... Diagnosemöglichkeiten verbessert – und vor allem auch die Therapien. Aber: „Es gibt nicht den einen Brustkrebs“, sagt Dr. Kay Friedrichs.
„Es existieren so viele unterschiedliche Formen der Tumorerkrankung, wie es Betroffene gibt.“ Das heißt, jede einzelne Patientin wird individuell und speziell auf ihre Erkrankung hin behandelt. Dazu kommt, dass ein Tumor nicht stabil bleibt. Er verändert sich – manchmal schon innerhalb weniger Monate. Und damit muss auch die Therapie ständig angepasst werden. Allerdings: „Die Ursprungszelle eines Tumors muss nicht unbedingt etwas zu tun haben mit einem Rückfall nach drei Jahren“, erklärt Dr. Kay Friedrichs, einer der zehn leitenden Ärzte des Mammazentrums am Krankenhaus Jerusalem in Hamburg, einem der größten Brustkrebszentren Deutschlands.
Die vier Grundtypen von Brustkrebs
Mediziner ordnen Brustkrebs in vier biologische Grundtypen ein – luminal A und B, triple- negativ und HER2-positiv. An ihnen orientiert sich die Behandlung: Luminal A wird fast ausschließlich antihormonell behandelt, luminal B chemotherapeutisch sowie antihormonell und triple-negativ fast immer durch eine Chemotherapie. Der HER2-positive Typ reagiert gut auf eine Antikörpertherapie, bei der das körpereigene Immunsystem Schedie Krebszelle angreift. Sie wird in der Regel durch eine Chemotherapie ergänzt. „Bei Brustkrebs und seiner Behandlung muss man wie bei allen Tumorerkrankungen zwei Risiken unterscheiden“, erklärt Dr. Kay Friedrichs: „Zum einen das lokale Risiko, das sich auf das Organ bezieht, in dem sich der Tumor entwickelt und erstmals gezeigt hat – also die Lunge, Leber oder eben die Brust oder das Lymphsystem. Und zum anderen das systemische Risiko.“ Konkret gemeint ist dabei das Risiko der Metastasierung: Bei jeder Tumorerkrankung besteht die Gefahr, dass der Krebs streut und sich im Körper verteilt. Mit einer Operation oder Strahlentherapie lässt sich der lokale Krankheitsherd beeinflussen, direkt dort, wo er auftritt. Chemo-, Antihormon- und Antikörpertherapie und auch die neueste Form der Antikrebsmaßnahmen – die sogenannten Biologicals – sind dagegen immer systemische Ansätze, die im ganzen Körper wirken. Diese Therapien versuchen zu verhindern, dass sich Tochtergeschwülste in anderen Organen ansiedeln. Oder sie zielen darauf ab, das Krebswachstum im ganzen Körper zu bremsen.
Dr. Kay Friedrichs
Der Gynäkologe und Privatdozent der Universität Hamburg ist einer der leitenden Ärzte des Mammazentrums Hamburg am Krankenhaus Jerusalem, einem der größten Brustkrebszentren Deutschlands
In Deutschland erkranken pro Jahr 74.000 Frauen an Brustkrebs
Biopsie Bei Verdacht auf Krebs wird zunächst eine Gewebeprobe aus der Brust entnommen
Brustabnahme? Nur noch selten
Längst nicht alle bösartigen Knoten in der Brust werden heute noch primär im Rahmen einer Operation entfernt. „Immer dann, wenn eine Chemotherapie sinnvoll ist, sollte ihr Einsatz vor einer Operation erfolgen, um den Erfolg objektiv und subjektiv für die Patientin sichtbar zu machen“, so Dr. Kay Friedrichs. Mehr als die Hälfte der Tumore verschwindet, wenn man Antikörper- und Chemotherapie kombiniert, und 90 Prozent werden zumindest kleiner. „Am Ende operieren wir eigentlich nur noch, um zu beweisen, dass der Tumor nicht mehr vorhanden ist“, ergänzt der Gynäkologe. Nur in wenigen Fällen muss die ganze Brust abgenommen werden. Erfreulicherweise können 85 Prozent der Frauen heute brusterhaltend operiert werden. Und in den Fällen, in denen die ganze Brust abgenommen werden muss, kann sie heute im Gegensatz zu früher nach der Operation in deutlich besserer Qualität wieder aufgebaut werden – durch ein Implantat oder eigenes Gewebe. Fakt ist aber: Selbst wenn die vom Krebs befallene Brust abgenommen wird, garantiert das nicht, dass ein Tumor nicht an anderer Stelle auftaucht.
