... traditionelle Werte einstehen, also für Heimatliebe, Wehrhaftigkeit, familiären Zusammenhalt und die Verankerung des Individuums in einem religiös begründeten gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Das Wort »Religion«, falls Sie es nicht wissen sollten, hat seine Wurzel in dem Begriff »religio«, der »Rückbindung« bedeutet. Damit ist die Rückbindung des Einzelnen an eine kosmische oder, wenn Sie so wollen, spirituelle Einheit gemeint, von der die Taliban heute mehr zu wissen scheinen als so mancher westliche Lebenskünstler, der glaubt, er könne gefahrlos alles über Bord werfen, was wir von unseren Vätern geerbt haben.
Wäre es dann nicht besser, wenn die Taliban auch in Deutschland die Macht übernähmen?
Das wäre mit unseren christlich-abendländischen Wurzeln nicht vereinbar. Ich gestehe aber freimütig, dass mir die Taliban mit ihrem Ehrgefühl und ihrem Kriegerstolz mehr imponieren als die radikalpazifistischen Fortpflanzungsverweigerer in Deutschland.
Haben Sie sich deshalb kürzlich in einem Hamam in Kabul mit dem afghanischen Hardliner Hibatullah Achundsada getroffen?
Wer sagt das?
Auf Youtube ist eine fünfminütige Filmaufnahme von jenem Treffen zu sehen. Sie sitzen da gleich neben Achundsada und einem Dolmetscher, und aus der Tonspur geht hervor, dass Sie über die Monatsmiete für Ihre Garage verhandeln.
Ich dementiere das entschiedenst. Erstens bin ich noch nie in Kabul gewesen, zweitens kenne ich Herrn Achundsada nur aus den Nachrichten, und drittens hat dieses sogenannte Treffen, wenn überhaupt, in einem Kaffeehaus in Bad Salzschlirf stattgefunden, als ich dort einen wohlverdienten Erholungsurlaub genossen habe. Bei dem seinerzeit in Bad Salzschlirf geführten Gespräch mit Herrn Achundsada ist es aber nicht um die Monatsmiete für meine Garage gegangen, sondern um die Frage, was wir gemeinsam dagegen unternehmen können, dass Deutschland sich abschafft, und mein Gesprächspartner ist dabei auch keineswegs Herr Achundsada gewesen, sondern ein Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung, dessen Name mir leider entfallen ist.
Gebongt. Aber weshalb steht dann gleich neben Ihrer Garage ein Gebäude, das vorgestern im Grundbuch unter dem Namen »Hibatullah-Achundsada-Moschee« eingetragen worden ist?
Davon ist mir nichts bekannt.
Ihre Nachbarn haben sich bei der Polizei jedenfalls schon mehrmals über die Muezzinrufe beschwert, die von Ihrem Grundstück aus in die Gegend hallen.
Hier liegt ein Missverständnis vor. In meinem Garten ist kürzlich ein islamkritisches Frei-lichttheaterstück aufgeführt worden, das ich selbst geschrieben habe. Es mag sein, dass der eine oder andere Anlieger die Klangkulisse in diesem Fall fehlinterpretiert hat.
Stimmt es denn, dass Sie mit Ihrem neuen Buch »Afghanistan braucht den Euro nicht« auf eine Tournee durch den Mittleren Osten gehen wollen?
Fest vereinbart sind vorläufig nur Lesungen in Teheran, Isfahan, Ghom, Kabul, Masar-e Scharif, Dschalalabad und Kandahar. Anfragen liegen inzwischen allerdings auch aus Faisalabad, Aleppo, Mekka, Hofuf, Damaskus, Ninive, Alexandria, Uruk und Babylon vor.
Sie scheinen ja eine große Fangemeinde in der islamischen Welt zu haben ...
Ich will nicht prahlen, aber ich habe festgestellt, dass viele Muslime mir gern ihr Ohr leihen. Anders als in unseren eigenen Breitenkreisen sehe ich mich in der islamischen Welt auch keiner unqualifizierten Kritik ausgesetzt. Dort herrschen eben noch Recht und Ordnung.
Das klingt fast so, als ob sie mit dem Gedanken spielten, zum Islam überzutreten.
Das klingt nicht nur so. Ich habe das bereits getan. Es gibt keinen wahren Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Gottes!
Soll das heißen, dass Sie jetzt auch die Scharia verfechten, also das Handabhacken und die Steinigung von Ehebrechern?
Meine Glaubensüberzeugungen decken sich mit jenen des Imams Mūsā ibn Dscha’far al- Kāzim, der im achten Jahrhundert im Großraum Bagdad gewirkt hat und ein direkter Nachfahre des Propheten Mohammed gewesen ist. Irgendwann muss halt mal Schluss sein mit dem ewigen Laissez-faire!
Sind Sie auch schon nach Mekka gepilgert?
Das lässt mein Terminkalender vorläufig leider nicht zu.
Und wem drücken Sie als Muslim in Afghanistan die Daumen? Den Taliban oder der talibanfeindlichen Terrororganisation ISIS-K?
Am besten wäre es, wenn alle konservativen Kräfte der gesamten Region an einem Runden Tisch zusammenkämen. Dazu zähle ich auch Al-Qaida, die Al-Nusra-Front und die Al-
Aqsa-Märtyrerbrigaden. Im Grunde verfolgen diese Gruppen ja alle das gleiche Ziel: Sie wollen einen Wertekanon wiederherstellen, der irgendwann im Spätmittelalter verlorengegangen ist, wenn nicht sogar schon in der Völkerwanderungszeit oder im Paläoproterozoikum. Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Das Pflichtgebet ruft. Allahu akbar!
GERHARD HENSCHEL