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Die Haupteigenschaft eines guten Chartmusters ist Zuverlässigkeit. Warum sollten wir an einem Chartmuster interessiert sein, dass nur in 30 Prozent der Fälle gültig ist? Da hätten wir eine bessere Chance, wenn wir eine Münze werfen würden. Als „Performance-Filter“ brauchen wir Chartmuster, die eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent oder mehr besitzen, dass sie sich wie vorgesehen entwickeln. Unter dieser Voraussetzung sinkt die Zahl nützlicher Muster auf eine Handvoll.
Die Gefahr beim Trading nach Mustern ist immer, dass man Luftschlösser baut. Statt zu sehen, was wirklich ist, neigen wir dazu, zu sehen, was wir sehen wollen. Außer jahrelanger Übung und strikter Disziplin gibt es nur wenige wirksame Methoden, sich den Blick durch die rosarote Brille abzugewöhnen. Aber wir können die Mustererkennung verbessern, wenn wir präziser formulieren, wonach genau wir suchen.
Zum Vergleich: Ein Auto hat vier Räder, einen Motor und Platz für Insassen. Diese weite Definition schließt zwar einige Fahrzeuge aus, hilft uns aber nicht dabei, das geeignete Auto für unsere Familie zu finden. Um zu einer brauchbaren Kaufentscheidung zu kommen, müssen wir das Auto, das wir uns vorstellen, genauer spezifizieren. Dasselbe gilt für die Mustererkennung in Charts. Es sind sehr genaue Definitionen nötig, um die Subjektivität zu reduzieren und nahezu gleich aussehende Muster mit niedriger Erfolgswahrscheinlichkeit auszusortieren.
Die bullische Flagge
Eines der besten Chartmuster ist die bullische Flagge im Tageschart (siehe Bild 1). Es beginnt mit dem sogenannten Flaggenstock und kommt nur an dessen oberem Ende vor. Der Flaggenstock entsteht durch eine bis zu fünf Tagen andauernde scharfe Preisbewegung in eine Richtung, bei der zwischenzeitlich keine nennenswerten Rückschläge auftreten. Die Flagge selbst bildet sich aus, wenn die bisherige Begeisterung für eine Aktie nachlässt. Gleichzeitig gibt es nur wenige Verkäufer, weil die meisten Trader ihre kürzlich erworbenen Positionen halten möchten. Die Kurse bewegen sich insgesamt etwas abwärts, aber im Bild wird deutlich, dass dabei eine stetige Trading Range eingehalten wird.
Zur Identifikation des Musters erwarten wir zwei bis drei Punkte, um probeweise eine abwärts gerichtete Trendlinie einzuzeichnen. Gewöhnlich werden mindestens drei Tage für die Bestätigung benötigt. Sobald die obere glatte Trendlinie eingetragen ist, suchen wir nach der potenziellen parallelen Trendlinie, um die untere Begrenzung des Musters zu definieren. Dazu nimmt man einfach die obere Trendlinie und zeichnet anhand des letzten Tiefs eine Parallele in das entstehende Muster ein. Um die Trendlinie einzutragen, müssen wir nicht die Entstehung von zwei oder drei Tiefs abwarten, sondern schließen anhand eines einzelnen Tiefs auf die Lage der unteren parallelen Trendlinie.
Außerdem ist es wichtig, sich mit der Anlage der unteren Trendlinie zu beeilen. Denn in einem schnellen Bullenmarkt kann sich das Muster in nur drei bis fünf Tagen entwickeln. Manchmal treten nur zwei untere Punkte auf und wenn wir auf einen dritten warten, verpassen wir die Gelegenheit zum Ausbruch nach oben. Wenn wir deshalb eine untere parallele Trendlinie ziehen, die auf der bestätigten oberen basiert, haben wir den Vorteil, das Muster rechtzeitig zu erkennen, bevor die Kurse wieder durchstarten. Das Muster kann für seine Entwicklung auch länger als drei bis fünf Tage brauchen. In diesem Fall haben wir zusätzliche Punkte für die Bestätigung der oberen und unteren Trendlinien.
Einstieg, Positionsmanagement und Ausstieg
Aggressive Trader kaufen die Aktie bereits, wenn sie sich der unteren Trendlinie nähert. Wer konservativer handelt, wartet ab, bis die Kurse durch die obere Trendlinie ausbrechen und das Muster dadurch bestätigen.
Der anfängliche Stopp-Loss wird einen Tick unter der unteren Trendlinie platziert. Das gibt dem Kurs Raum, sich innerhalb der Mustergrenzen zu entwickeln. Wenn das Muster seinen Abwärtstrend beibehält, wird der Stopp anhand der Trendlinie herabgesetzt, denn wir wollen nicht vor der vollständigen Entwicklung des Musters aus diesem Trade ausgestoppt werden. Beim Herabsetzen des Stopps ist darauf zu achten, dass das Risiko von zwei Prozent des Trading-Kapitals nicht überschritten wird.
Wie weit können wir die Flagge fallen lassen, bevor der Trade aufgegeben werden soll? Dafür gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Zu den Exitsignalen gehört aber das Fallen unter die untere Trendlinie. Erfahrungsgemäß braucht dieses Muster für seine volle Entwicklung fünf bis zehn Tage. Jenseits von zehn Tagen verliert es seine Aussagekraft. Bei einem weiteren Abstieg der oberen Trendlinie sinkt nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit, sondern auch das Gewinnpotenzial, weil der berechnete Ausstiegspunkt ebenfalls fällt.
Zur Ermittlung des Kursziels wird zunächst die Distanz von der Basis des Flaggenstocks bis zu seiner Spitze berechnet. Dieser Wert wird dann beim Ausbruch aus dem Flaggenmuster nach oben projiziert. Daraus ergibt sich das Mindestziel, das in vielen Fällen überschritten wird. Der Ausbruch erfolgt häufig rasant und mit einer Kurslücke oberhalb der Spitze der Flaggentrendlinie. Für konservative Trader liegt darin ein Nachteil, weil sie dem Kurs dann beim Einstieg nachlaufen müssen.
Manchmal driften Ausbrüche aber nur seitwärts, was darauf hindeutet, dass die Formation an Momentum verloren hat. Es ist ratsam, solche Trades glattzustellen und sich mit einem kleineren Gewinn zu begnügen, weil sich die Erfolgswahrscheinlichkeit verringert hat. Die Trades sind zwar noch profitabel, aber es besteht weniger Aussicht, dass sie das Gewinnziel erreichen.
Je mehr das Chartbild einer Idealformation entspricht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Trade wie angenommen entwickelt. Dabei tritt das Flaggenmuster vor allem in schnellen Märkten auf. Es ist also kein langsames Muster, das Wochen zur Entwicklung braucht. Deshalb haben Flaggen auf Wochencharts auch eine deutlich niedrigere Zuverlässigkeit.
Fazit
Flaggenmuster sind für kurzfristige Swing Trades auf Basis von Tagescharts sehr empfehlenswert. Diese Methode bietet potenzielle Trades mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen guten Gewinn bei vergleichsweise einfachem Trade-Management. Ein weiteres Plus ist, dass sich das Risiko klar abgrenzen lässt. Allerdings ist darauf zu achten, dass sich die Flagge so idealtypisch wie möglich entwickelt. Außerdem müssen Trader bereit sein, Trades, die sich nach zehn Tagen noch nicht dynamisch entwickelt haben, wieder glattzustellen.