Entfernung Heute werden bösartige Tumore viel seltener als früher operativ entfernt
Chemotherapie lässt Krebszellen schrumpfen
Chemotherapien werden heute zu 80 bis 85 Prozent vor einer Operation verordnet. Sie lassen die Tumorzellen „zusammenschmelzen“ oder gar ganz verschwinden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass durch sie selbst kleinste Tochterzellen, die sich im Körper verteilt haben, erfasst und ebenfalls vernichtet werden, ist hoch“, weiß der Hamburger Mediziner. Dass die modernen Chemotherapien effektiv wirken, belegt eine eindrucksvolle Zahl: Wenn kein Tumor in der Brust mehr nachweisbar ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Patientin gesund bleibt, bei etwa 80 Prozent. Und dieser Wert ist unabhängig davon, wie groß der Tumor und wie fortgeschritten die Erkrankung war. Auch wenn die Entscheidung für die Operation gefallen ist, setzen Ärzte zunächst eine Chemotherapie an.
Für viele Frauen hat diese Therapieform ihre Schrecken verloren, weil es heute sehr effektive, unterstützende Begleitmaßnahmen gibt: ob Akupunktur und Medikamente gegen die Übelkeit oder eine Kühlkappe gegen das Ausfallen der Haare. Dazu wirken die Medikamente der neuen Generation noch besser als früher, und die Therapie lässt sich individueller auf die jeweilige Patientin abstimmen. Dr. Kay Friedrichs: „In den 1980er-Jahren hatten wir ein oder zwei verschiedene Sche mata, mit denen wir Brustkrebspatientinnen behandeln konnten, heute sind es zehn unterschiedliche. Uns stehen jetzt dazu etwa 15 verschiedene Medikamente zur Verfügung, die wir auch noch unterschiedlich kombinieren können.“
Chemotherapie Sie wird heute fast immer vor einer Brustkrebs-OP durchgeführt
Verstärkung fürs Immunsystem: Antikörper
Antikörper gehören zum menschlichen Immunsystem. Sie heften sich an körperfremde Strukturen wie zum Beispiel Bakterien und machen sie unschädlich. Eigene Körperzellen rührt das Abwehrsystem dagegen nicht an. Da Krebszellen vom Immunsystem nicht als schädlich identifiziert werden, bleiben die Antikörper inaktiv. Anders ist das bei künstlich im Labor hergestellten Antikörpern – einer spannenden, neuen Gruppe von Therapeutika. Sie machen den Krebs für das Immunsystem erkennbar und damit überhaupt erst angreifbar – auch für die folgende Chemotherapie. „Antikörpertherapie funktioniert fast nur in Kombination mit einer Chemotherapie“, erklärt der Brustkrebsspezialist. Fast alle der HER2-Tumore werden mit dieser Doppelstrategie behandelt. Zurzeit sind fünf verschiedene neue Antikörpertherapien auf dem Markt, weitere Substanzen stehen unmittelbar vor der Einführung in den klinischen Prozess. Lange ging man davon aus, dass weibliche Geschlechtshormone – also Östrogene und Progesterone – Brustkrebs bei der Mehrheit der betroffenen Frauen wachsen las sen. Deshalb wurde zu Beginn der 1950er-Jahre eine Antihormontherapie entwickelt.
