... Lerchenspornsträuß-chen gepflückt und diese an Nachbarn verschenkt.
Wie wurde ein Job daraus?
Ich hatte hier einen kleinen Laden im Hinterhof, wo heute mein Iko-Atelier ist. Mit skandinavischen Einrichtungsdingen. Ich bin keine gelernte Floristin. Mein Blumentisch war damals einen Quadratmeter groß und ich habe vielleicht zwei Sträuße in der Woche verkauft. Aber leidenschaftlich.
Also doch ein Blumenladen?
Ich war damals noch eher unbedarft unterwegs. Ich liebte zwar schon die natürlichen Formen der Natur und das Wilde, aber ich habe noch ganz normal im Großmarkt eingekauft. Ich war mir des Ausmaßes des Schattens der Blumenindustrie nicht bewusst. Ich wusste höchstens: Mit Rosen muss man aufgrund der verwendeten Pestizide vorsichtig sein.
Dann reisten Sie zu einer Blumenkünstlerin nach New York ...
Der Workshop löste einen kreativen Tsunami in mir aus. Dort verwendeten sie Blumen, die in Deutschland als defekt oder verwelkt gelten würden, banden getrocknete Fruchtstände, bauten Obst und Gemüse ein. Damals undenkbar hierzulande. Den Blick zu erweitern auf alles, was uns die Natur schenkt – das war von da an mein Weg mit Blumen.
Aus dem Workshop kamen Sie also mit jeder Menge Ideen im Gepäck ...
Ich liebte auch deren Business-Konzept: Ladenbetrieb nur am Samstag und den Rest der Zeit frei für Auftragsarbeiten, Designs und Workshops. Ab da wollte ich mich am liebsten jeden Tag acht Stunden auf Blumen stürzen und gestalten.
Blüten-Bodyshaming
Von wegen Mangelware Ein Schneckenloch im Blatt sollte nicht dazu führen, dass es nicht verwendet oder als unschön gesehen wird. Anne wünscht sich, dass mehr Leute erkennen, dass Blumen keinen künstlichen Standards entsprechen müssen, um in der Floristik genutzt zu werden. Damit der Perfektionismus und der damit verursachte Überschussanbau, Preisdruck und das Tempo der Branche runtergefahren werden können. Verantwortung Warum Bio-Blumen, wir essen sie ja nicht? Ganz einfach: Wer Blumen auf konventionelle Weise anbaut, sie spritzt, Pestizide und Fungizide aufbringt und so den Boden und das Wasser mit Giften traktiert, schadet damit automatisch auch der Umwelt, in der wir alle leben.
Sommer
DER SOMMER: IMMER VOLLER Über raschungen
Haben Sie direkt losgelegt?
Ja, aber es war Februar. Ich hatte zwar meinen eigenen Garten, dort fand allerdings noch kein gezielter Anbau statt. Also habe ich gesammelt: Es gab einige blühende Zweige, die ersten Schneeglöckchen kamen raus, ich habe mich an Fruchtständen versucht. Ich hatte zu dieser Zeit meine Augen überall. Ich bin auch auf den Großmarkt gefahren. Oder war auf dem Wochenmarkt. Ich hatte einen riesigen Blumenhunger.
Wie haben Sie den gestillt?
Ich habe weitere Workshops in Europa besucht, aber bald war mir klar: Die Sorten, mit denen ich in England oder Belgien zu tun habe, die kriege ich hier gar nicht. Und auf dem Großmarkt gab es nur die geraden Stiele. Wirklich alles wie mit dem Lineal gezogen. Es war schwer nachzuvollziehen, was woher kam. Für Blumen in Deutschland gibt es keine Blumenherkunftskennzeichnungspflicht.
Wie haben Sie sich beholfen?
Ich habe gelernt, selbst anzubauen. Habe immer mehr hinterfragt und nach Gleichgesinnten gesucht. In der Slowflower-Bewegung habe ich meine Gruppe gefunden.
Hinterfragen wir unseren Blumenkonsum normalerweise zu wenig?
Ich will überhaupt nicht mit dem Finger auf irgendwen zeigen. Bei mir war das auch ein langer Prozess. Ein Beispiel: Im April bekommt man Rittersporn schon auf dem Großmarkt und denkt natürlich: na, ist ja bald warm. Rittersporn ist eine Bauerngartenpflanze, und ich muss als Floristin eine Boho-Hochzeit ausstatten, also kaufe ich den. Zwei Monate später kommt er dann vielleicht auch im eigenen Garten. Aber im April kommt er eben noch aus Indien oder Südafrika. Von richtig weit weg. Und wahrscheinlich ist er behandelt, damit kein Ernteausfallrisiko besteht. Als ich in meinem Gestaltungswahn anfing nach Sorten zu suchen, wurde mir nach und nach klar: Blumen, die wir einsortieren als deutsche Bauerngartenblumen, die kommen die meiste Zeit des Jahres gar nicht von hier. Deutschland importiert 90 Prozent der verbrauchten Schnittblumen. Und das im Kopf zu haben, ist schon ein erster wichtiger Schritt.
Slowflower – da ist was in Bewegung
Anne ahnte, dass sie nicht die einzige war, die auch beim Konsum von Blumen andere Wege gehen – und regionaler kaufen wollte.
„Ein Haufen Enthusiasten“, nennt sie ihre Gründungsgruppe der deutschen Slowflower-Bewegung liebevoll. Fast alle sind Quereinsteiger im Floristenjob, manche haben Land, andere nur einen Dachgarten, aber alle teilen eine große Vision: das Netz aus regional, saisonal und ökologisch angebauten Schnittblumen in Deutschland auszuweiten. Erste Erfolge feiern sie bereits.
slowflower-bewegung.de
STRUKTURGEBER
Anne arbeitet gerne mit den Formen von Fenchel, wilder Möhre, Wiesenkerbel und allen kauzig gewachsenen Sträuchern wie Spieren in allen Farben und Sorten.
Herbst
Was kann jeder tun?
Fragen Den Blumenhändler des Vertrauens darauf aufmerksam machen, was einem wichtig ist: Was kommt aus der Region? Was ist nicht gespritzt?
Jahreszeitlich denken Was wächst gerade bei uns? Rosen im Januar bedeuten viele Pestizide, Import oder stark beheizte Gewächshäuser.
Offen bleiben Sich auf das konzentrieren, was da ist, sich nicht vorher zu stark festlegen, flexibel bleiben.
Wo kommen denn Ihre Blumen her?
In der ersten Zeit hätte ich mir eine weise ältere Dame gewünscht, zu der ich mit Tütchen und einer Liste meiner Wunschsorten in den Schrebergarten gehen könnte, und die mich an die Hand nimmt, was den Anbau angeht. Zu erkennen, dass ich selbst anbauen kann, war ein großes Geschenk. In den Einzelworkshops schneiden die Teilnehmer:innen inzwischen in meinem Garten – dort kommen auch alle meine Blumen her. Für Gruppenworkshops besuchen wir Flowerfarmer:innen auf ihren Feldern, kreieren und lernen dort. Mich bewegt der gegenseitige Austausch an solchen Tagen sehr. Das macht Mut, dem Slowflower-Pfad zu folgen.
Wie lautet also das Fazit für Blumenfans?
Überall wächst Wunderbares. Wir können lernen hinzusehen und es zu nehmen wie es kommt.