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Im Notfall alle Daten verfügbar
Koronare Herzkrankheit (KHK) mit Bypass- Operation, Bluthochdruck, Nierenschwäche, Penicillin-Allergie und ein Insulin-behandelter Typ-2-Diabetes seit 18 Jahren: Die Diagnosen von Günther M. lesen sich wie das Inhaltsverzeichnis eines internistischen Lehrbuchs. Zudem muss er neun unterschiedliche Medikamente regelmäßig einnehmen. „Braucht ein Notarzt im Fall einer schweren Unterzuckerung oder auch eines Herzinfarkts nicht genau diese wichtigen Informationen?“, blickt der 68-jährige Rentner Günther M. kritisch zurück. Mit Einführung des Notfalldaten-Managements (NFDM) hat sein Diabetologe neben den Kontaktdaten seiner Ehefrau seine chronischen Erkrankungen, seine Medikation und seine Penicillin-Allergie auf der Karte hinterlegt. In Notfall-Situationen können so Ärzte oder auch Notfall-Sanitäter auf die Daten zugreifen.
Der „gelbe Schein“ gehört der Vergangenheit an
Seit Januar 2022 sind Arztpraxen und Krankenhäuser – Letztere im Rahmen des Entlassungs- Managements – verpflichtet, Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln. Aktuell erhalten Patienten noch einen Papier-Ausdruck zur Vorlage beim Arbeitgeber sowie für die eigenen Unterlagen. Ab dem 1. Juli 2022 gehen zwei Ausführungen der elektronischen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (eAU) an die Krankenkasse. Sobald der Arbeitnehmer sich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig gemeldet hat, ruft dieser die Krankmeldung elektronisch bei der Krankenkasse ab.
Papierausdrucke bleiben
Als Rentner benötigt Günther M. die eAU nicht mehr. Auf das e-Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel wartet er allerdings noch. Offiziell eingeführt werden sollte es zum 1. Januar 2022. Leider gibt es auf der Daten-Autobahn noch einige Baustellen, sodass die Einführung kurzfristig verschoben werden musste. Ein verbindlicher Zeitplan stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, laut Bundesministerium für Gesundheit ist aber eine „schnellstmögliche“ Einführung geplant.
Zum elektronischen Empfang und zur Einlösung benötigt man die e-Rezept-App der gematik. Für Versicherte, die die App nicht nutzen möchten, wird es weiter e- Rezept-Ausdrucke auf Papier geben – allerdings auf weißem Papier und nicht mehr rosafarbenem. Eine Unterschrift sucht man auf den Ausdrucken vergebens, die Signierung erfolgt digital. Es bleibt bei maximal drei Medikamenten je Rezept. Zu jedem Medikament gibt es einen 2D-Code, der beim Einlösen des Rezepts in der Apotheke gescannt wird. Hilfsmittel und bestimmte Arzneimittel sowie Privatrezepte werden erst später umgestellt.
500 Millionen Papier-Rezepte werden laut gematik pro Jahr in Deutschland eingelöst.
Die elektronische Patientenakte – mehr als ein digitaler Papp-Ordner
Seit dem 1. Januar 2021 können Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen ihre medizinischen Daten in einer elektronischen Patientenakte (ePA) führen. Diese wird von den Krankenkassen als App kostenlos bereitgestellt.
Die Nutzung ist selbstredend freiwillig. Hinterlegt werden können relevante Daten für den Notfall, wie Diagnosen, Allergien, Kontaktdaten sowie ein elektronischer Medikations- Plan, darüber hinaus Arztbriefe sowie Krankenhaus- und sonstige Befund-Berichte. Im Rahmen eines stufenweisen Ausbaus können Daten aus ganz unterschiedlichen Bereichen eingepflegt werden. Die Daten-Hoheit liegt bei den Versicherten. Damit ist die ePA ein wichtiger Beitrag für die Patienten-Souveränität. Vor allem aber ermöglicht die ePA Haus-und Fachärzten sowie Klinikärzten, von den Patientinnen und Patienten freigegebene medizinische Dokumente schnell abzurufen. Das spart im Praxis-Alltag und gerade im Notfall viel Zeit. Günther M. hat bereits alles veranlasst, damit seine ePA befüllt werden kann und die ihn betreuenden Ärztinnen und Ärzte sich einfach relevante medizinische Informationen holen können. Die entsprechende App der Krankenkasse gibt es im Google-Play-Store und im Apple-Store. Für die Registrierung benötigte Günther M. neben seiner E-Mail-Adresse lediglich die Krankenversicherungs-Nummer und eine PIN zur Gesundheitskarte, die er von seiner Krankenkasse erhalten hatte. Leider nimmt auch die ePA langsamer Fahrt auf, als es die Architekten der Daten-Autobahn geplant haben.
Die DDG arbeitet intensiv an der Entwicklung einer elektronischen Diabetesakte.
Ehrgeizige Ziele
Aber es gibt noch mehr Digitalisierung. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft arbeitet intensiv an der Entwicklung einer elektronischen Diabetesakte, der eDA-DDG. Die eDA- DDG wird eine wichtige Ergänzung zur ePA sein. Sofern der Patient einverstanden ist, können wichtige Diabetes-relevante Befunde (z. B. HbA 1c -Wert, Diagnosen, Medikation) aus der ePA nach festen Standards in die Diabetesakte übernommen werden. Die Daten ermöglichen eine qualifizierte und gezielte Betreuung von Menschen mit Diabetes. Mit Einverständnis des jeweiligen Patienten können die Daten zudem einem Diabetesregister zur Verfügung gestellt werden, das der Forschung und Entwicklung und damit einer optimierten Versorgung von Menschen mit Diabetes dienen soll.
Datenschutz und Informationssicherheit stehen an erster Stelle
Die gematik sichert Versicherten höchsten Datenschutz und maximale Informations- Sicherheit auf der Daten-Autobahn des Gesundheitswesens zu. Doch nicht alle Versicherten möchten die „neue“ Daten-Autobahn nutzen, bevorzugen aus ganz unterschiedlichen Gründen die für sie etablierten und vertrauten Wege und Straßen der Kom munikation. Man darf gespannt sein, wie Versicherte die digitalen Angebote annehmen werden. Trotz des zweifelsfreien Mehrwerts im Patienten-Alltag gehen Branchen-Experten davon aus, so Dr. Florian Muhß, Geschäftsführer eines führenden Arzt-Informations-Systems, dass beispielsweise der Anteil rein digital eingelöster e-Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente im Jahr 2030 bei nur 10 bis 15 % liegen wird.
Chancen und Möglichkeiten nutzen
Günther M. hat erkannt, welche Chancen und Möglichkeiten sich ihm durch die Daten-Autobahn mit der Telematik-Infrastruktur ergeben. Die Sorge vor „Daten-Unfällen“ teilt er dabei nicht. Genervt ist er vielmehr, dass es nicht mit ausreichendem Tempo vorangeht.