Das Prinzip: Hormon-Rezeptor-Blocker wie Tamoxifen, sogenannte Aromatasehemmer wie Letrozol oder GnRH-Analoga wie Leuprorelin greifen auf unterschiedliche Weise in die Bildung der natürlichen Hormone ein und verhindern so, dass sich die Zellen des Tumors weiter teilen können. Diese Therapie senkt auch nach einer Operation das Rückfallrisiko. Dr. Kay Friedrichs: „Die antihormonelle Therapie ist heute die erfolgreichste bei Brustkrebs. Deshalb wird sie auch am häufigsten angewendet.“ Während es früher nur ein Antihormon-Medikament gab, haben die Mediziner heute die Auswahl zwischen sechs verschiedenen. Zudem wurden Antiöstrogene mit neuen Substanzgruppen in den letzten Jahren kombiniert – und das mit großem Erfolg.
Strahlentherapie Die Bestrahlung nach einer OP verringert das Risiko eines Rückfalls
Fast drei von zehn betroffenen Frauen sind bei der Diagnosestellung jünger als 55 Jahre
Hormontherapie Hormon-Rezeptor-Blocker verhindern, dass sich die Tumorzellen weiter teilen
Strahlentherapie reduziert Rückfallrisiko
Wird der lokale Krebs durch eine brusterhaltende OP entfernt, besteht eine 35-prozentige Gefahr, dass er zurückkommt. Bestrahlt man die Stelle nach der Operation, reduziert sich das Risiko um die Hälfte. Deshalb schließt sich in fast allen Fällen heutzutage eine Bestrahlung an eine brusterhaltende Operation an. Sie besteht aus einer Elektronenbestrahlung, die die Zellteilung hemmt und somit die Krebszellen zerstören kann. Zum Teil wird sogar während der Operation bestrahlt. Heute ist die Strahlentherapie gezielter, schneller und schonender als früher. „Sie kann bestimmte Rückfallrisiken reduzieren, dort wo der Krebs auftaucht. Aber sie hat nur eine geringe systemische Wirkung“, erklärt der Mediziner am Mammazentrum im Jerusalem-Krankenhaus. Das ist ihr Manko im Gegensatz zu den im ganzen Körper wirkenden, antihormonellen oder Chemotherapien.
DEN FEIND DEMASKIEREN Die Antikörpertherapie macht Tumorzellen (orange) für die T-Zellen (weiß) der Immunabwehr sichtbar
SPURENSUCHE Bei Krebsverdacht wird zunächst eine Röntgenaufnahme der Brust gemacht
Neue Gruppe von Wirkstoffen: Biologicals
Seit vier, fünf Jahren steht Ärzten im Kampf gegen den Krebs eine ganz neue Gruppe von Wirkstoffen zur Verfügung: sogenannte Biologicals. Das sind Medikamente, die körpereigenen Substanzen ähneln und auf den Zellzyklus Einfluss nehmen können. Oder sie nutzen Oberflächeneigenschaften der Tumorzelle, um sie unschädlich zu machen. Sie werden mithilfe von Gentechnik in lebenden Zellen hergestellt. Dr. Kay Friedrichs: „Das sind spannende neue Substanzgruppen, die tatsächlich neue Optionen der Heilung eröffnen!“ Mit den neuen Verfahren steigt die Rate der Frauen, die eine Brustkrebs-Diagnose überleben. Besonders diejenigen haben sehr gute Chancen, komplett geheilt zu werden, bei denen der Tumor früh entdeckt wurde. Aber auch Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs werden Jahre geschenkt. „Das war früher nicht so“, sagt der Gynäkologe. „Heute können wir verschiedene Therapieformen aneinanderreihen und damit zum Teil Jahre gewinnen.“ Welche Behandlungen das sind, muss bei jeder einzelnen Patientin gezielt herausgefunden werden. Der Brustkrebsspezialist: „Eine ausführliche und individuelle Beratung ist hier das A und O.“
lifeline.de/brustkrebs
Hier finden Sie viele weiterführende Informationen zum Thema Brustkrebs
FOTO: GETTY IMAGES
FOTOS: GETTY IMAGES