... Anbau von Kartoffeln Bedeutung. Größere Industriebetriebe waren und sind hier in einem der am dünnsten besiedelten Gebiete Deutschlands dagegen kaum anzutreffen.
Wenig Hoffnung auf Bahnanschluss
Für die Anlage von Eisenbahnen war die in weiten Teilen leicht hügelige Moränenlandschaft kein Hindernis, doch was sollte im Güterverkehr neben Holz, Düngemitteln und Erzeugnissen aus der Landwirtschaft die notwenigen Einnahmen bringen, um den Betrieb rentabel führen zu können? Dazu die sehr spärliche Besiedlung mit Menschen in einfachen Lebensverhältnissen, von denen sich viele keine Fahrkarte leisten konnten. Folglich blieb nur die Hoffnung auf die eine oder andere der zahlreich geplanten überregionalen Bahnen, die dieses Gebiet vielleicht einmal berühren könnten. 1843 gab es mehrere Fernbahnprojekte, die diese Hoffnungen nährten (siehe Übersicht). Ausgeführt wurden letzten Endes lediglich die am 15. Dezember 1846 eröffnete Berlin-Hamburger Bahn über Wittenberge und eine Bahnverbindung von Magdeburg nach Wittenberge über Stendal, die 1849 von der Magdeburg-Wittenberger Eisenbahn-Gesellschaft in Betrieb genommen wurden. Für die Altmark und die östliche Lüneburger Heide ergaben sich dadurch keine nennenswerten Verbesserungen, denn die Wege zu den Bahnstationen waren viel zu weit, und so blieben Pferd und Wagen noch lange Zeit das gängige Verkehrsmittel in der Region zwischen Uelzen und Stendal.
Erst 15 Jahre später kam es in Berlin unter dem Vorsitz des Berliner Bankiers Adolf Hansemann zur Bildung eines Eisenbahnkomitees, das sich für den Bau einer über Rathenow, Stendal und Gardelegen verlaufen Fernverbindung zwischen der preußischen Hauptstadt und Lehrte stark machte.
Die guten Renditeaussichten riefen gleich mehrere Bewerber um die Konzession auf den Plan, unter anderem die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn (MHE), die auf große Gewinne im Ost-West-Verkehr setzte. Das einflussreiche Eisenbahnunternehmen hatte damit allerdings ein Problem, denn es durfte nur Strecken bauen, die mit dem eigenen Netz in Verbindung standen. Da dieses nach Norden hin nur bis Magdeburg reichendte, hatte die MHE 1863 vorausschauend die Magdeburg-Wittenbergesche Eisenbahn (MWE) gekauft, um die notwendigen Voraussetzungen zum Bau der Berlin-Lehrter Bahn zu schaffen.
Die Straßenseite des Empfangsgebäudes der Staatsbahn in Salzwedel. Rechts, direkt gegenüber, waren die Anlagen des Kleinbahnhofes
Slg. Böttcher
Und die Rechnung ging auf: Am 12. Juli 1867 erhielt die MHE die Konzession zum Bau der Strecke Berlin – Lehrte mit einem Abzweig durch die Altmark über die alte Hansestadt Salzwedel nach Uelzen. Am 10. April 1868 genehmigte der preußische Handelsminister per Dekret die Aufnahme der Bauarbeiten zwischen Stendal und Salzwedel, bevor im Juni desselben Jahres der erste Spatenstich an der zunächst eingleisigen Strecke erfolgte.
Vorsorglich zweigleisig trassiert
Den Unterbau der Strecke hatte man so bemessen, dass ein späterer zweigleisiger Ausbau problemlos möglich war. Bis Ende des Jahres 1868 gelang es, die Teilstrecken Stendal – Hohenwulsch und Pretzier – Salzwedel fertigzustellen.
Am 27. September 1869 war die erste Probefahrt über die Gesamtstrecke, bevor nach weitgehender Fertigstellung der Stationsgebäude und der landes-polizeilichen Abnahme am 15. März 1870 der planmäßige Zugverkehr zwischen Stendal und Salzwedel aufgenommen wurde.
Die Fertigstellung des sich anschließenden Abschnitts nach Uelzen ließ unterdessen noch auf sich warten. Erst am 15. April 1873 erfolgte die Aufnahme des Güterverkehrs mit zunächst „provisorischer Personenbeförderung“. Offensichtlich gab es trotz der langen Fahrzeiten der Güterzüge bereits genügend Reisewillige. Offiziell in Betrieb ging der Abschnitt Salzwedel – Uelzen erst am 15. Mai 1873.
■ Der Begriff „Amerikalinie“ rührt von der Auswanderungswelle in den Jahren nach 1880 her.
