... ihre Welpen aufgezogen haben. Vielleicht sehen sie mich ja wie einen entfernten Verwandten.“
Ein Land der Gegensätze
Jumanov ist Biologe. Niemand kennt die Tierwelt im Naturreservat Aksu Jabagly, Zentralasiens ältestem Schutzgebiet, besser als der gebürtige Usbeke. Seit 17 Jahren erforscht er die Fauna und Flora im Westlichen Tian-Shan-Gebirge im wilden Grenzgebiet zwischen Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Von hier zieht sich das Tian Shan fast 2500 Kilometer bis nach China. „Eigentlich ist mein Forschungsgebiet ja die Botanik“, sagt Jumanov, „aber weil es hier sonst niemand anderes gibt, der sich den Tieren annimmt, kümmere ich mich um sie.“ Das Wolfsrudel, das er seit fünf Jahren begleitet, hat sich langsam an die Präsenz des 50-Jährigen gewöhnt. Er konnte die Tiere nicht nur bei der Aufzucht der Welpen, sondern auch bei der Jagd auf Steinböcke beobachten. Immer wieder kam er auch Bären sehr nah. „Zwei mal wurde es brenzlig“, erzählt er, „aber nie wirklich gefährlich.“ In seiner Tarnuniform und mit den strengen, von Fältchen gerahmten Augen, wirkt Jumanov eher wie ein langgedienter Militär als ein empfindsamer Botaniker. Seine Wahlheimat, das Tian-Shan-Gebirge, hat viele gegensätzliche Seiten: weite Hochebenen, liebliche Almwiesen und schroffe, ewig schneebedeckte Gipfel, von denen einige an der Grenze zwischen Kirgisistan und China über 7000 Meter aufragen.
Wölfe, Bären und Banditen
Einst bildete es eine natürliche nördliche Barriere zur Seidenstraße. Die Handelskarawanen fürchteten die Hochtäler als Revier von Wölfen, Bären und Banditen. Der westliche Teil des Tian Shan ist seit 2016 UNESCO-Welterbe. Die drei aneinandergrenzenden Schutzgebiete Aksu Jabagly in Kasachstan, Besh Aral in Kirgisistan und Chatkal in Usbekistan bilden seine Herzstücke. Es ist ihre Weltabgeschiedenheit, ihre erhabene Bergkulisse und ihre Artenvielfalt, die die Gegend zu einem außergewöhnlichen Wanderziel machen – allen voran Aksu Jabagly. Seit 1926 ist das Reservat streng geschützt. Hier oben begegnet man nur selten anderen Menschen. Jenseits der endlosen Steppenebenen Kasachstans mit ihren verfallenen Fabriken und Industrieruinen aus der Sowjetzeit wirkt das Naturreservat sonderbar entrückt. Bald nachdem man die Reservatsgrenze überschreitet, weicht die geknechtete Natur und der bleierne, vom Kabelgewirr unzähliger Stromleitungen durchschnittene Himmel über den einstigen Kolchosen einer Wildnis, an die seit fast 100 Jahren kaum ein Mensch Hand angelegt hat. „Illegale Jagd gibt es hier nur vereinzelt auf Bären und Maral-Hirsche“, sagt Jumanov. „Die drakonischen Strafen schrecken die meisten Wilderer ab.“
Besondere Botanik
Wer mit Jumanov durch die Wildnis der Tian- Shan-Berge wandert, lernt das Staunen über ein hochalpines Ökosystem, das hier in Aksu Jabagly noch fast intakt ist. Vom Boden pflückt er die Kapselfrucht einer verdorrten Blume „Der Rest einer Tulpe“, erklärt er, „im Frühjahr sind die Wiesen rot von ihren Blüten.“ Glaubt man dem Botaniker, haben unsere Gartentulpen ihre Urahnen in Zentralasien. „Von hier gelangten sie über die Türkei nach Holland und ganz Europa“, sagt Jumanov. Selbst die Vorväter unserer Äpfel will der Biologe im Tian Shan beheimatet wissen. „Hier gibt es noch immer Asiatische Wildäpfel, von denen der Kulturapfel abstammt.“ Einen davon hat er am Wegesrand entdeckt. Er sieht allerdings stark gerupft aus. Die Äste sind zu Boden gedrückt.
