... Wortsinn. Besessen vom Kampf für Recht und Gerechtigkeit. Sie wollte den Menschen auf die Finger schauen, deren Aufgabe es ist, das Wohl der Allgemeinheit zu schützen und zu mehren. Vor allem wollte sie genau hinschauen, wer von den Politikern sich nicht an die Gesetze hält und sich mit Kriminellen gemeinmacht. Es gab schlimme Gerüchte, die über die sonst so wunderschöne Urlaubsinsel waberten. Denen musste sie nachgehen. Bereits während ihres Studiums Mitte der 90er-Jahre war ihr bewusst geworden, dass ihre Heimat zu einem Eldorado für Verbrecher geworden war – für Mafiabosse, Wirtschaftskriminelle und Terroristen, die ihr schmutziges Geld in maltesischen Banken verstecken und auch reinwaschen konnten. Und das mit dem Segen von ganz oben.
Als die Urlaubsinsel Malta in Blut und Betrug versank …
Wer hat schon das Rückgrat, gegen uns vorzugehen? So fragten sie sich sicher. Das Volk? Oder diese Daphne Galizia mit ihrem Geschreibsel, wie die Männer ihre Artikel geringschätzig abtaten. Noch dazu eine Frau! Die war doch keine Gefahr … Noch nicht!
Als die Reporterin begann, jedes einzelne ihrer Worte zusätzlich mit Zündstoff zu laden, wie ein Gewehr mit Schwarzpulver, die sie dann rasend in ihren Computer hämmerte und mit ihnen Sätze bildete, die wie Geschosse einschlugen, war das für ihre Feinde wie eine Kriegserklärung. Über 400 000 lasen Tag für Tag ihren Blog. Immer wieder kam es zu Rechtsstreitigkeiten. Immer wieder wurde gegen Galizia ermittelt. Über 40-mal wurde sie angeklagt. 2010 warf sie der Untersuchungsrichterin Consuelo Scerri Herrera vor, ihr Amt zu missbrauchen. Galizia wurde daraufhin von ihr wegen Verleumdung angezeigt. Später hatte sie der Journalistin angeboten, die Anzeige zurückzuziehen, wenn sie zugebe, die Anschuldigungen nicht überprüft zu haben.
Ich soll lügen? Galizia lehnte empört ab! 8. März 2013. Die tapfere Zeitungsfrau wird festgenommen, weil sie Dokumente veröffentlicht hat, die den Oppositionsführer Joseph Muscat, der ein paar Tage später Premierminister werden wollte, schwer belasten. Stundenlang wird Galizia von der Polizei in die Mangel genommen. Dann freigelassen. Eine Journalistin im Knast macht sich nicht so gut vor Wahlen!
Auftraggeber sollte ein dubioser Geschäftsmann – auf seiner Luxus-Yacht klickten die Handschellen! Die Killer kassierten 150000 Euro Cash. Durch die Bewegungsprofile ihrer Handys wurden sie geschnappt…
10. März 2013. Joseph Muscat wird der neue Premierminister von Malta. Unglaublicherweise legt seine Regierung als Erstes ein Programm auf, dass wie ein Einfallstor für Verbrecher anmutet. Die Regierung fördert den Verkauf maltesischer Pässe. 630 000 Dollar sollte jeder kosten. Kriminelle aus ganz Europa und dem Nahen Osten, Oligarchen, fragwürdige Geschäftsleute, Bandenchefs fallen daraufhin ins Steuerparadies ein und wollen europäische Staatsbürger werden. Die Journalistin notiert wütend: Schmiergeld aus dem Verkauf maltesischer Pässe! Die Regierung verbünde sich mit Kriminellen und decke so deren Verbrechen!
Ein zwielichtiger iranischer Finanzjongleur gründet blitzschnell eine Bank (Pilatus-Bank) über die beinahe alle dubiosen Zahlungen laufen, wie die Journalistin bald herausfindet. In der Bank gibt es keinen Kundenverkehr und so gut wie keine Angestellten.
Die Journalistin stößt auf verdächtige Geldflüsse an Regierungsmitglieder. Drei Passkäufer aus Russland sollen 166 000 Euro auf ein panamaisches Briefkasten-Konto überwiesen haben, das einem Freund des Premierministers gehört. Auf ein anderes flossen angeblich 100 000 Euro. Besitzer dieses Kontos: Kabinetts-Chef Keith Schembri. Das seien die Rückzahlungen von Darlehen, verteidigt man sich. Das seien Schein-Darlehen, mit denen Schmiergeldzahlungen verschleiert werden sollten, ist sich dagegen die Antikorruptions-Behörde so gut wie sicher. Die Polizei ermittelt trotzdem nicht. Der Premier habe die Ermittler gestoppt, schreibt Galizia aufgebracht.
Mit Wissen des Regierungschefs verklagen sein Freund und sein Kabinettschef die Journalistin wegen Verleumdung. Der Premier bestreitet, Ermittlungen verhindert zu haben. Doch die Journalistin ist sicher: Die Spuren führen immer öfter zu Joseph Muscats Büro. Dann trifft den Verdächtigen ein Bericht wie ein heftiger Schlag in die Magengrube: Eine Mitarbeiterin der Pilatus-Bank hatte der Reporterin Dokumente gebracht, die sie im Safe entdeckt hatte. Die Papiere führten zu einer Briefkastenfirma in Panama. Die Journalistin las laut den Namen der Eigentümerin vor: Michelle Muscat, die Frau des Premierministers! Jetzt habe ich ihn, hätte sie gern gejubelt. Aber sie unterdrückte ihr Glücksgefühl.
