Bildquelle: founders magazin, Ausgabe 36/2022
Gründerpaar Stefan und Anne Lemcke.Kurz vor Ostern ging ein Aufruhr durchs Netz: Das Hamburger Gewürz-Startup Ankerkraut, das 2016 einen Deal in der »Höhle der Löwen« bekam, hat mit rund 85 Prozent die Mehrheit seiner Anteile an Nestlé verkauft.Zugegeben, die Küche ist jetzt nicht mein zweites Wohnzimmer. Wenn ich selbst koche, lege ich mir am liebsten ein schönes Steak auf den Grill, bisschen Pfeffer und Salz drauf – fertig. Doch das Unternehmen ist mir natürlich ein Begriff. Warum die Entscheidung von Ankerkraut sinnbildlich für die deutsche Start-up-Szene ist und was meiner Ansicht nach schiefgelaufen ist? Darauf möchte ich hier genauer eingehen.
Erst Hamburg, dann Deutschland – und schließlich die ganze Welt?
»Für uns ist dieser Schritt eine großartige Chance, denn wir wollen unser Wachstum und unsere Professionalisierung weiter vorantreiben«, erläuterte das Gründerpaar Stefan und Anne Lemcke die Verkaufsentscheidung in einer Pressemitteilung. Demnach würden sie Gesellschafter bleiben und auch weiterhin als Markenbotschafter an Bord bleiben. So weit, so gut – doch mit welcher Botschaft? Fakt ist, dass sich das Unternehmen vor allem damit einen Namen gemacht hat, Gewürze und Gewürzmischungen ohne künstliche Zusatzstoffe in wiederverwendbaren Glasflaschen sowie recycelbaren Nachfüllbeuteln zu vertreiben. Doch was bleibt von dieser Botschaft, wenn du dich mit einem Konzern wie Nestlé zusammentust, der immer mal wieder in der Kritik steht, nicht in erster Linie ökologisch bedacht zu handeln? Ich kann durchaus verstehen, dass Fans der Marke deswegen auf die Barrikaden gehen.
Das erklärte Ziel sei es zudem, »Ankerkraut auf die nächste Stufe zu heben«, so Stefan Lemcke. Mal ehrlich: Muss das Ziel immer die Internationalisierung sein? Sicher ist es eine verlockende Chance, mit einem Konzern im Rücken den Weltmarkt zu erobern. Doch gibt es auf diesem Markt einen Bedarf für Ankerkraut? Ich habe es schon mehrfach beobachtet, wie deutsche Unternehmen durch die angestrebte Internationalisierung ins Straucheln geraten sind. Unter anderem, weil sie einfach nicht wahrhaben wollten, dass ihr Produkt jenseits des deutschen Marktes nicht funktioniert. Ich bin natürlich kein Fachmann für den weltweiten Handel mit Gewürzmischungen. Doch die Bildsprache mit Anker, Segelschiffen und Kraken, die Verknüpfung mit Hamburg und nach außen kommunizierte Werte wie Heimat, Familie, Umweltschutz – alles, was da mitschwingt, macht die Strahlkraft der Marke bisher aus. Und ich glaube nicht, dass sich das eins zu eins übertragen lässt und in England, Spanien oder den USA genauso gut ankommt. Was in vielen Fällen dann der nächste Schritt ist, ist ein Rebranding. Ein neuer, international gefälliger Name. Eine Anpassung der Rezeptur. Und so weiter. Und am Ende bleibt ein völlig beliebiges, seelenloses Retortenprodukt, was nichts mehr mit dem ursprünglichen Kern der Marke zu tun hat. Und vom früheren Erfolg nur noch träumen kann.
Beiße nicht die Hand, die dich füttert
Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen. Vielleicht geht die Geschichte auch gut aus und Ankerkraut wird zum Global Player. Das bleibt abzuwarten. Allerdings war der erste Schritt in Richtung »noch mehr Erfolg« zumindest in Sachen Kommunikation ein völliger Fehltritt. Wahrscheinlich war allen Beteiligten klar, dass die Fanbase nicht gerade Beifall klatschen würde. Doch deswegen lieber alles still und heimlich abwickeln? Das geht gar nicht. Ich weiß nicht, ob, auf welche Weise und wann die Mitarbeiter über den Verkauf informiert wurden. Ich hoffe nur, dass mit ihnen anders umgegangen wurde als mit den Kooperationspartnern. Denn im Netz melden sich immer mehr Influencer zu Wort und berichten, dass sie vor der offiziellen Pressemitteilung keinerlei Nachrichten erhalten und daher die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung beendet hätten. Das kann ich absolut nachvollziehen. So kannst du mit deinen Partnern doch nicht umgehen! Haben die ernsthaft erwartet, dass nichts passieren würde? Und das war erst der Anfang.
Bildquelle: founders magazin, Ausgabe 36/2022
Der Autor
Martin Limbeck ist unter anderem Inhaber der Limbeck® Group, Wirtschaftssenator (EWS) und einer der führenden Experten für Sales und Sales Leadership in Europa.
Doch was bleibt von dieser Botschaft, wenn du dich mit einem Konzern wie Nestlé zusammentust, der immer mal wieder in der Kritik steht, nicht in erster Linie ökologisch bedacht zu handeln?
