... Matthew Lafreniere, der Line Producer von FIFA 22, verkündete etwa lautstark, dass man dieses Jahr zum ersten Mal in der Lage gewesen sei, ein Spiel komplett für die nächste Konsolengeneration zu bauen. Nachdem man auf der Old Gen langsam an eine Leistungsgrenze gestoßen sei, die es schwermachte, neue Features zu entwickeln, könne man nun „die wahre Power“ der PS5 nutzen, um die Möglichkeiten in Sachen Innovation und Realismus weiter auszureizen.
DIE ZUKUNFT DES VIRTUELLEN FUSSBALLS?
Schön und gut, de facto bedeutet das aber auch: Mit FIFA 22 entsteht wieder eine Art „Zwei-Klassen-Gesellschaft“. Man spaltet die Spieler in mehrere Lager: Die Next-Gen-Besitzer, die tolle neue Features bekommen, und die Old-Gen-Besitzer, die man höchstens mit ein paar kleinen Neuerungen vertröstet. Über die desaströse Legacy Edition für Switch will ich hier gar nicht reden. Das birgt zahlreiche Probleme – besonders, wenn dann auch noch Unsummen für spätere Upgrades verlangt oder PC-Zocker mit einer abgespeckten Version abgespeist werden.
Um die ging es im Preview-Event allerdings nicht. Stattdessen drehte sich natürlich alles um die besagten Next-Gen-Features, allen voran: die Hypermotion-Technologie. Die stand ja bereits prominent im Mittelpunkt des Reveal-Trailers und wurde auch schon auf der FIFA-Website näher erläutert. Trotzdem ließ es sich Gameplay Producer Sam Rivera nicht nehmen, uns die neue Funktion noch ein letztes Mal näher zu bringen.
Ganz einfach ausgedrückt: Hypermotion sorgt für ein noch realistischeres Fußballgefühl auf dem virtuellen Rasen – dank neuartiger Motion-Capture-Technik. Bisher beruhten die Animationen der FI- FA-Serie stets auf Studioaufnahmen, in denen zwei bis drei Akteure bestimmte Spielsituationen nachstellten: Spieler schießt Tor, Spieler tritt Gegner, Torwart fliegt durch die Luft und so weiter. Nun werden 22 Profis auf einmal gefilmt, wie sie sich über Platz bewegen, Bälle zuspielen oder gegenseitig anrempeln. Dadurch wirken die Bewegungen im Spiel nochmal deutlich dynamischer und realistischer, eben, weil sie direkt in einer natürlichen Umgebung aufgenommen wurden, statt sie in einem künstlichen Setting zu inszenieren.
ZEIT FÜR DIE VIDEOANALYSE!
Alles in allem hat EA Sports für FIFA 22 über 4.000 neue Animationen aufgenommen. Das entspricht etwa dem Dreifachen der üblichen Menge und stellt somit natürlich die größte Überarbeitung der Seriengeschichte dar. Die Einsatzgebiete der neuen Bewegungsabläufe sind dabei weit gestreut, die Entwickler hoben aber vor allen Dingen zwei Bereiche hervor: So sollen die Motion-Capture-Aufnahmen in Kombination mit maschinellem Lernen genutzt werden, um das Spielgefühl, allem voran die KI zu verbessern. Dafür studiert ein Algorithmus die gefilmten Spielszenen und analysiert, wie sich Fußballprofis in bestimmten Situationen benehmen: Wie bewegen sie sich? Welche Bälle spielen sie? Wie gehen sie in den Zweikampf? Basierend auf den Erkenntnissen passt sich dann auch das Verhalten eurer computergesteuerten Kollegen an. Also übertrieben einfach ausgedrückt: Die KI lernt durch das Schauen von Spielszenen, wie Fußball eigentlich funktioniert und verhält sich entsprechend smarter.
