Alles ist so neu. Manchmal auch ein bisschen fremd. Zu dritt sein, das fühlt sich noch ungewohnt an. Und was gibt es nicht alles zu bedenken: Woher weiß ich, ob mein kleiner Schatz genug getrunken hat? Und: Soll ich nachts wickeln oder lieber nicht? Wieso dreht sich mein Kleiner noch nicht? Darf unserer Baby bei uns im Bett schlafen? Die Freundin aus dem Geburtsvorbereitungskurs meint: „Bloß nicht!“ Im Internet steht aber, dass das in anderen Kulturen selbstverständlich ist. „Solche Unsicherheiten sind normal“, sagt Dr. Mauri Fries, Entwicklungspsychologin und Familientherapeutin aus Berlin. „Gerade in den ersten Tagen und Wochen fragen sich Eltern andauernd, ob sie alles richtig machen.“
INTUITION KANN VIEL!
Die gute Nachricht: Eltern verfügen über eine intuitive Kompetenz, ihre Säuglinge gut zu umsorgen. Dieses „Brutpflegeverhalten“ ist tief im limbischen System unseres Gehirns verankert. Weint ein Baby, weckt das in uns unweigerlich das Bedürfnis, ihm Nähe und Schutz zu geben. Und sucht unser Baby Kontakt, reagieren wir automatisch auf die kindlichen Signale und beantworten sie mit Ammensprache, mit überdeutlicher Mimik und intensiver Kommunikation. „Dieses Verhalten gehört zu unserem evolutionären Erbe. Wir haben es in uns, selbst wenn wir nie zuvor mit einem Baby zu tun hatten oder nicht der biologische Vater oder die Mutter sind“, erklärt Dr. Mauri Fries. „Diese Reaktionen laufen langsamer ab als ein Reflex, aber schneller als ein bedachter Gedanke.“ Wir überlegen nicht lange, sondern handeln aus dem Bauch heraus und reagieren umgehend auf Äußerungen und Appelle des Babys. Und genau das ist richtig und wichtig für seine Entwicklung. Denn nur dann kann es einen Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und der Reaktion seines Gegenübers herstellen. Nur so kann sich in ihm das schöne Gefühl, die bedeutsame Vorstellung entwickeln: „Ich kann etwas bewirken. Ich werde verstanden.“ Im direkten Kontakt mit unserem Baby können wir also darauf vertrauen, dass unser Bauchgefühl uns gut leitet. Und mit der Zeit klappt das sogar immer besser. Das Baby gurrt und strampelt vergnügt, wenn es zufrieden ist und Spaß hat. Es wendet sein Köpfchen ab, quengelt und macht fahrige Bewegungen, wenn es müde, erschöpft oder hungrig ist. All diese kleinen Botschaften können wir nach kurzer Zeit problemlos „lesen“. „Eltern sind, auch wenn sie es am Anfang manchmal nicht glauben können, die besten Experten für ihr Baby“, sagt Entwicklungspsychologin Mauri Fries.
Eltern verfügen über eine angeborene, intuitive Kompetenz, ihr Baby zu verstehen und zu versorgen
KLUGER BAUCH
DIE WEISHEIT DER GEFÜHLE
Über den Verstand nehmen wir einen Teil unserer Umwelt wahr. Unbewusst verarbeiten wir aber noch weit mehr Reize und Informationen, die einen kostbaren Erfahrungsschatz, unser Bauchgefühl bilden. Ein Beispiel: Wir besichtigen verschiedene Krippen. Flyer und Gespräche mit den Erziehern geben uns wichtige Anhaltspunkte. Unser Gefühl, unbehaglich oder beschwingt, verrät uns, was wir bei den Besuchen unbewusst wahrgenommen haben, und hilft uns so, eine rundum kluge Entscheidung zu fällen.
