... der viel zu weit entfernten Familie, auf tolles Essen, Glühwein, ein bisschen Frieden, ein paar Lichter und die Freude an ultrahässlichen Weihnachtspullovern (die nunmehr auch kredible Metal-Bands im Programm haben).Natürlich spielt auch Musik eine wichtige Rolle für die richtige Stimmung. Vor zwei Jahren stellte dieses Magazin eine Übersicht metallischer Weihnachtsalben zusammen – ein Geschenkeberg der Obskuritäten, oft auf schnellen Kommerz gemünzt, oder eingespielt aus Jux und Tollerei. Doch einer meint es ernst mit der Liebe zum Fest: Nach WINTER SONGS (2009) hat Judas Priest-Sänger Rob Halford ein zweites Weihnachtsalbum namens CELESTIAL aufgenommen – und ist sich weder zu schade, von der amerikanischen West küste aus Interviews dazu zu geben, noch dafür, auf den Fotos eines seiner unzähligen (online in aller Pracht zelebrierten) Katzenhemden zu tragen. Dem Metal God ist nichts peinlich – er macht, worauf er Lust hat, und steht zu hundert Prozent dahinter. „When families come together, we’re protected by the light“, heißt es in einem neuen Song, und genau unter diesem Motto steht das komplette Album. Auf diesem versammelt Halford diverse Familienangehörige: Sein Bruder Nigel trommelt, seine Schwester Sue (die Ehefrau von Priest-Kollege Ian Hill) läutet das Glockenspiel, und ihr Sohn, Halfords Neffe Alex, steht am Bass und singt im Hintergrund. „Das Album ist in vielerlei Hinsicht eine musikalische Feier. Es war ein richtiges Abenteuer für uns, zusammenzukommen und diese himmlische Musik zu machen“, erklärt der nach Amerika emigrierte Halford, einer der freundlichsten Interview-Partner überhaupt. „Wenn man in einer Band spielt, ist man seinen Mitmusikern sehr nah, fast wie in einer Familie. Hier handelt es sich um meine echte Familie.Wir haben wunderbare Musik erschaffen. Weihnachten wird ein besonderer Tag: Ich kehre zu meinen Lieben ins Vereinigte Königreich zurück, wir sehen uns nach langer Zeit wieder. Bei unserem Weihnachtsessen wird unsere himmlische Musik im Hintergrund laufen; dabei genießen wir ein paar Drinks und einen weiteren wunderbaren Familientag. Das Album ist in vielerlei Hinsicht besonders.“
Festmusik
Ein Judas Priest-Album ist es naturgemäß nicht, und mit Halfords „normalen“ Soloscheiben sowie den Experimenten Fight und 2wo hat es wenig zu tun. Stattdessen tanzt CELESTIAL wie WINTER SONGS aus der Reihe und nutzt den feierlichen Anlass als Aufhänger. Hörenswert ist es trotzdem: Trotz diverser Einflüsse kommt der Metal nicht zu kurz, obwohl der Genre-Gott seine Mitstreiter aufgrund anderweitiger Verpflichtungen viel allein machen ließ statt selbst alles vorzugeben. „Alle haben verstanden, dass mir das Niveau des Ergebnisses wichtig war – vielleicht dank der Arbeit mit Produzent Mike Exeter, aber ohne, dass es extra erwähnt werden musste. Ich wollte ein starkes Album herausbringen“, resümiert Halford, und preist den sowieso hohen Eigenanspruch der Hobby-Musiker. „Es war der perfekte Moment für meinen Bruder und Neffen, die beide Vollzeit in normalen Jobs arbeiten, zu zeigen, was in ihnen steckt. Ähnlich ergeht es bestimmt auch vielen anderen Halbprofis, von denen es auch in Deutschland Tausende gibt.“ Und so schickte die Truppe ihrem durch die Weltgeschichte reisenden Namensgeber Song-Gerüste aufs Handy, um deren Qualität überprüfen zu lassen. Für die erbrachte Leistung bringt der Chef viel Anerkennung auf: „In meinen Augen haben sie alles richtig gemacht. Sie wussten genau, worum es bei diesem Album gehen soll.“
CELESTIAL besteht aus vier Eigenkompositionen sowie acht neu arrangierten, traditionellen Weihnachtsstücken aus Halfords englischer Heimatkultur, darunter ‘God Rest Ye Merry, Gentlemen’ (im Original mit Komma) und ‘Away In A Manger’, aber auch amerikanisches Liedgut wie ‘O Little Town Of Bethlehem’. Zur Auswahl der Klassiker analysierte der Sänger noch einmal das vor zehn Jahren erschienene WINTER SONGS und machte eine erstaunliche Feststellung: „Es gibt nicht so viele traditionelle, Carol-artige Weihnachtsklassiker, besonders aus dem Vereinigten Königreich. Wir suchten vor allem Material, das noch nicht bearbeitet wurde. Danach hatte ich das Vergnügen, den Jungs dabei zuzuhören, wie sie alte Klassiker auf fantastische Weise neu arrangierten“, schildert der 68-Jährige, und lobt erneut die musikalische Leistung