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Die Jury von »Die Höhle der Löwen« aus 2017 (von links): Carsten Maschmeyer, Judith Williams, Frank Thelen, Dagmar Wöhrl und Ralf Dümmel.Bildquelle: founders magazin, Ausgabe 36/2022
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Ankerkraut schweigt mit Ausnahme der Pressemitteilung zu dem Deal mit Nestlé. Auf den Social-Media-Kanälen ist business as usual angesagt. Ich kann einerseits verstehen, dass du in der Situation keine Lust hast, dich ständig zu rechtfertigen. Doch so zu tun, als wäre nichts? Ich bin der Ansicht, dass du dann auch die Eier haben und zu deiner Entscheidung stehen musst.
Apropos Eier: Am Ostersonntag veröffentlichte das Unternehmen auf seinem Instagram-Kanal ein Video, das eine Familie mit zwei kleinen Kindern beim Backen für das Osterfest zeigt. Schöne heile Welt? Unpassender geht es in der aktuellen Situation eigentlich kaum noch. Denn es ist genau dieses Bild des familiennahen Unternehmens, das durch den Verkauf an Nestlé in den Köpfen der Kunden und Fans wie eine Seifenblase geplatzt ist. Die unzähligen Kommentare der Follower unter dem Posting sprechen Bände: »Ihr habt eure Seele verkauft!«, »Feiert schön mit Nestlé – aber ab sofort ohne mich!« oder »Entweder man macht etwas aus Überzeugung oder man macht etwas wegen Geld«. Was du als Unternehmer nie vergessen darfst: Deine Marke lebt von der Treue und der Begeisterung deiner Kunden. Sie sind es, die deine Produkte nicht nur kaufen, sondern sie auch verschenken und weiterempfehlen. Wenn du es dir auf so krasse Weise mit deinen Fans verscherzt, kannst du schlimmstenfalls einpacken. Dann hilft dir auch Nestlé auf Dauer nicht.
Und natürlich schläft auch die Konkurrenz nicht. Marktbegleiter Ostmann Gewürze hat kreativ reagiert: Kurz nach der Bekanntgabe des Nestlé-Deals erschien auf dem Instagram-Profil des Unternehmens ein Posting mit dem vielsagenden Spruch: »Gewürze mit Geschmack. Nicht mit Geschmäcklé.« Und im Text darunter heißt es: »Bei uns bleibt alles wie gehabt.« Das ist provokantes und gleichzeitig cleveres Marketing, Hut ab!
Kein Nährboden mehr für gute Ideen
Ehrlicherweise überrascht mich der Schritt der Gründer auch nicht großartig. Ich kenne sie nicht persönlich. Doch ich habe in den letzten Jahren viele Start-ups beobachtet und mich auch selbst als Investor eingebracht. Und dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass leider viele gar kein Unternehmen mehr gründen, aufbauen und groß machen wollen – sondern von Anfang an nur den Exit im Kopf haben. Bei den Investoren sieht es nicht anders aus. Die schauen gar nicht darauf, ob sie sich mit einer Idee besonders gut identifizieren können, sondern füttern mit ihrem Geld so viel wie möglich an, was irgendwie erfolgsversprechend ist. Sie nehmen, sagen wir mal, 100 Millionen Euro, stopfen die in 70 Start-ups. 60 davon gehen pleite, ein oder zwei hingegen gehen durch die Decke. Die werden dann verkauft, idealerweise an internationale Konzerne – und alle Beteiligten streichen eine ordentliche Summe Geld ein. Und können dann weiter investieren oder sich ein schönes Leben irgendwo in der Karibik machen. Von der ursprünglichen Idee, der Liebe zum Produkt und den familiären Strukturen will dann keiner mehr was hören. Das macht mich als Vollblutunternehmer wirklich betroffen.
Ist dein Unternehmen dein Baby – oder nur ein Spekulationsobjekt?
Aus meiner Sicht betrachten echte Unternehmer ihr Unternehmen nicht als Handelsware. Sondern als ihr Kind, das sie in die Welt setzen und großziehen. Echte Unternehmer werden auch nicht plötzlich zu Zockern, die bei nächster Gelegenheit ihre Company verticken. Sondern sie bleiben in der Tiefe ihres Herzens Unternehmer. Denn sie unternehmen das, was sie unternehmen, nicht um reich zu werden, sondern um des Unternehmens willen. Und im Dienste der Gesellschaft. Diese Haltung wünsche ich mir wieder bei mehr Gründern!
Denn es ist genau dieses Bild des familiennahen Unternehmens, das durch den Verkauf an Nestlé in den Köpfen der Kunden und Fans wie eine Seifenblase geplatzt ist.
Natürlich kannst du auch mal ein Unternehmen oder einen Teil davon verkaufen. Das habe ich auch schon gemacht. Manchmal entsteht ein Unternehmen auch gar nicht mit Herzblut, sondern einfach nur aus einer Idee, einer momentanen Chance heraus, als kleines Projekt. Du nutzt die Chance, gründest und verkaufst. Du bringst einfach das Geld aus deinem Kopf aufs Konto. Das bringt dir neues Kapital, das du woanders investieren kannst – idealerweise in das Business, wofür du brennst. Und du kannst auch aus dem aktiven Geschäft rausgehen und einen Geschäftsführer einsetzen. Völlig okay. Du musst nicht alles selbst machen. Doch wenn du nicht ein Kerngeschäft hast, für das dein Herz schlägt, wenn du nicht ein Business hast, das du über dein eigenes Leben hinaus weiterentwickeln und weitergeben möchtest, dann bist du in meinen Augen kein Unternehmer. Sorry, Ankerkraut.