Salzwedel wird Eisenbahnknoten
Am 20. Dezember 1879 wurde die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn verstaatlicht. Unter Federführung der Königlich-Preußischen Eisenbahnverwaltung begann schon bald der schrittweise Ausbau der Bahnanlagen für höhere Achslasten und Geschwindigkeiten. Auch in die Bahnhöfe wurde investiert, unter anderem, um den besonders zur Erntezeit regen Wagenladungsverkehr ohne Behinderungen bewältigen zu können. Am 1. November 1889 nahm die Preußische Staatsbahn eine Nebenbahn von Salzwedel nach Oebisfelde in Betrieb, am 1. April 1911 eine weitere nach Dannenberg West. Damit wurde Salzwedel zu einem Knotenpunkt mit umfangreichen Bahnanlagen und eigener Betriebswerkstätte.
Weiteren Bedeutungszuwachs brachten nach 1900 die meterspurigen Strecken der Salzwedeler Kleinbahnen GmbH nach Diesdorf und Winterfeld. Mit der durchgehenden Inbetriebnahme der Nebenbahn Salzwedel – Geestgottberg am 15. Dezember 1922 war das Eisenbahnnetz um Salzwedel nahezu vollendet.
Und: Die Hauptbahn Stendal – Uelzen war seit 1907 durchgehend zweigleisig und hatte besonders in den Herbstmonaten einen lebhaften Verkehr aufzuweisen.
Rund um die alte Hansestadt
Die Hauptbahn Stendal – Uelzen (– Bremen) spielte in der Zeit von 1880 bis 1893 für die Auswanderung nach Amerika eine wichtige Rolle. Mehr als 1,8 Millionen Deutsche, hauptsächlich aus dem Nordosten des Reiches, verließen damals – vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen – das Land, mit ihnen auch zahlreiche Auswanderer aus Ost- und Südosteuropa. Von einer eigens eingerichteten Sammelstelle in Berlin-Ruhleben aus ging es mit der Eisenbahn nach Bremen oder Hamburg.
Fast alle Züge, die zumeist aus älteren bis zum letzten Platz besetzen Personenwagen der 4. Klasse bestanden, fuhren über Stendal – Uelzen. Bis zu 20 Stunden konnte die Reise dauern, bevor endlich die Columbuskaje in Bremerhaven erreicht war. Täglich ein bis zwei Auswandererzüge waren damals die Regel. Sie gaben der Strecke Langwedel – Uelzen – Stendal den noch heute gebräuchlichen Namen „Amerikalinie“.
Im Süden von Salzwedel überquerte die Strecke nach Diesdorf (oben mit 771 007) die Linien nach Oebisfelde (links) und Kalbe (Milde)
Josef Högemann
Im Zuge des zweigleisigen Ausbaus bis 1907 wurde die Höchstgeschwindigkeit der Hauptbahn nach und nach auf 100 km/h angehoben. Damals verkehrten folgende Schnellzüge:
– D 83/84 Altona – Leipzig,
– D 101/108 Oldenburg – Berlin,
– D 103 Wilhelmshaven – Berlin,
– D 106 Berlin – Norddeich.
Hinzu kamen sechs Personenzugpaare, wobei zwischen Uelzen und Salzwedel einige zusätzliche Züge mit Akku-Triebwagen der Bauart Wittfeld gefahren wurden, die seit 1909 beim Bw Uelzen beheimatet waren.
Nach einer Statistik aus dem Jahr 1913 gab es etwa 20 planmäßige Güterzugpaare, der größere Teil davon im überregionalen Verkehr. Die Nahgüterzüge legten in der Regel in Salzwedel eine längere Pause ein, um Güterwagen für Salzwedeler Bahnkunden sowie für ins Umland verkehrende Züge auszusetzen bzw. einzustellen.
Neben- und Kleinbahnen
Das tägliche Personenzugangebot auf den von der Deutschen Reichsbahn betriebenen Nebenbahnen nach Dannenberg, Geestgottberg (– Wittenberge) und Oebisfelde lag damals bei vier bis fünf Zugpaaren, während auf den damals noch schmalspurigen Kleinbahnstrecken nach Diesdorf und Calbe (Milde) nur drei Zugpaare gefahren wurden.
Die beiden Kleinbahnstrecken nach Badel bzw. Kalbe (Milde) und Diesdorf waren aus Kostengründen in Meterspur errichtet worden. Beide begannen im Bahnhof Salzwedel-Neustadt direkt gegenüber dem Staatsbahnhof. Bald erwies sich die schmale Spur als hinderlich. Folglich entschloss sich die Salzwedeler Kleinbahn GmbH zur Umspurung, wobei Teile der Strecke nach Diesdorf neu trassiert wurden. 1925 liefen die ersten Baumaßnahmen an und bereits nach drei Jahren konnten beide Strecken durchgehend mit Regelspurfahrzeugen befahren werden. Im Personenverkehr kamen nun Triebwagen zum Einsatz.
