... Sekunden Brenndauer, der für Anfang Februar geplant ist, und ein zehnminütiger „Long Firing Test“ Mitte bis Ende März. Zu den kombinierten Tests gehört aber viel mehr: „Die Idee ist, eine Standardkampagne komplett durchzutesten. Angefangen damit, dass wir den Launcher zusammenbauen, ihn betanken, feuern und danach noch verschiedene Betankungstests durchführen für den Fall, dass Fehler auftauchen“, erklärt Riedel, der seit Januar 2022 in Kourou ist.
Vor der ersten Betankung, auf die direkt der kurze Vulcain-2.1-Heißlauf folgen soll, wird die Funktionalität der Rakete getestet. Riedel gibt einen Einblick in die Fragen, die er und sein Team in nächster Zeit klären müssen: „Schalten die Ventile? Sprechen die Geber an? Sind sie richtig verkabelt? Zeigen sie das an, was wir erwarten? Ist die Manöverzeit der Ventile so, wie wir uns das vorstellen?“ Dabei geht es auch um das Fotos: ESA-CNES-ArianeGroup-Optique vidéo du CSG/P. Baudoin/P. Piron/E. Prigent, ESA-S. Corvaja (2)/M. Pedoussaut Zusammenspiel von Boden- und Bordsoftware. Anschließend wird die Betankung der Rakete „trocken“ simuliert, bevor man sich an den echten Treibstoff wagt. Beteiligt sind an den Tests neben dem gut 65-köpfigen ArianeGroup-Team noch einmal so viele Mitarbeiter der französischen Raumfahrtagentur CNES, die für die Startanlage verantwortlich ist, sowie ESA-Vertreter.
ERSTFLUG ENDE 2023
Wenn keine größeren Anomalien auftreten, sollen die kombinierten Tests etwa sechs Monate lang dauern – von der ersten Betankung bis zu dem Moment, in dem das Launchpad freigemacht wird für den Jungfernflug der Ariane 6. Den hat die ESA kürzlich um ein gutes Jahr verschoben, auf das vierte Quartal 2023. „Dies ist ein geplantes Datum. Das Programm muss noch sukzessive und rechtzeitig eine Reihe wichtiger Meilensteine? erreichen, damit dieser Zeitplan gültig bleibt“, sagte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher im Oktober. Ursprünglich war der Erstflug für den Sommer 2020 geplant, doch technische Probleme, unter anderem bei der neuen Auxiliary Power Unit (APU) der Oberstufe und den Kryoarmen der Startanlage, sowie die Corona-Pandemie haben das Programm immer wieder verzögert. Das hat nun gravierende Konsequenzen für die europäische Raumfahrt: Die Produktion der Ariane 5 ist beendet, die letzte wird im Frühjahr 2023 abheben und die ESA-Sonde JUICE ins All bringen. In einem Zeitraum von voraussichtlich sechs bis neun Monaten hat Europa keine eigene Trägerrakete zur Verfügung, die Satelliten in einen geostationären Transferorbit bringen kann. Die als Back-up für die Ariane 6 gedachte Sojus ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine keine Option mehr. Trotzdem will man bei der Ariane 6 nicht in Hetze verfallen, auch nicht bei den kombinierten Tests. Dass Zeitdruck kein guter Berater ist, zeigt sich an einem anderen Raumfahrt-Großprojekt: der Artemis-I-Mondmission der NASA. Die Tests und Startversuche des Space Launch System (SLS) hat auch Riedel verfolgt: „Wir werden versuchen, nicht die gleichen Fehler zu machen.“
EINMALIGER OBERSTUFENTEST
Die von Aschbacher erwähnten Meilensteine umfassen neben dem Beginn der kombinierten Tests in Kourou auch die Heißlauftests einer kompletten Oberstufe auf dem neuen ESA-Prüfstand P5.2 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen. Der erste einer Reihe von drei geplanten Tests fand am 5. Oktober 2022 statt. Das Vinci-Triebwerk feuerte um 19.32 Uhr insgesamt 45 Sekunden lang auf beiden Schublevels, 130 und 180 Kilonewton.
Eigentlich hätte anschließend auch die in die Oberstufe integrierte APU laufen sollen. Sie ermöglicht die Bedrückung der Tanks ohne laufendes Triebwerk, ist für die Vorbereitung der Wiederzündung des Vinci zuständig und kann bei Bedarf auch zusätzlichen Schub liefern. Doch der Test wurde vorher abgebrochen. „Nicht, weil wir ein Problem im Test hatten, sondern wegen der fortgeschrittenen Zeit“, stellt Sven Dietershagen, ArianeGroup-Projektmanager des Heißlauftests, klar. „Wir haben mit der Zündung von Vinci ein großes Highlight erreicht. Von dem Moment an, wo wir in die Autonomie der Stufe gegangen sind, bis nach dem Vinci-Boost und dem Druckentlasten der Tanks lief alles nominal.“ Damit hatte nicht einmal der Projektverantwortliche gerechnet, denn Testtage bieten so manche Überraschung.