Auf offensiver Seite bedeutet das, dass eure Mitspieler nun bis zu sechs Mal mehr Entscheidungen treffen können. Sie bieten euch etwa schlauere Laufwege und so mehr Optionen im Aufbauspiel an. In der Defensive hingegen verteidigen eure Kicker nun intelligenter den Raum. Sie bewegen sich besser als eine Einheit und nutzen dabei auch die ganze Breite des Felds. Wenn etwa ein Ball auf die Flanke gespielt wird, schaffen eure Profis dort eine entsprechende Überzahl, um die Kugel schnellstmöglich wieder zurückzuerobern. Das sorgt für eine erfrischend neue Erfahrung in Sachen Stellungsspiel, da euch die KI nun gefühlt nochmal etwas besser unterstützt.
BLEIB GESCHMEIDIG
Damit ihr euch nicht zu übermächtig fühlt, hat sich EA Sports allerdings auch ein paar andere Kniffe einfallen lassen. So könnt ihr nun etwa nicht mehr grenzenlos auf den rechten Bumper drücken und so Hilfe in der Defensive anfordern. Der zweite Spieler, den ihr auf diese Weise herbeiruft, verfügt nun über eine Ausdauerleiste rund um das Spielericon über seinem Kopf. Ist diese leer, hört er auf zu pressen und muss sich erst mal für eine Zeit lang erholen. Ein gutes Stück Verteidigungsarbeit bleibt also immer noch an euch hängen! Dabei seid ihr nun auch nochmal deutlich mehr gefordert. Denn nicht nur eure computergesteuerten Mitspieler profitieren vom maschinellen Lernen, sondern natürlich auch eure Gegenspieler. Entsprechend zieht die KI in FIFA 22 auch mal ein schickes Kurzpassspiel mit einer Ballberührung auf oder verlagert durch taktische Seitenwechsel clever das Spielgeschehen. Das wirkte in unserer Anspieldemo alles deutlich variabler, schneller und unberechenbarer. Gerade auf den höheren Schwierigkeitsgraden werdet ihr ordentlich gefordert.
Auf der anderen Seite profitieren aber auch die grafische Qualität und der allgemeine Spielfluss von den neuen Motion-Capture-Aufnahmen. Durch die breitere Varianz an Animationen bewegen sich Spieler nun nahtloser, statt abgehackt aus einer Bewegung in die andere überzugehen. Gerade das Dribbling oder der vom Wechsel vom Lauf in den Schuss wirken deutlich sauberer. Spieler legen nun ein paar kleine Trippelschritte ein, bevor sie den Ball treten, statt wie früher einen halben Meter mit dem ausgestreckten Standbein über den Boden zu rutschen. Luftduelle sollen künftig authentischer ausfallen.
Außerdem wurde ein hoher Wert auf die „Vermenschlichung“ der virtuellen Kicker gesetzt. Das heißt, eure Akteure imitieren künftig noch mehr die Verhaltensweisen echter Vorbilder, indem sie etwa mehr miteinander interagieren, Fragen stellen und mit ihren Armen Läufe oder Pass-Wege anzeigen. FIFA 22 soll eben noch mehr nach richtigem Fußball aussehen.
Dazu passen auch die diversen Änderungen in Sachen Spieltags-Präsentation, die für noch mehr Immersion und Atmosphäre sorgen sollen. So gibt es nun künftig umfangreiche Match-Daten mit Expected-Goals-Werten oder einer detaillierten Lauf-, Pass- und Schussstatistik jedes einzelnen Spielers. Auch die Zwischensequenzen, die rund um die Partien abgespielt werden, fallen nun abwechslungsreicher aus: Der Platzwart zieht nochmal die Seitenlinien nach, die Spieler kommen mit Einlaufkindern auf den Platz, Maskottchen tollen am Spielfeldrand herum oder Fans lassen besonders beeindruckende Choreographien blicken. Die „Big Goal Moments“, also die euphorischen Jubelszenen nach einem bedeutenden Treffer, wurden erweitert und schließen nun auch individuelle Cutscenes für besondere Starspieler und Trainer ein. Manche Klubs wurden sogar mit ikonischen Intros ausgestattet. Im Parc des Princes in Paris erwartet euch zum Champions-League-Spiel eine schicke Licht-Show, im Liverpooler Anfield-Stadion schallt das traditionelle „You’ll never walk alone“ von den Rängen.