FEHLER GEHÖREN DAZU
Wie in jeder Beziehung gibt es natürlich auch zwischen Eltern und Baby misslungene Kommunikationen – trotz liebevoller Zuwendung, genauen Beobachtens und fundierter Ratgeber, die uns sagen, wann Babys zahnen oder einen Entwick- l lungsschub durchleben. Mauri Fries nimmt die Angst davor: „Missverständnisse gehören dazu. Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern solche, die merken, wenn etwas nicht stimmt, und die dann kein starres Programm durchziehen, sondern schauen, wie es anders gehen könnte.“
Woran erkennt man eigentlich, dass man auf Babys Signal die „falsche Antwort“ gegeben hat? „Zum Beispiel, wenn ein schreiendes Baby angelegt wird, es etwas trinkt, aber dann schnell wieder anfängt, zu quengeln und unzufrieden zu sein. Dann hatte das Baby vielleicht keinen Hunger, sondern Langeweile. Und die Eltern müssen geduldig auf ein Neues versuchen, herauszufinden, was der wirkliche Grund für das Schreien ihres Kindes ist“, erklärt der renommierte Bindungsforscher Dr. Karl Heinz Brisch. Zur Beruhigung: Es sind nicht einzelne Momente, die eine Beziehung prägen. Sondern der Alltag ist entscheidend. Kinder bilden sozusagen den Mittelwert ihrer Erfahrungen. Und solange die guten Momente überwiegen, können Kinder ganz gut mit Unsicherheiten ihrer Eltern umgehen.
STÖRFAKTOR STRESS
Das ist gut. Denn unsere Feinfühligkeit im Umgang mit unserem Baby wird immer mal wieder beeinträchtigt. Zum Beispiel durch Stress oder Erschöpfung. Wenn ein Baby dann zu oft keine angemessene Reaktion erfährt, wird es leichter unruhig und schreit mehr, was wiederum bei den Eltern zu größerer Unsicherheit und Hilflosigkeit führen kann. „Eltern sollten deshalb überhaupt keine Scheu haben, sich regelmäßig Unterstützung zu holen, damit sie wieder Energie tanken können“, empfiehlt die Expertin. Erholt und ausgeschlafen ist das Bauchgefühl gleich viel zuverlässiger.
Wie wichtig ein gelassener, intuitiver Umgang mit Kindern ist, zeigt sich auch beim Stillen: Die Milchproduktion hängt unter anderem von der Ausschüttung des „Glücks- und Bindungshormons“ Oxytocin ab. Anders gesagt: Je entspannter die Mutter, desto besser fließt die Milch. Stresshormone hingegen stören den Milchfluss. Erfahrene Hebammen geben deshalb nicht nur praktische Tipps, wie das Baby angelegt wird, sondern versuchen gleichzeitig, zu beruhigen und den Stress aus der Situation zu nehmen.
Unterstützung von Freunden und Omi ist wichtig. Erholte Eltern haben nämlich ein besseres Bauchgefühl
ERFAHRUNGEN PRÄGEN
Wie wir unser Verhalten gegenüber unserem Baby ausgestalten, hängt auch davon ab, welche Werte wir – bewusst und unbewusst – in uns tragen. Je nachdem, was für Erfahrungen wir selbst als Kind gemacht haben, welche Überzeugungen wir im Laufe unseres Lebens entwickelt haben, senden wir unterschwellige Botschaften an unsere Kinder. Die können zum Beispiel lauten: „Die Welt ist gefährlich. Pass auf, dass dir nichts passiert“ oder „Ich bin stolz auf dich, wenn du nicht weinst“.
„Kinder, auch schon sehr kleine, haben dafür feine Antennen und sie versuchen, sich den Erwartungen der Erwachsenen anzupassen“, sagt Mauri Fries. Und Dr. Holger Schlageter, Psychologe und Pädagoge aus Wiesbaden, fügt hinzu: „Die eigene Erziehung und die Lebenssituation in der Kindheit sind eine ganz bedeutsame Quelle für das eigene Erziehungsverhalten. Unser Konfliktverhalten, Werte, der Kommunikationsstil – all das übernehmen wir hauptsächlich über das Vorbild unserer Eltern und vererben es dann sozial an unsere Kinder weiter.“ Kann unser Bauchgefühl also auch Schaden anrichten? Im Normalfall nicht. Die Natur hat es so eingerichtet, dass Eltern durchaus unterschiedliche Temperamente und Verhaltensweisen an den Tag legen und mit verschiedenen Überzeugungen erziehen können – und ihre Kinder entwickeln sich trotzdem gleich gut. Auch Entwicklungspsychologin Mauri Fries beruhigt: „Sie brauchen nicht Ihr Innerstes analysieren, damit Sie Ihr Baby gut versorgen können. Wichtiger als eine Nabelschau ist, dass Sie Ihr Kleines beobachten und mit ganzem Herzen wahrnehmen. Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Baby Ihnen mit seinen Signalen sagen kann, was es braucht, und dass Sie dann das Richtige tun.“
EXPERTENRAT NUTZEN
Aber nicht in jeder Situation geht es um die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Manchmal braucht es tatsächlich Faktenwissen, damit wir das Beste für unseren Nachwuchs tun können. Ein Beispiel: Die Kleinen schauen in ihren Babywippern oft sehr vergnügt und zufrieden aus der Wäsche. Aber tun die Baby-Liegestühle ihnen auch tatsächlich gut? Die richtige Antwort auf solche Fragen kann uns unser Bauch nicht so leicht geben. Dabei hilft Expertenwissen. Und Physiotherapeuten sagen: „Babys liegen deshalb gern im Wipper, weil sie von dort alles bequem im Blick haben. Der Nachteil ist aber, dass sie schnell keine Motivation mehr verspüren, selbst aktiv zu werden und durch Strampeln, Drehen und Köpfchenheben wichtige Bewegungserfahrungen zu sammeln. Auch wird die Wirbelsäule falsch belastet.“ Woher soll man das wissen, wenn nicht aus einem Ratgeber? Ein anderes Beispiel: Vielleicht merken wir, dass unsere Kleine mit fast vier Jahren beim Sprechen noch ganz schön oft über den „spitzen Stein stolpert“ und lispelt. Ob das noch im Normbereich ist oder nicht, kann aber meist besser der Kinderarzt bei der U 8 einschätzen.