„Da hat sich wohl ein Bär zu schaffen gemacht“, sagt Jumanov. Blicken lässt sich der Apfeldieb selbst aber nicht. Die Bären des Tian Shan gehören zu einer besonderen Unterart des Braunbären. Sie zeichnen sich durch ein helleres oft rötliches Fell aus und werden als Isabellbären bezeichnet. Anders als die tibetische Unterart, die erst recht spät in den Himalaya einwanderte, überdauerten die Isabellbären die letzte Eiszeit in den zentralasiatischen Hochgebirgen. Forscher vermuten, dass der Yeti-Mythos auf den Isabellbär zurückgeht. Vermeintliche Fellreste des sagenumwobenen Schneemenschen ließen sich durch eine Gen- Analyse der New Yorker University at Buffalo mehrfach auf diese Bären-Unterart zurückführen.
Die Jagd auf den Yeti
„Viele Menschen hier glauben noch immer an den Yeti“, sagt Jumanov, „Einige nennen ihn Jez Ternak, den Mann mit den eisernen Klauen oder Ziegenmensch. Einige Ältere wollen ihm gar persönlich begegnet sein. Sie warnen davor, allein in den Bergen unterwegs zu sein.“
Die Kamerafallen, die Jumanov oben entlang der Bergkämme aufgestellt hat, konnten zwar keinen Yeti, jedoch einen anderen sagenumwobenen Bewohner des Tian Shans erwischen: Der Schneeleopard ist der geheimnisvollste Räuber des Hochgebirges. Viermal ist Jumanov eine Aufnahme gelungen. Er selbst hat die scheue Großkatze jedoch nur ein einziges Mal beobachtet.
“Auch an mythische Wesen der Wildnis glauben einige Kasachen”
Unsere Reise-Tipps
ANREISE Zum Beispiel mit Uzbekistan Airways (www.uzairways.com) oder mit Air Astana (www.airastana.com) über Nur-Sultan nach Taschkent. In- und ausländische Veranstalter organisieren von dort aus Wander- und Naturreisen nach Aksu Jabagly und Sairam Ugam in Kasachstan sowie in den Ugam-Chatkal-Nationalpark in Usbekistan.
VERANSTALTER Geoplan Privatreisen stellt maßgeschneiderte Rundreisen zu den wichtigsten Nationalparks und Sehenswürdigkeiten entlang der Seidenstraße in Usbekistan, Kasachstan und Kirgisistan zusammen.
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Ihr Revier liegt weit über 2000 Meter jenseits der Baumgrenze. Dennoch gerät der Schneeleopard immer wieder mit Viehzüchtern in Konflikt. Sein Fell und seine Knochen werden noch immer illegal in China gehandelt. Mehr noch machen ihm jedoch die Verfolgung durch Hirten und die Bedrohung seines Lebensraums durch Überweidung und den Klimawandel zu schaffen. Statt weiteren Raubtieren beobachten die Wanderer an diesem Nachmittag nur ein Wildschwein, einen Steinadler, der am Himmel kreist, eine Schar Chukarhühner, zahlreiche weitere Vögel und Schmetterlinge.
Auf einer windgepeitschten Hochebene zeigt Jumanov der Gruppe Petroglyphen. Sie sollen beweisen, dass Jäger hier bereits in der Bronzezeit Argali-Schafen, Steinböcken und Maral- Hirschen nachstellten. Auf riesigen Felsplatten tummelt sich das Jagdwild in ganzen Herden. Auch zwei Felsgravuren, die einen Schneeleoparden und einen mutmaßlichen Yeti darstellen sollen, will Jumanov entdeckt haben, weit oben über den Bergwiesen in etwa 3700 Meter Höhe. Um sie zu bestaunen, müssten die Wanderer jedoch eine Kletterausrüstung mitbringen.
Den in Stein gemeißelten mythischen Wesen werden sie heute jedenfalls nicht mehr begegnen. Sie müssen sich auf den Rückweg machen. Wer weiß, vielleicht wartet in der Dämmerung ja doch noch ein Bär auf sie? Mit Jumanov als Wanderführer fühlen sie sich jedenfalls sicher in der Wildnis.