Der größte Unterschied, den man sich mit dem X ins Haus holt, besteht sicher in den geänderten Erwartungen an diesen Mercedes. Für „Das Beste oder nichts“ reicht ein Umlabeln des Kühlergrills definitiv nicht. Der Anspruch, den professionellen Anwender mit haltbarer Qualität und einer perfekten, zeitorientierten Logistik zu unterstützen wie bei den anderen kommerziellen Bran- chenbrüdern auch, gilt natürlich auch für den Pick-up. Gleichzeitig will man sich auch auf dem umkämpften Markt „Premium Lifestyle und Luxus“ einen Namen machen und setzt deshalb auf Angriff in Richtung Amarok aus dem Hause VW Nutzfahrzeuge. So gibt es neben der Basis-Ausstattung (Pure) und dem Komfort-Mittelweg (Progressive) die Luxus-Linie Power, die zugleich auch das Maximum an möglicher Individualisierbarkeit und Zusatz-Style-Paketen im Katalog parat hat. Der Grundpreis für den 190-PS-4matic in der Power-Line beträgt stolze 47190 Euro. Dann hat man aber auch schon fast die ganz volle Hütte: LED-High-Performance-Scheinwerfer, Rundumsicht-System und 18-Zoll-Alus inklusive. Fast, weil Leder, Style und Navi-Lösung „Command online“ wie im Falle unseres Testwagens die Rechnung schnell noch einmal um fast 10000 Euro in die Höhe treiben können. Vergleicht man den Basispreis mit dem der Brüder von Renault-Nissan, liegt der Stern-Aufpreis von 1800 Euro gegenüber zum Beispiel dem Navara Tekna aber nicht allzu fern.
DIE BREITE MACHT´S
Mercedes setzt auf gezielte Eingriffe, um sich abzuheben. Der 2,3-Liter-Turbodiesel und die 7-Stufen-Wandlerautomatik werden nicht angefasst, aber es gibt einen eigenen Kabelbaum für die geänderte Elektrik im X, um diverse eigene Sicherheitsfeatures und Steuerungen zu individualisieren. Das Fahrwerk wächst beim Benz in die Breite, die Spur legt um satte 8 Zentimeter pro Achse zu. Die Geometrie verändert sich und bietet natürlich mehr Seitenhalt und Fahrstabilität. Unterstützt von dem dafür gleichermaßen überarbeiteten Fahrwerk. Besonders der Mehrlenkerhinterachse hat man versucht, den Stern-Stempel aufzudrücken. Nicht ohne Grund, kann doch diese im Leerzustand bei der Basis-Konkurrenz nicht grade mit Komfort punkten. Die Breite bietet einen weiteren, sicherheitsrelevanten Vorteil. Mercedes spendiert seiner X-Klasse hinten innenbelüftete Scheibenbremsen und legt die Trommeln ad acta. Nebeneffekt des Zuwachses sind außer einer guten Verzögerung und Fahrlage das bulligere Aussehen und der Zugewinn für die Ellenbogen der Insassen. Begibt man sich nämlich mal in die Pick-up-Kabine, erfährt man hautnah, was sich durch die Bearbeitung der Schwaben an Komfort für die Passagiere entwickelt hat. Hier ist man Benz, hier will man sein. Leder und Sitzheizung (1304 Euro) lohnen sich gefühlt nach wenigen Sekunden. Mercedestypisches Cockpit mit gewohnter Übersicht. Der Automatikwählhebel sitzt in der Mittelkonsole, ansonsten wartet der X mit den üblichen Features und der erwartet guten Materialqualität und einer edlen Haptik auf. Wer S-Klasse oder G erwartet, kann sich bei den verschiedenen Grundpreisen selbst ausrechnen, warum es vielleicht doch noch Luft nach oben geben kann. Hier erfüllt alles seinen Zweck und der Komfort und das Raumgefühl sind hervorragend. Auch für die hinteren Passagiere, deren Rücksitzbank deutlich höher und ergonomischer gestaltet wurde als bei der Konkurrenz. Der Langstrecke sind keine Grenzen gesetzt, die Knie halten gemütlich durch. Ein wichtiger und erfreulicher Eingriff, wenn man nicht immer nur zu zweit unterwegs sein will.
