... beweist der Blick auf Giannis, der wenige Minuten später zum Finals-MVP gekürt wird. Zunächst sitzt er jedoch in der Nähe der Milwaukee-Bank – und kämpft mit den Tränen.
Nach Spiel Drei im Rausch
Was dem „Greek Freak“ in diesen Momenten durch den Kopf schießt, weiß nur er selbst – mit ziemlicher Sicherheit wird er aber noch einmal an den Weg zurückgedacht haben, den der griechische Megastar bis zum finalen Schritt auf den Basketballolymp gehen musste. Als er im Jahr 2013 an 15. Stelle von den Bucks im Draft ausgewählt wird, ist er ein großer, dürrer Junge aus Griechenland, hat Probleme mit der Sprache und damit, sich an den Lebensstil eines NBA-Profis zu gewöhnen. Doch John Hammond, damals Bucks-GM schenkt ihm das Vertrauen. „Ich weiß, dass er eines Tages ein besonderer Spieler sein kann“, erklärt er gegenüber Medienvertretern am Draft- Abend – und sollte damit acht Jahre später also Recht behalten.
Die Meisterschaft der Bucks ist der Lohn für viel Geduld, die die Macher in Milwaukee über die Jahre aufbrachten. Dass es ausgerechnet in diesem Jahr mit dem Titelgewinn klappt, war allerdings nicht wirklich abzusehen – vor allem nach den ersten beiden Partien der Serie. Denn sowohl in Game One, als auch in Game Two gibt es für Milwaukee in Phoenix praktisch nichts zu holen. Es wird gemutmaßt, wie fit Giannis Antetokounmpo nach seiner beim ersten Anblick schockierenden Knieverletzung aus der Serie gegen die Atlanta Hawks wirklich ist, ob er darüber hinaus das Zeug habe, nach regelmäßigem
Playoff-Scheitern in der Vergangenheit dieses Mal den letzten Schritt zu gehen. Ab dem Bucks- Sieg in Spiel Drei jedoch verändert sich die Situation – und Milwaukee schaut ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zurück.
Giannis‘ Block auf LeBron-Niveau
Dass die Bucks in Folge vier Spiele hintereinander gewinnen und an eben jenem Abend des 20. Juli 2021 die Larry O‘Brien-Trophy in die Höhe stemmen, hat dabei natürlich verschiedene Gründe. Der erste und offensichtlichste heißt –wenig überraschend – Giannis Antetokounmpo. Der wahrscheinlich beste Athlet der Welt wirkte in den ersten beiden Partien noch angeschlagen, spätestens in Game Three schienen die Probleme mit dem Knie allerdings überwunden zu sein. So schreib der Most Valuable Player von 2019 und 2020 beim ersten Bucks-Sieg in der Serie 41 Punkte in den Spielberichtsbogen, lieferte in Spiel Vier beinahe ein Triple Double (26 Punkte, 14 Rebounds und acht Assists) – und das wohl spektakulärste Play der gesamten Postseason.
Denn nicht wenige Fans und Experten sprachen nach dem mittlerweile schon legendären Block Antetokounmpos gegen DeAndre Ayton kurz vor Ende von Spiel Vier bereits von der möglicherweise Serien-entscheidenden Aktion – sie sollten Recht behalten, konnten sich die Suns nach der Niederlage nicht mehr für Spiel Fünf und Sechs erholen.
Khris & Jrue: Die wichtigsten Helfer
Was auch und gerade daran lag, dass die Schlüsselspieler abseits des Griechen immer genau dann in die Bresche sprangen, wenn sie gebraucht wurden – auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen. Hier sind natürlich zuvorderst All- Star Khris Middleton und Jrue Holiday, der beste Guard-Verteidiger der Liga, zu nennen. Ersterer legte über die Playoffs im Schnitt 24,0 Punkte pro Spiel auf, übernahm in der Crunchtime zumeist aus der Mitteldistanz die Kontrolle über die Partie. Nicht schlecht für einen Spieler, der 2012 an Position 39 gepickt und kurze Zeit später von Detroit nach Milwaukee getradet wurde. Wie Antetokounmpo den Flügelspieler mit dem butterweichen Händchen nach Spiel Sechs in den Arm nahm, zeigte, wie eng die Verbindung zwischen den beiden Bucks-Stars über die Jahre geworden ist.
„Khris hat keine Ahnung, wie sehr er mich über die Jahre ge-
pusht hat“, erklärte Giannis kurz nach dem großen Triumph. „Wir sind seit acht Jahren zusammen, uns es fühlt sich umso besser an, es mit ihm gemeinsam geschafft zu haben.“
Möglicherweise hätte es das aufopferungsvoll für einander kämpfende Duo aber nicht bis an die Spitze der Basketballwelt geschäfft, hätte das Front Office in Milwaukee im Sommer nicht einen der smartesten Trades der jüngeren NBA-Geschichte eingefädelt. Denn welch ein Upgrade Jrue Holiday gegenüber seinem Vorgänger Eric Bledsoe darstellt, davon wird vor allem Chris Paul noch in Jahren berichten können.
