen WWF-Zentrums für Meeresschutz in Hamburg
Strandgut
Selbst auf der Nordseeinsel Spiekeroog bringen die Wellen Plastikmüll mit
„Schweinswale sind die Symboltiere für Nordund Ostsee.“
Heike Vesper, Meeresbiologin
Vor Ort wird angepackt
„Um dem Schweinswal eine gesunde Umgebung zu bieten, müssen wir Schutzgebiete politisch durchsetzen“, stellt WWF- Expertin Vesper klar. „Dazu gehört die Beschränkung der Fischerei in diesen Bereichen.“ Bei anderen Projekten wird aktiv vor Ort angepackt. Etwa bei der Bergung sogenannter Geisternetze. Dabei handelt es sich um verloren gegangenes Fischereigerät, das im Meer treibt oder sich um Steine, Wracks und andere Hindernisse am Meeresgrund wickelt. So werden die alten Netze zur tödlichen Falle für Fische, Meeressäuger und Vögel, die nach Beute tauchen. Eine neue TV-Reportage (siehe TV-Tipp) zeigt, wie erfahrene Taucher und Biologen auch des WWF vor Rügen solche Geisternetze aus der Ostsee holen.
Großer Aufwand nur für einen kleinen Schweinswal? Nein. Die Maßnahmen kommen der Vielfalt in Nord- und Ostsee zugute. Kegelrobben fühlen sich an den Stränden vor Helgoland wohl, Kompassquallen und Seesterne sind im Wattenmeer zu Hause. Außerdem lassen sich Bewohner blicken, die wir in den heimischen Gewässern nicht erwarten. „Hundshaie sammeln sich in den Sommermonaten vor Helgoland und wandern im Herbst wieder ab“, berichtet Heike Vesper. Die größte in der Nordsee heimische Haiart wird zwei Meter lang und ist für Menschen ungefährlich. Auch Herings- und Dornhaie kann man beobachten. Als Gast lässt sich ab und zu sogar mal ein Riesenhai blicken. Sie alle gehören zur schützenswerten Wunderwelt vor unseren Küsten.
KAI RIEDEMANN