seiner Mitstreiter, zu denen auch die Familienfreunde Robert Jones (Gitarre, Keyboard, Gesang) und Jon Blakey (Gitarre) zählen. „Zuhause spielen sie alle in respektablen Bands, die nicht im Hard Rock oder Metal angesiedelt sind. Es war gut, im Studio nicht wie verrückt darauf hinzuarbeiten, alles in ein Metal-Korsett zu stecken. Das mag von mir als Metal God komisch klingen – doch ich fand, sie sollten die Songs nach ihren Wünschen kreieren und sich nicht an Vorgaben halten. Trotzdem wurden bereits Querverweise entdeckt: ‘Donner And Blitzen’ wird mit Priest verglichen (als Referenz dient ‘Lightning Strike’ – Anm.d.A.), während ‘God Rest Ye Merry Gentlemen’ diese große Metal-artige Bridge-Sektion hat. In den Gitarren mag etwas Randy Rhoads stecken… Doch vor allem hört man die Jungs und ihre musikalischen Vorlieben.“
»2020 hört sich an wie aus der Science-Fiction-Welt, ich kann nicht glauben, dass es bald so weit ist. Dann feiern wir nicht nur €iest, sondern Metal. in. Allgemeinen «
robhalford
Feierpriester
Dennoch zieht CELESTIAL stellenweise ganz schön die Rentierzügel an und galoppiert im feierlich riffenden Höhenflug durch den sternklaren Himmel – von wegen Stille Nacht! Doch wie versetzt man sich eigentlich im Sommer in Weihnachtsstimmung? Während Halfords Kumpanen dies mit Köstlichkeiten wie englischem Bier probierten, setzt der Kultsänger auf die Macht der Musik: „Wo immer man sich auf der Welt befindet und wie die äußeren Umstände sein mögen, ob mit oder ohne Freunde und Familie: Musik ist die Verbindung, die Brücke und der große Heiler“, schildert Halford seine intime Beziehung zu Musik, welche entsteht, wenn er sie allein in sich aufsaugt. „Ich schätze die unglaubliche Unmittelbarkeit, die Musik in der eins-zu-eins-Situation entwickelt.“ Mitte des Jahres weihnachtliche Texte zu kreieren und himmlischen Gesang aufzunehmen, stellte den Vokalisten vor keine Probleme: „Das ist das Wunderbare am Komponieren: Egal, in welcher Jahreszeit wir uns befinden – in der Musik kann immer eine andere Zeit sein. Wir nutzen Illusion und Fantasie und legen sie in unsere Arbeit.“
Selbstredend hat Halford auch eigene Favoriten, um sich in weihnachtliche Stimmung zu versetzen, wenn die Zeit reif dafür ist. Als Beispiele nennt er englische Hits wie Slades ‘Merry Christmas Everyone’, Wizzards ‘I Wish It Could Be Christmas Everyday’ oder Status Quos ‘Merry Christmas’, aber auch „Vintage-Songs wie ‘Little Drummer Boy’ von David Bowie und Bing Crosby oder wunderschöne Lieder von Sängerinnen wie Elkie Brooks. Ich mag verschiedene Stile, öffne meine Tore und höre, was immer hereinkommt.“
Formulierte Halford im Interview vor zehn Jahren den Weihnachtswunsch, Teil der Serie ‘Family Guy’ zu werden („Das habe ich gesagt? Gut! Ich liebe solche Serien, da sie wichtige und gehaltvolle soziale Kommentare enthalten.“), äußert er heute das Ansinnen, endlich mal Musik mit Willie Nelson aufzunehmen. Davon abgesehen bezeichnet sich der Metal God als wunschlos glücklich – und freut sich sehr auf die Feierlichkeiten im Zuge des 50. Judas Priest-Jubiläums sowie die Rückkehr nach Deutschland: „Wir sind alle dankbar, dass Ozzys Regeneration so gut verläuft“, geht er auf Tour-Partner Osbourne ein, mit dem Judas Priest weiterhin die (erneut verschobenen) Konzerte absolvieren wollen. Zuvor jedoch kehren sie als Headliner in eigener Sache zurück: „Wir freuen uns sehr auf unser 50. Jubiläum, Wacken und die deutschen Shows; es wird ein spektakuläres Jahr! 2020 hört sich an wie aus der Science-Fiction-Welt, ich kann nicht glauben, dass es bald so weit ist. Dann feiern wir nicht nur Priest, sondern Metal im Allgemeinen – man könnte ja auch das 50. Metal-Jubiläum begehen.“ Gefeiert wird schließlich nicht nur an Weihnachten. Und am Ende sind es wohl genau die CELESTIAL innewohnenden Züge, die Judas Priest zu einer derart langlebigen Formation machen: Rob Halford steht heute, nach Überwindung einiger dunkelbunter Lebensepisoden, wie kaum ein zweiter Metal-Frontmann für das Positive, für geerdete Familienbande, Fan-Nähe und freundliche Gespräche statt Schlagzeilen und Allüren, für Glaubwürdigkeit und Antrieb bis ins hohe Alter. Halford atmet und lebt Metal und liebt zugleich Weihnachten – Grund genug, das Fest in den metallischen Kalender aufzunehmen und sich kein bisschen dafür zu schämen.