Mit Ausnahme von Spiel Eins, wo sich P.J. Tucker Chris Paul annahm und vom „Point God“ regelrecht vorgeführt wurde, erhielt ab Spiel Zwei Holiday die Aufgabe, den vielleicht besten reinen Aufbauspieler aller Zeiten an die Kette zu legen. Wie er das schaffte? Mit körperlicher Verteidigung und einer Presse über das gesamte Feld, ohne schon früh in Foultrouble zu geraten. Sein offensiver Beitrag hielt sich in einem Großteil der Spiele in Grenzen, wer allerdings so verteidigt wie der All-Star von 2013 (mit Philadelphia), darf sich auh offensive Aussetzer leisten. Jrue hat sich in der NBA endlich den Respekt erarbeitet, den er sich nach all den Jahren auf Top- Niveau verdient hat.
„Coach Bud“ belehrt die Kritiker
A propos Respekt: Nach dem Ausscheiden aus den Playoffs 2020 in der „Bubble“ gegen Miami bekam wohl abseits von Giannis niemand so viel Kritik ab wie Coach Mike Budenholzer. Er könne nur Regular Season, verpasse notwendige Adjustments und sei mit seinem Spielstil für einen Gegner in einer Playoffserie zu leicht auszurechnen.
Mit dem Titelgewinn hat „Coach Bud“ jedoch auch diese Kritiker eines besseren belehrt: Als er nach dem ersten Spiel merkte, dass seine defensive Taktik keinen Erfolg versprach, setzte er Holiday auf Chris Paul an, wies ihn dazu an, unter den Blöcken durchzutauchen und so das Midrange- Game von CP3 zu minimalisieren. Im entscheidenden sechsten Spiel schickte er dann sein Star-Trio Antetokounmpo, Middleton und Holiday jeweils über 40 Minuten aufs Feld – und gab so eine Antwort auf die im Vorjahr laut gewordene Kritik, der Übungsleiter würde seine besten Spieler in den entscheidenden Situationen zu lange auf der Bank zu lassen.
Der „Bench Mob“ liefert zuverlässig ab
Ebenfalls Erwähnung finden muss natürlich auch der Supporting Cast der Bucks. Die Starting Five in den Finalspielen wurde komplettiert von Brook Lopez und P.J. Tucker, zwei Veteranen, die ihre
Aufgabe in diesem perfekt zusammengestellten Kollektiv kannten und ohne Murren ausfüllten. Insbesondere Lopez ist hier ein Kompliment zu machen; in den ersten Spielen wurde er noch durch Switches im Pick-and-Roll aus der Mitteldistanz von Booker und Paul gekillt, spätestens ab Partie Drei glänzte er dann als verlässlicher Zonen-Patrolleur und sorgte für die enormen Rebounding-Vorteile der Hirsche in der Finalserie.
Tucker konnte, nachdem er in Houston lange den überforderten Small-Ball-Center geben musste, sich wieder auf seine Lieblingsaufgabe konzentrieren – dem Gegenspieler auf die Nerven gehen. So leistete er auch in Spiel Sechs, in dem er trotz 36 Minuten Spielzeit keinen einzigen Zähler erzielte, einen defensiv extrem wichtigen Beitrag, nahm Devin Booker die Lust am Basketball und erfüllte sich so auch seinen großen Traum. Selbiges gilt für Flügel Pat Connaughton, der besonders in den Spielen vier und fünf von Downtown heißlief und dessen Energie den Bucks immer genau dann einen Push gab, wenn sie es am meisten benötigten. So wie auch Haupt-Energizer Bobby Portis, der in Spiel Sechs mit 16 Punkten von der Bank überragte.
Triumph für die Small-Market-Teams?
Keine Frage: Auch die Bucks haben enorm von ihrer Qualität an der Spitze profitiert, drei aktuelle (oder ehemalige) All-Stars versammelt und so ein Roster aufgebaut, welches Kritiker durchaus als „Superteam“ ansehen könnten. Dass dies in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings kaum geschieht und Giannis‘ Titel schon jetzt höher bewertet wird als beispielsweise die Meisterschaftsringe von Kevin Durant in Golden State zeigt aber, dass der diesjährige Champion im Vergleich zu den Vorjahren etwas anders wahrgenommen wird.
Milwaukee hat gerade den „Small-Market-Teams“, die traditionell keine hochkarätigen Free Agents anziehen und vor allem durch den Draft neu aufbauen müssen, gezeigt, dass man auch mit dieser Methode zum Erfolg kommen kann. Dass es bei einem über die Jahre sorgfältig konstruierten und immer wieder verbesserten Roster vielleicht nur auf eine schlaue Verpflichtung ankommt (in dem Fall Holiday), um den finalen Schritt zu schaffen.
Das ist nicht nur für die Fans in Milwaukee, sondern auch für die Liga ein gutes Zeichen. Die Fans mögen Star-Ansammlungen, wünschen sich aber noch eher, dass die größten Superstars der Liga sich nicht (wie in Brooklyn) zusammentun, um ein vermeintliches Überteam zu bilden. Dass dieser zumeist in den 90er Jahren und davor verortete Gedanke nun zumindest ein Stück weit zurückkehrt, hat die Meisterschaft der Milwaukee Bucks nicht unwahrscheinlicher gemacht.
Die drei Haupt-Leistungsträger besitzen übrigens allesamt noch lange Verträge in der Bierbrauer- Stadt, stehen auf jeden Fall noch einschließlich der Saison 2023/24 auf dem Court. Auch in der kommenden Spielzeit werden die Bucks wieder zu den Top-Favoriten auf den Titel zählen – ob sogar eine Art Dynastie möglich ist, werden allerdings die nächsten Jahre zeigen. Aktuell genießen Giannis und Co. erstmal den Moment – was sie sich nach diesen atemberaubenden Finals auch redlich verdient haben.