Nicht nur das Bauchgefühl, sondern auch Expertenrat sind also wichtig. Auch hilft der Austausch mit anderen Eltern oft gut weiter, eine Situation einzuschätzen oder ein Problem zu lösen. Wenn man „Elterngespräche“ führt, zum Beispiel beim Babytreff oder nach dem Rückbildungskurs, sollte man sich dabei aber fragen: Ermutigt mich diese Erzählung und bekomme ich Informationen, die mir weiterhelfen? Oder weckt sie in mir nur Unsicherheit oder Unwohlsein? Dann sollten Sie die Bremse ziehen.
EIN GUTES GEFÜHL
Auch eine zu große Flut an Ratgebern kann verunsichern. „Man sollte jungen Müttern lieber einen Krimi schenken statt des zehnten Erziehungsratgebers“, empfiehlt Dr. Mauri Fries. Denn zu viele Informationen können bewirken, dass wir Probleme sehen, wo vielleicht gar keine sind. Wer kennt nicht den Effekt, dass der Kopf juckt, sobald jemand von Läusen spricht? Und wer drei Bücher über Allergien gelesen hat, sieht in einem kleinen Pickel vielleicht schneller als sinnvoll den Anfang einer Lebensmittelunverträglichkeit.
Gesundheits-Check, Sprachprobleme oder gesunde Babykost? Hier helfen Fachleute und Ratgeber gut weiter
„Wissen ist wichtig. Es hilft einem, sein Baby zu verstehen. Aber im Übermaß kann es das Bauchgefühl stören. Eltern vergessen darüber, dass sie die besten Experten für ihr Kind sind. Sie wollen absolute Gewissheit, dass sie auf dem richtigen Weg sind, aber die gibt es nicht“, sagt Hebamme Simone Lehwald.
Ein Beispiel: Auf die Frage, wie lange ein Kind im Elternbett schlafen soll oder darf, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Es muss sich für die Familie richtig anfühlen. Dann stimmt’s. Wenn Eltern sich mit ihrer Entscheidung wohlfühlen, schenkt das dem Kind ein gutes, sicheres Gefühl. Für Simone Lehwald ist es daher eine „wichtige Aufgabe der Hebammen, das elterliche Vertrauen in ihr Bauchgefühl zu stärken.“ Die allermeisten Eltern bekommen es wunderbar hin.
INTUITION LERNEN
In den SAFE ® -Elternkursen können Mütter und Väter mit Beginn der Schwangerschaft feinfühliges Verhalten einüben
„Es ist, als ginge man frisch verliebt auf eine Reise. So groß die Gefühle sind, es dauert, bis man die Bedürfnisse und Signale des Anderen erkennt und versteht“, beschreibt Bindungsforscher Karl Heinz Brisch den Beginn der Eltern-Kind-Beziehung. Zudem kann das intuitive Elternverhalten durch schlechte Kindheitserfahrungen, Stress, Geldsorgen oder Partnerprobleme gestört werden. Die SAFE ® -Kurse helfen Eltern, von Anfang an feinfühlig und angemessen zu reagieren. Mehr Infos: www.safe-programm.de