... Spiel. Ihm gegenüber pariert Brandon Nakashima, einer der Top-Junioren aus den USA, die gewaltigen Aufschläge von Zverev mit erstaunlicher Leichtigkeit. Auf der Seite des 17-jährigen Nakashima steht Christian Groh, der Ex-Coach von Tommy Haas. Alle Augen richten sich aber auf Zverevs Platzhälfte. Hier beobachtet Ivan Lendl seinen neuen Schützling. Immer wieder bricht Zverev nach wenigen Minuten das Schlagtraining ab: Flüssigkeit nachtanken ist die Devise. Er verlangt von Fitnesstrainer Jez Green nach Salz für sein Elektrolytgetränk. Nach dem Training gesellt sich Lendl zu Zverev auf die Bank, die beiden reden minutenlang miteinander. Er zeigt ihm auf seinem Handy Grafiken mit einstudierten Spielzügen. Der 58-jährige Amerikaner macht auf ruhige, aber bestimmte Art deutlich, was er von ihm verlangt. Lendl befragt ihn zu seinem kommenden Gegner, den Franzosen Nicolas Mahut. Zverev siegt einen Tag später in der zweiten Runde klar mit 6:4, 6:4, 6:2.
Einen Tag vor dem Drittrundenmatch gegen Philipp Kohlschreiber ist Lendl bereits einige Minuten vor der anvisierten Zeit auf dem Trainingsplatz, wieder auf Court 2 und wieder ist Nakashima der Sparringspartner. Man spürt: Lendl überlässt nichts dem Zufall. Er will mit Zverev Großes erreichen, genauso wie mit Andy Murray. Der Starcoach hat das Kommando auf dem Court übernommen. Zverevs Vater, Alexander Senior, hält sich zurück und schaut hin und wieder interessiert bei Maria Sharapova zu, die auf dem Nebenplatz mit gewohnter Lautstärke auf die Bälle eindrischt. Nach seinem Erstrundensieg hatte Zverev über die ersten Trainingstage zu Protokoll gegeben: „Es gibt Dinge, auf die legt er großen Wert und sorgt dafür, dass ich diesen Dingen große Aufmerksamkeit zukommen lasse. Ich hoffe, dass mir das langfristig helfen wird.“
Die Vorgaben, die Lendl ihm gibt, kann Zverev nicht ganz erfüllen. Nach zwei klaren Siegen zu Beginn scheitert er in der dritten Runde an Landsmann Kohlschreiber in vier Sätzen. Da sind sie wieder: Zverevs alte Grand Slam-Proble-me. Seine Bilanz nach 14 Major-Teilnahmen: 22:14 – viel zu wenig für seine hohen Ansprüche.
Der Lendl-Effekt blieb also aus – vorerst. Der gebürtige Tscheche hat bei seiner Zusammenarbeit mit Andy Murray den Schotten von einem hochtalentierten Spieler zu einem großen Champion geformt. In seinen zwei Amtszeiten gewann Murray zweimal Wimbledon, die US Open, zweimal Olympiagold im Einzel und wurde die Nummer eins der Welt. Erfolge, die Lendl auch Zverev zutraut. „Er scheint derjenige zu sein, der es am weitesten bringen kann. Vielleicht bis sehr weit nach oben. Er wirkt sehr, sehr hungrig“, hatte er 2017 über die deutsche Nummer eins geurteilt. Zu seinem neuen Engagement sagt Lendl nichts. Er will in Ruhe arbeiten. Zverev analysierte die nächste bittere Pleite bei einem Grand Slam-Turnier gelassen. Geduld ist zwar nicht die Stärke des Deutschen, aber Wunderdinge hat er bei den US Open nicht erwartet. „Es ist ein Prozess. Man kann nicht erwarten, dass man sofort Resultate sieht“, sagte die Nummer vier der Setzliste. „Vor dem Turnier hat Ivan mir gesagt, dass ich hoffentlich gut abschneide bei den US Open, aber dass wir mehr in Richtung nächstes Jahr schauen. Wir beschäftigen uns mit den späteren Phasen, damit wir um Grand Slam-Titel mitspielen. Ich will natürlich immer gewinnen. Aber Wünsche werden nicht immer wahr. Ich denke, dass die Resultate nächstes Jahr kommen werden – hoffentlich.“
Für Zverev kamen neben seinem Vater als Trainer nur zwei Personen in Frage, die ihn helfen würden: Lendl und Boris Becker. Warum es Lendl wurde? „Ein Grund war, dass Teammitglieder von mir bereits mit Ivan gearbeitet haben. Sie wissen, was er mitbringt. Jez Green ist nicht nur mein Fitnesstrainer, sondern auch ein guter Freund. Wir haben viel darüber geredet, wer ein toller Kandidat wäre. Er hat immer gesagt, dass Ivan einer sei.“ Und der zweite Grund, der gegen Becker sprach? „Ich dachte mir, dass Ivans Leben derzeit etwas einfacher ist. Ich mag Boris sehr. Er ist ein toller Typ. Ich habe ihm geschrieben, bevor ich die Verpflichtung bekanntgegeben habe. Ich sagte zu ihm: ’Ich hätte gerne mit dir gearbeitet. Vielleicht klappt es in der Zukunft. Aber derzeit denke ich, dass Ivan besser wäre’.“
ERST IVAN LENDL, SPÄTER BORIS BECKER?
Zverev und Lendl haben einige Gemeinsamkeiten. Beide stürmten in jungen Jahren in die Weltspitze. Doch bei den Grand Slams kassierte auch Lendl zunächst bittere Niederlagen. Beim 19. Anlauf klappte es mit dem ersten Major-Titel nach vier Finalniederlagen zuvor. Was Lendl dem Deutschen neben taktischen Finessen beibringen kann: Geduld. „Sein Ziel ist, mich bestmöglich vorzubereiten. Wir arbeiten, damit ich der beste Spieler bin, der ich sein kann. Der Grund, warum ich ihn gewählt habe, ist, dass ich die größten Turniere gewinnen will. Bislang läuft die Zusammenarbeit gut, genau so, wie sie sein sollte. Hoffentlich geht es so weiter.“ Die Tenniswelt wartet darauf, dass sich der Lendl-Effekt nun auch bei Zverev einstellt.
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