Ganz Benz: Material und Verarbeitung sorgen für ein gewohnt komfortables Langstreckenerlebnis.
Kompromiss: Der Wählhebel für die Automatik sitzt nicht oben,
Offroad: Alles klassisch angeordnet und bereit für das Allrad-Abenteuer
KOMFORT UND ZUGPFERD
Per Knopfdruck weckt man den Vierzylinder und merkt auf Anhieb, dass auch Soundproofing auf der To-do-Liste stand. Es ist angenehm ruhig im X. Kein Kältenageln im Innenraum zu vernehmen. Positiv zur Kenntnis genommen. Die Automatik ist auch unhektisch, und nimmt sich ihre Zeit. Einen Rennwagen mit Ladefläche haben wir auch nicht erwartet. 190 PS und 450 Nm Drehmoment sorgen für Bewegung, nicht für Beschleunigungsorgien. Man stellt sich darauf ein, dann klappt es auch mit dem Verbrauch. Muss man ihn mal treten, um zügig zu überholen, macht er dies zwar tadellos, aber auch gut vernehmlich. Ein Cruiser am Pedal ist ihm da deutlich lieber. Und der Tankanzeige sicherlich auch. Ohne Hast, aber auch ohne Trödelei fährt man den Benz-Pickup unter 9 Liter. Das Drehmoment ist immer ausreichend, auch für einen härteren Zug- oder Ladeeinsatz, wenn man die 3,5-Tonnen-AHK oder die Tonne Nutzlast aus- reizen möchte. In kurvigem Gefilde merkt man die verbreiterte Spur und das daraus resultierende Plus an Stabilität deutlich. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die verbesserte Hinterachse, die sich unbeladen sehr manierlich und komfortabel benimmt. Die Lenkung fällt im Vergleich zu den anderen Verbesserungen ein wenig ab, sie würde durch etwas mehr Direktheit den guten Eindruck der Fahrlage noch positiver beeinflussen. Dem cruisigen Fahrspaß tut es keinen Abbruch.
Luxus-Laster: Eine Tonne Nutzlast hat der Benz und sogar ein kleines Heckfenster für Sperrgut und Sommer-Belüftung.
Variabel: Verstellbares und überall anpassbares Schienensystem zur Sicherung.
LED-Scheinwerfer: In der Top-Variante Power serienmäßig am X.
18 Zoll: Doppelspeichen-Design-Felgen auch ohne Aupreis.
Der Turbodiesel: Auch im Mercedes leistet er 190 PS und 450 Nm.
INS GELÄNDE
Hier ist es klassisch und es gibt gar nichts zu meckern. Zuschaltallrad mit Untersetzung und hinterer Sperre, mehr benötigt man nicht, um mit einem Pick-up überallhin zu kommen, wo es die Überhänge ohne Kaltverformung erlauben. Motor und Getriebe funktionieren tadellos, die Untersetzung überfordert nie das Drehmoment und das Getriebe. Extra für alle, die wissen, dass sie öfters offroad unterwegs sind: ein optionales Plus von 20 mm an Bodenfreiheit (320 Euro), direkt ab Werk zu ordern. Gute Übersicht, unterstützt von der 360-Grad-Kamera, sorgt für ein schadenfreies Gelände-Erlebnis. Hier ist der X ganz Pick-up und macht einfach Laune.
Bullig: Die verbreiterte Spur und die ausgezogenen Kotflügel sorgen beim X für einen gelungenen Auftritt.
Luftig: Das elektrische Heckfenster ist ein pfiffiges Feature.
Gemütlich: Die gute Sitzposition hinten ist ein Komfort-Gewinn.
X-FAZIT
Mercedes hat dem Konzern-Pickup einen deutlichen Stempel aufgedrückt und zeigt, dass man aus einer gut funktionierenden Basis einen echten Freizeit- und Reisetransporter kreieren kann, mit Plus an Komfort und Sicherheit.
T | Dr. Björn Schulz
F | Markus Kehl