... wichtigsten Rennsiege. Eine beeindruckende Palmarès.
Zwar war Greipel als Sprinter für das Einfahren der Siege zuständig, doch er stellte sich auch gern in den Dienst seiner Teamkollegen. Dazu passt, dass Greipel, angesprochen auf seinen größten Erfolg, nicht von einer heroischen Einzeltat berichtet, sondern von seiner allerersten Touretappe: „Ich bin schon vor dem rollenden Start gestürzt und hing bei Kilometer null am Doktorauto. Und am Ende haben wir das Gelbe Trikot im Hotel gefeiert, wir haben unserem Teamkollegen Philippe Gilbert den Sieg vorbereitet. Ich bin mit Gänsehaut durchs Ziel gefahren und hatte mir einen Kindheitstraum erfüllt.“ Was für ein Auftakt.
Die folgende Radsportkarriere mit ihren Siegen und Niederlagen verging im Nachhinein wie im Flug. „Wenn ich darauf zurückblicke, ist es so schnell vorbeigegangen, Wahnsinn!“ Greipel erinnert sich noch, wie die ersten Trainer und sportlichen Leiter ihm gesagt hatten, wie viel Zeit er noch habe. „Heute kann ich allen jungen Fahrern nur raten: Wenn es etwas zu gewinnen gibt, macht das sofort.“
Seine Ziele lagen rund um den Globus: Weltmeisterschaft in Katar, Tour Down Under (Australien) und die großen Landesrundfahrten im Sommer in Südeuropa. Als Radprofi ist André Greipel viel rumgekommen – das hatte jedoch nicht nur Vorteile. „Es ist für die Familie nicht leicht, mit einem Profisportler zusammen zu sein, weil man viel zurückstecken muss.“
Die Familie hat Priorität
Die größte Veränderung in Greipels Leben ist, dass die Familie jetzt Priorität genießt. Der Radsport habe sie dahin gebracht, wo sie heute seien. So weit, so gut. Nach langem Entscheidungsprozess sind der 39-Jährige und seine Familie nun zu dem Entschluss gelangt, dass jetzt der richtige Moment zum Aufhören ist. Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung hat Greipel keine, doch erst wenn im Dezember wieder die ersten Rennen auf der Südhalbkugel losgehen, befürchtet er, wirklich zu realisieren, dass das Karriereende jetzt da ist.
ANDRÉ GREIPEL
Der 39-jährige Sprinter aus Rostock gehört zu den erfolgreichsten Straßenradsportlern Deutschlands. Zweimal konnte er den prestigeträchtigen Sprint auf der Champs Élysées bei der Tour de France in Paris gewinnen. Insgesamt gewann er bei der Tour elf Mal, sieben Mal beim Giro d'Italia und vier Mal bei der Vuelta a España. Seine Karriere startete Greipel 2005 beim Team Wiesenhof, seine letzte Mannschaft ist noch bis Ende dieses Jahres Israel Start-Up Nation.
Sportlich aktiv bleiben wird er selbstverständlich: „Wenn ein ehemaliger Profi das Herz nicht mehr trainiert, sieht es irgendwann aus wie eine Rosine. Das Weitermachen wird mir nicht schwerfallen, weil ich gern Sport mache.“ Perspektivisch könnte sich der Ex-Sprinter sogar ein Rennen mit etwas gleichmäßigerer Dauerbelastung im kommenden Jahr vorstellen, einen Ironman-Triathlon. Dafür müsste er allerdings über den Winter noch ordentlich schwimmen lernen.
Fischkopp mit Berg-Aversion
Zum Wasser hat Greipel indes eine gute Beziehung: „Ich bin halt ein Fischkopp. Wenn irgendwo Wasser ist, fühle mich sofort heimisch.“ Ganz untypisch für einen Rennradfahrer kann Greipel den Bergen nicht viel abgewinnen: „Berge sind für mich wie ein Gefängnis. Wenn der Horizont, wie hier an der Ostsee, 30 bis 40 Kilometer weit weg ist, ist das okay.“
Dem Radsport wird Greipel auch nach seiner Karriere verbunden bleiben. Wie das dann genau aussehen wird, entscheidet sich noch. „Ich werde kein sportlicher Leiter, aber dem Radsport sicher treu bleiben.“ Zurzeit ist Greipel für den britischen Radhersteller Factor Bikes tätig. Allerdings nicht nur als Markenbotschafter – eine zeremonielle Titelei, mit der ehemaligen Profisportlern in der Branche ein Arbeitsplatz geschaffen wird –, sondern als Experte in der Entwicklung. Greipel interessiert sich viel für das Optimieren von Rahmen und Komponenten – alles muss seinem Sprint standhalten.
"ICH WERDE DEM RAD- SPORT TREU BLEIBEN.
GREIPELS HAUSRUNDE
Greipels Hausrunde kann als kurze Runde mit dem Rennrad, aber auch als Tour mit Trekkingrad und E-Bike gefahren werden. Von Rerik aus folgen wir der Ostsee, nach den ersten acht Kilometern machen wir einen kurzen Abstecher zum Fotostopp am Leuchtturm Bastorf. Die Strandpromenade in Kühlungsborn nach 15 Kilometern bietet sich zur Kaffeepause an; mit dieser Stärkung im Bauch sollte der Anstieg auf den 110 Meter hohen Zimmerberg bei Kilometer 20 gut zu schaffen sein. Ab da geht es den Rest der Strecke meistenteils bergab. Wer will, kann hier noch ein paar Schlenker durchs Hinterland machen oder den direkten Weg zum Ziel, den Segelhafen von Rerik, nehmen.
Diese Expertise stellt er auf unserer Hausrunde auch gleich unter Beweis: Als es an seinem Bike am Hinterbau zu quietschen beginnt, weiß der Sprint- Star sofort, was Sache ist: „Das ist die eine Schraube am Bremskörper, mehr nicht. Machst einen Tropfen Öl drauf, dann ist Ruhe.“
In nächster Zeit wird es um André Greipel ruhiger werden. Vielleicht sieht man ihn noch mal am Start eines Triathlons oder irgendwo in der Radbranche. Vielleicht sieht man den zurückhaltenden Familienvater erst mal gar nicht mehr. Auch wenn Greipel an die Ostseeküste gehört, ist er mit der Welt noch nicht fertig. „Ich würde die Länder der Welt gern noch mal ohne Fahrrad kennenlernen. Da muss ich keiner Straße folgen, sondern kann auch mal links und rechts abbiegen.“
Lennart Klocke