Die Grenzziehung mit ihren Folgen
Die Grenze zwischen den Westzonen und der Ostzone trennte 1945 die „Amerikalinie“ wenige hundert Meter westlich des Bahnhofs Bergen (Dumme) mit der Folge, dass jeglicher durchgehende Zugverkehr eingestellt wurde. Es verblieb bis auf weiteres ein bescheidener Personen- und Güterverkehr bis Bergen (Dumme), der jedoch im Oktober 1951 im Zuge weiterer Grenzsicherungsmaßnahmen sein Ende fand. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Abschnitt Stendal – Salzwedel – Bergen (Dumme) bereits das zweite Gleis verloren und war in eine Nebenbahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zurückgestuft worden. Kurze Zeit später kam es zum Rückbau sämtlicher noch verbliebenen Bahnanlagen zwischen Salzwedel und der Grenze. Ebenfalls durch die Grenzziehung unterbrochen war die Nebenbahn Dannenberg – Salzwedel südlich des Haltepunkts Bürgerholz. Der Eisenbahnknotenpunkt Salzwedel war damit ins verkehrliche Abseits geraten.
Ungefähr in der Mitte zwischen Stendal und Uelzen liegt Salzwedel (Kursbuch 1943)
Slg. G. Nagel
Was für ein herrlicher Zug! Noch im Juni 1975 war 64 1212 der Einsatzstelle Kalbe (Milde) mit diesen zwei Wagen im Alltagseinsatz in der Altmark unterwegs
Slg. Dirk Endisch
Das verbliebene Netz im Süden und Osten von Salzwedel schien lange Zeit als unverzichtbar, leis tete es doch einen wesentlichen Beitrag zur Erschließung der Altmark. Anders als im Westen entwickelte sich der Individualverkehr in der DDR deutlich langsamer, sodass selbst die am 1. April 1949 verstaatlichten Kleinbahnstrecken nach Diesdorf und Kalbe (Milde) noch auf längere Sicht ihre Daseinsberechtigung hatten.
Auf der Stendaler Strecke blieb das Angebot mit sechs bzw. sieben Personenzugpaaren über Jahre hinweg konstant. Hinzu kamen mehrere Güterzugpaare, von denen die Nahgüterzüge die Unterwegsbahnhöfe versorgten.
Mit der festlich geschmückten 50 3618 endete am 25. September 1987 die Dampflokzeit in Salzwedel. Lokführer Otto Arxleben und Heizer Otto Spiegel fuhren ein letztes Mal nach Stendal
Slg. R. Kadow
64 1444 im September 1973 auf der Drehscheibe ihres Heimat-Bw’s Salzwedel
Th. Rieger/Slg. Dirk Endisch
Ein ähnliches Angebot mit bis zu sieben Personenzugpaaren bestand auch zwischen Salzwedel und Oebisfelde, während in Richtung Geestgottberg zumeist fünf Züge in beiden Richtungen reichen mussten. Die beiden ehemaligen Kleinbahnstrecken nach Diesdorf und Kalbe (Milde) bildeten mit drei bzw. vier Zugpaaren (zumeist Triebwagen) das Schlusslicht.
■ Noch mehr als zuvor war nach der Grenzziehung die Altmark ein fast vergessener Landstrich.
Abfahrten und Ankünfte im Staatsbahnhof
Zu bemerken ist, dass die Züge nach Kalbe (Milde) ab Februar 1967 nicht mehr im Kleinbahnhof abfuhren, sondern im Staatsbahnhof. Über die Oebisfelder Strecke und die neue Abzweigstelle Jeetze erreichten sie eine kurze Neubaustrecke, die in Kricheldorf auf die alte Trasse stieß. Die Deutsche Reichsbahn hatte diese Verbindung errichtet, um auch die Versorgung des dortigen Düngemittelwerks mit Ganzzügen zu erleichtern.
Weniger bekannt sein dürfte, dass zur Entlas -tung der nur noch eingleisigen Hauptbahn Wittenberge – Magdeburg über viele Jahre planmäßig Leergüterzüge und auch Lademaßüberschreitungen über Salzwedel – Oebisfelde – Haldenleben umgeleitet wurden.
Ab Mitte der 1960er-Jahre war besonders zwischen Stendal und Salzwedel der Oberbau stark verschlissen. Auch etliche Brücken befanden sich in einem desolaten Zustand. Doch da es im übrigen Netz der DR nicht viel besser aussah, mussten Prioritäten gesetzt werden und so blieb die „verkehrsferne“ Altmark zunächst unberücksichtigt. Erst Anfang der 1970er-Jahre wurde mit der Sanierung auf den Linien rund um den Knoten Salzwedel begonnen.
1972 legte die Reichsbahn sogar einen Fernzug auf die zur Nebenbahn gewordene „Amerikalinie“: Am 31. Mai gab Reichsbahn-Obersekretär Jürgen Kreitz den Abfahrtsbefehl für das neue Zugpaar D 931/936 Salzwedel – Dresden. Die Höchstgeschwindigkeit betrug zwischen Salzwedel und Stendal 60 km/h, gefahren wurde mit einer Dampflok der Reihe 50.35.
Wie es in und um Salzwedel bis in unsere Tage weiterging, lesen Sie im Heft 2/2020!