... Zeuge, wie sie in ihrer überfüllten Brutkolonie auf Bird Island, einem nur drei Hektar großen Eiland vor Südafrika, abheben, um zu jagen. Lieblingsspeise: Sardinen, die zu Milliarden durch die kältere Meeresströmung, den Benguelastrom, vor der Küste ziehen. Die Naturfilmer Jérôme Julienne und John Jackson, die bereits mit Teams ihres Vorbilds Jacques Cousteau (1910 – 1997) drehten, folgen mit Drohnenkameras den Vögeln. Die spähen zunächst aus der Höhe nach Beute. Ist von dort kein Sardinenschwarm in Sicht, lassen sich einige Tölpel bäuchlings auf dem Wasser treiben, den Kopf in die Tiefe gereckt. Noch kein Erfolg? Zum Glück naht Hilfe: Delfine auf Patrouille! Mit ihren Klicklauten und Sonarorganen können sie Sardinen besser aufspüren. Die Kaptölpel müssen den Jagdgefährten nur noch folgen.
Plötzlich tauchen die Meeressäuger ab. Das Signal zum Angriff! Auf die heranschießenden Delfine reagieren die Sardinen mit einer bewährten Verteidigung: Der Schwarm ballt sich zu einer Kugel zusammen. So können die Jäger keine einzelnen Opfer fixieren. Raffiniert, aber nicht raffiniert genug. Denn jetzt greift das Luftkommando ein. Im Sturzflug stoßen die Kaptölpel zu Hunderten herab, prallen nahezu ungebremst mit angelegten Flügeln auf die Wasseroberf läche. Kopfüber und mit 100 Stundenkilometern. Der Mensch würde einen solchen Aufprall kaum überleben. Forscher am US-Institut Virginia Tech entschlüsselten das Phänomen mit 3-D-Modellen: Kopfform und Halshaltung der Vögel sind perfekt ans Stoßtauchen angepasst. Der lange Schnabel geht fast nahtlos in den schmalen Kopf über, durch Anspannung der Nackenmuskeln wird der Hals gestreckt. So teilen die Tölpel das Wasser – aerodynamisch wie ein Torpedo!
Gemeinsam geht’s besser
Unter Wasser zeigen sie dann ihr nächstes Kunststück: In atemberaubendem Tempo schießen sie hinein in den Schwarm. Sie rudern und steuern mit ihren Schwimmfüßen, als wären sie im nassen Element zu Hause. Auch die Delfine profitieren vom Angriff. Die Vögel treiben den Schwarm auseinander. Panik! Ein wildes Gewimmel aus Fischleibern, herabschießenden Kaptölpeln und Delfinen, die sich jetzt bequem am Festmahl beteiligen können. Die Naturfilmer Jérôme Julienne und John Jackson halten das Spektakel mit Hochgeschwindigkeitskameras vom Boot aus fest. Ein Taucher liefert die Unterwasserbilder. So dokumentieren sie die verblüffende Allianz der ungleichen Jäger.
Für die Tölpel geht es jetzt zurück nach Bird Island. Eine triumphale Rückkehr mit Futter für die Kleinen. Heute gibt es Fisch! Das Landemanöver fällt wieder tollpatschig aus, doch die Begrüßung ist euphorisch. Kleine Tölpel machen sich lautstark bemerkbar. Ein ohrenbetäubendes Fiepen und Schnattern erfüllt die Luft. Doch jeder Ruf ist so individuell, dass alle Rückkehrer genau wissen, wo sie landen müssen, um den eigenen Nachwuchs zu finden.
Die Jungvögel wirken noch schmucklos und graubraun. Erst mit dem vierten Lebensjahr bildet sich das typische weiße Gefieder mit den schwarzen Schwanz- und Flügelspitzen. Dann werden sie auch geschlechtsreif. Nicht alle erreichen dieses Alter. Der Überlebenskampf in der rauen Umgebung fordert Opfer, und die immer knapper werdende Nahrung sorgt für leere Mägen. Viele Küken verhungern. Die Überfischung der Meere macht auch vor Sardinenschwärmen nicht halt. „Die Bestände der Kaptölpel sind in den letzten drei Generationen stark geschrumpft und werden in den nächsten drei Generationen voraussichtlich weiterhin rapide zurückgehen“, lautet das Fazit der Weltnaturschutzunion IUCN. „Aus diesen Gründen wird die Art als ‚Stark gefährdet‘ eingestuft.“
Experten schätzen den Gesamtbestand noch auf rund 123.000 Paare. Ihre Brutkolonien auf den Inseln Südafrikas und Namibias sind streng geschützt. So gibt es Hoffnung, dass Kaptölpel und Delfine auch in Zukunft gemeinsam auf die Jagd gehen können.
KAI RIEDEMANN