Insgesamt soll eben einfach alles natürlicher wirken. Da helfen auch überarbeitete Kommentatoren, die jetzt etwas besser damit umgehen, wenn sie in ihren Standard-Phrasen unterbrochen werden. Auch die Spielermodelle wurden nochmal leicht angepasst, sodass ihre Statur besser zur Geltung kommt, und sogar das Tornetz (!) wurde mit neuen Sounds und Bewegungen ausgestattet. Das klingt im ersten Moment unglaublich doof, eine gewisse Wirkung kann man aber nicht abstreiten. In unseren ersten Matches machte FIFA 22 auf der PS5 den optisch besten Eindruck seit langem! Die Spieler und neuerdings sogar die Schiedsrichter sehen mit ihren gescannten Gesichtern täuschend echt aus. Vor allem die Darstellung von Haaren und Tattoos hat einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Die Frage bleibt bei all dem Lob allerdings auch: Wie oft hält man das Spiel denn tatsächlich an und wechselt in die Sofort-Wiederholung, um sich das alles nochmal näher anzuschauen?
NEUE FEATURES UND ALTE PROBLEME
Ein schönes Äußeres alleine reicht FIFA 22 nicht. Und von Hypermotion abgesehen, das dann auch noch Next-Gen-exklusiv ist, sieht es mit tatsächlichen spielerischen Neuerungen eher dünn aus. Bahnbrechende Veränderungen wie die Kreativen Läufe aus FIFA 21 oder das Abschlusstiming aus FIFA 19 sucht man vergebens. Dieses Jahr scheint es keine neue Mechanik, keinen „Game Changer“ zu geben, den man erst mal meistern müsste, um sich einen Vorteil gegenüber anderen Spielern zu verschaffen. Stattdessen gibt es eine Reihe kleiner Anpassungen: Die Torhüter wurden beispielsweise noch einmal überarbeitet. Gameplay-Producer Sam Rivera sprach davon, man habe vor allem an ihrer Persönlichkeit, ihrer Zuverlässigkeit und ihren Animationen gewerkelt. In Sachen Ballphysik soll sich FIFA 22 nun noch mehr am realen Fußball orientieren, der Luftwiderstand und die Reibung des Rasens spielen also künftig eine größere Rolle. Dazu kommen abschließend ein paar zusätzliche Spezialbewegungen. Durch Tricks wie den Scoop Turn Fake, den First Time Spin oder den Four Touch Skill könnt ihr künftig auch schon bei der Ballannahme euren Flair spielen lassen.
Das alles fällt meiner Meinung nach aber mehr so „unter ferner liefen“. Über weite Strecken spielt sich FIFA 22 – zumindest gegen den Computer – immer noch recht gleich. Ja, da gäbe es noch den Explosiven Sprint. Durch den verschafft ihr euch auf den ersten Metern, nachdem ihr den rechten Trigger durchgedrückt habt, nochmal deutlich mehr Abstand zum Gegenspieler. Diese überarbeitete Beschleunigungsmechanik hat aber auch nur begrenzte Auswirkungen. Da EA verhindern möchte, dass die Geschwindigkeit eurer Kicker zum einzig spielentscheidenden Kriterium wird, holen euch selbst langsamere Verteidiger in längeren Laufduelle immer noch ein. Auch beim Blocken von Schüssen ist die KI weiterhin extrem effektiv. Durch ihr erweitertes Moveset pflücken Spieler nun sogar noch akrobatischer eure Bälle aus der Luft. In guten fünf Stunden mit der Demo brachten wir nicht einen einzigen Distanzschuss im Tor unter. Wenn das auch im fertigen Spiel so läuft, ist Frust vorprogrammiert. Auch andere altbekannte Macken wie Probleme beim Spielerwechsel oder kuriose Spielerkollisionen sind uns immer noch untergekommen. Noch bleibt aber die Hoffnung, dass EA Sports hier bis zum finalen Release zumindest ein wenig Abhilfe schafft.
Der ist dann für den 01. Oktober 2021 geplant. Da erscheint FIFA 22 für alle aktuellen Plattformen. Bis dahin wollen die Macher noch diverse Updates zu den größten Neuerungen der einzelnen Spielmodi veröffentlichen. Außerdem dürfen sich Spieler wohl erneut auf eine Demo freuen, in der die Fußballsimulation bereits vorab getestet werden kann.