„So ein Test mit einer kompletten, autonom arbeitenden Oberstufe mit vollständiger Avionik wurde in Europa meines Wissens noch nie durchgeführt“, sagt Dietershagen. Bei früheren Prüfläufen seien zwar die Equipments zusammengebracht, aber vom Boden aus gesteuert worden. Das Vinci-Oberstufentriebwerk hat, ebenso wie das Hauptstufentriebwerk Vulcain 2.1 und die P120C-Booster, in den vergangenen Jahren viele Bodentestzündungen hinter sich gebracht und ist mittlerweile qualifiziert. „Aber das Triebwerk in Kombination mit der Stufe ist ein ganz anderes Spiel.“
KOMPLEXE RECHNERSYSTEME
Für die Heißlauftests wurde in Bremen eigens eine Oberstufe gefertigt, das „Hot Firing Model“ (HFM). „Unser HFM ist sehr nah an einer Flugstufe“, sagt Dietershagen. Triebwerk, APU und Equipments seien aber so designt worden, dass man sie unter Umgebungsbedingungen testen kann. Ein Thema ist beispielsweise die Akustik, die im Flug für die Oberstufe nur in der ersten Aufstiegsphase eine Rolle spielt. Der Prüfstand P5.2 wurde entsprechend ausgelegt, damit sich keine Probleme aus Schallreflexionen ergeben. Er bietet zudem einige Finessen, um den echten Flugbedingungen so nah wie möglich zu kommen. Beispielsweise kann an bestimmten Schnittstellen zu bestimmten Zeiten Vakuum erzeugt werden.
Das HFM befindet sich bereits seit Februar 2021 in Lampoldshausen. Vor Beginn der eigentlichen Tests mussten die Teams von ArianeGroup und DLR viel Zeit für die Erprobung der Avionik aufwenden. Denn drei verschiedene Computersysteme sind an den Heißläufen beteiligt: das DLR-System am Prüfstand, der ArianeGroup-eigene Bodencomputer sowie das Bordsystem der Oberstufe. Mehrere Monate lang wurde überprüft, dass die Computer es bei Fehlerfällen schaffen, Oberstufe und Prüfstand in einen sicheren Zustand zu bringen. Sonst könnte es mit den großen Mengen an Wasserstoff und Sauerstoff ungemütlich werden.
Beim nächsten Heißlauf, der zwischen Ende November und Weihnachten geplant ist, soll das Testprofil vom 5. Oktober wiederholt werden, angepeilt sind mehrfache Vinci-Zündungen. Zudem sollen einige Verbesserungen eingearbeitet werden, die sich aus der Analyse der ersten Testdaten ergeben haben. Beim letzten Heißlauf, der ebenfalls mehrere Vinci-Wiederzündungen umfassen wird, soll die Oberstufe auch Abbruchbedingungen ausgesetzt werden. Insgesamt wird die Testkampagne in Lampoldshausen bis ins Frühjahr 2023 andauern. Nach den Heißläufen in Baden-Württemberg wird das HFM nach Noordwijk in den Niederlanden verschifft, wo es im Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum der ESA (ESTEC) mechanisch auf Herz und Nieren geprüft wird.
AM ENDE ZERLEGT
„Lampoldshausen macht uns [für die kombinierten Tests; d. Red.] sehr zuversichtlich, weil die Betankung der Oberstufe reibungslos geklappt hat“, sagt Dirk Riedel. Am Ende der kombinierten Tests wird die erste komplette Ariane 6 übrigens noch in Kourou demontiert, um zu verifizieren, dass im späteren Betrieb auch kurzfristige Änderungen der Nutzlast möglich sind. Die Avionik des P120C-Feststoffboosters soll wieder in die Produktion eingespeist werden. Haupt- und Oberstufe werden zurück nach Les Mureaux und Bremen verschifft, Avionik und Hauptstrukturen wie beispielsweise die Intertank Structure der Oberstufe können eventuell aufbereitet und wiederverwendet werden. Der ausgeweidete Rest der ersten Ariane 6 kommt vielleicht in ein Museum. Dort könnte sich die Test-Rakete dann wieder stolz gen Himmel recken.