In den Dokumenten war eine Millionenüberweisung aus Aserbaidschan aufgeführt. Sie stammte von der Tochter des Diktators Alijew. Kurz vor der Überweisung weilte der Premier Muscat in der Hauptstadt Baku und hatte mit dem Staatschef einen Deal vereinbart, dass er 18 Jahre lang exklusiv Gas nach Malta verkaufen darf.
Die finstere Aserbaidschan-Connection!
Eine Million für die Frau des Premiers, titelte die Journalistin.
Die Antikorruptions-Behörde untersucht das Geschäft mit dem Diktator. Es gebe einen Verdacht auf Geldwäsche, Verschleierung und kriminelle Machenschaften. Dem leitenden Ermittler der Behörde, der dem Verdacht nachgehen will, wird sofort gekündigt. Die offizielle Begründung: Er habe die Erwartungen nicht erfüllt …
Daphne Galizia erhält mehrere Morddrohungen. Die letzte kurz vor ihrem Tod.
Wieder wird nichts unternommen. Die Folgen sind blutig …
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16. Oktober 2017. Zwei Mafiosi, Vincent Muscat und Alfred Degiorgio, beobachten tagelang Galizias Haus. In der letzten Nacht verstecken sie in ihrem Peugeot eine Bombe. Als sie mittags losfährt, schickt Degiorgio seinem Bruder George, der auf einem Boot auf sein Zeichen wartet, eine SMS: Zünde die Bombe! Kurz darauf wird das Viertel von einer Explosion erschüttert. Im selben Moment zerreißt es den Pkw. Er wird viele Meter weit geschleudert, landet auf einer Wiese. Der Boden ist übersät von Trümmerteilen und Gliedmaßen. Galizias Sohn Matthew kommt panisch angerannt. Er schreit herzzerreißend nach seiner Mutter …
3. November. Die Journalistin wird beerdigt. Ihre Eltern wollen nicht, dass Politiker erscheinen. Sie geben denen die Mitschuld an dem Mord. Das FBI, ein Team aus Holland und finnische Sicherheitsbeamte helfen mit bei der Aufklärung. Die Regierung setzt eine Million Euro als Belohnung aus. Die Familie der ermordeten Journalistin appelliert an die Justiz, die Richterin Herrera von der Untersuchung des Mordfalls abzuziehen, da die gegen ihre Tochter ermittelt hätte. Sie könne nicht objektiv sein. Drei Mord-Verdächtige, die beiden Brüder und Vincent Muscat, werden verhaftet. Letzterer packt aus. Dafür wird er nur zu 15 Jahren verurteilt. Er gesteht, dass ihn die Brüder angeheuert hätten. Jeder sollte 50 000 Euro bekommen. Mit seiner Aussage belastet er Wirtschaftsminister Cardona schwer. Er habe einen der Brüder zu dessen Büro gefahren.
Dem Kronzeugen Melvin Theuma dagegen sichert man für ein Geständnis Straffreiheit zu. Er habe die drei besorgt, gibt Theuma den Ermittlern zu Protokoll. Er selbst sei der Mittelsmann zwischen den Killern und dem Auftraggeber Yorgen F. gewesen. Er habe von dem reichen Geschäftsmann die 150 000 Euro Blutgeld bekommen.
Kurz vor seiner Verhaftung flieht Yorgen F. Der Kabinetts-Chef hat ihn offenbar gewarnt. F. wird gefasst und wegen Mord-Mittäterschaft angeklagt. Als der Kronzeuge gegen den Geschäftsmann vor Gericht aussagen soll, findet man ihn mit Stichverletzungen in seiner Wohnung. Die Polizei vermutet: Er habe sich die Verletzungen selbst zugefügt. Yorgen F. belastet Stabs-Chef Keith Schembri schwer. Der sei Teil des Mordkomplotts gewesen; er wird verhaftet und zwei Tage später freigelassen …
Steckte etwa der Wirtschafts minister hinter dem Komplott?
Am Ende musste sogar der maltesische Premierminister zurücktreten!
Vorm Gerichtsverfahren wurde ein Kronzeuge niedergestochen...
Zwei Jahre nach dem Anschlag: Politiker und Polizisten treten scharenweise zurück, weil sie dem Protest-Druck in den Straßen Maltas nicht mehr standhalten können: Premierminister Joseph Muscat, Stabs-Chef Keith Schembri, Energieminister Konrad Mizzi und Wirtschaftsminister Chris Cardona. Die Bildungsministerin Justyne Caruana gibt auf, weil ihr Mann, Silvio Valletta, als stellvertretender Polizeichef enge Kontakte zum Drahtzieher des Attentats gehabt haben soll.
Auch Polizei-Chef Lawrence Cutajar legt sein Amt nieder. Ihm ist nachgewiesen worden, Korruptionsvorwürfe nicht verfolgt zu haben. Schade, dass Daphne Galizia das große Aufräumen nicht mehr miterleben konnte. Es hätte sie sicher stolz gemacht!
Hans Victor