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Bisher wurden derartig große Baugruppen von Hand geschweißt. Aber inzwischen schlägt der Fachkräftemangel auch im Schweißbereich durch. Das war ein wesentlicher Grund, warum Severt sich entschied, eine weitere vollautomatisierte Roboterschweißanlage mit Positionierer für entsprechend große Teile zu entwickeln und auch selbst zu nutzen.
Doppelrolle: Lohnfertiger und Schweißanlagenbauer
Dabei ist Severt nicht nur Anlagenbauer, sondern fertigt auch selbst Schweißbaugruppen mit einer Stückmasse bis (aktuell) 80 Tonnen. Dafür betreibt das Unternehmen 60 Handschweißarbeitsplätze und 15 Roboteranlagen zum Schweißen und Schneiden. Severt liefert unter anderem an Hersteller von Landtechnik und schweren Baumaschinen sowie weitere Unternehmen in den Branchen Fahrzeugbau und Energietechnik.
Die zunehmend schweren Bauteile, die richtig für das Schweißen positioniert werden müssen, hatten bereits Mitte der 1970er Jahre dazu geführt, dass Severt in den Sondermaschinenbau eingestiegen ist. Die Positionierer waren zunächst zur Entlastung der eigenen Mitarbeiter gedacht. Jedoch stießen sie schnell auch bei anderen Unternehmen auf Interesse. Heute ist der Bau handgesteuerter Schweißdrehtische sowie kompletter Roboterschweißanlagen eines der Standbeine des Betriebes.
Dabei gilt auch heute noch: „Was wir an Anlagen verkaufen, setzen wir auch selbst ein“, wie Dr. Severt betont. „Diese Verzahnung ist für uns sehr wichtig, denn so können wir die Anlagen im Betrieb testen. Und unsere Kunden können sicher sein, dass wir die Prozesse beherrschen.“
AN DER SPANNPLATTE DES POSITIONIERERS MÜSSEN BIS ZU 156.000 NEWTON-METER AUFGEBRACHT WERDEN, DAS WENDEMO-MENT AM TRAGARM IST SOGAR FÜR BIS ZU 230.000 NEWTONMETER AUSGELEGT.
Zwei Stationen und 40 Meter Verfahrweg
Auch die neue 45-Tonnen-Anlage wurde zunächst für die eigene Fertigung konzipiert. Die Schweißanlage besteht aus zwei Arbeitsstationen. Beide sind mit einem Dreh- und Wendepositionierer ausgestattet, der eine flexible Positionierung über drei Achsen ermöglicht. Der Schweißbrenner wird von einem 6-Achs-Roboterarm geführt, der an einem C-Portal montiert ist, das ihn heben und schwenken kann. Das Portal wiederum bewegt sich zusätzlich über einen Verfahrschlitten. Der maximale Verfahrweg beträgt bei dieser Anlage 40 Meter.
Die Linearachse des Fahrwerks sowie die Schwenkachse des Turmauslegers werden von spielfreien Präzisions-Servogetriebemotoren der Baureihe ZN von SEW-Eurodrive angetrieben. Sie bestehen aus einem Zykloidgetriebe sowie einem synchronen Servomotor. Das Verdrehspiel liegt dabei funktionsbedingt weit unter einer Winkelminute, was zu einer hohen Positioniergenauigkeit führt.
Beide Stationen sind gekoppelt, so dass jeder Roboter an beiden Stationen arbeiten kann. Also können an der Schweißanlage entweder zwei Bauteile parallel bearbeitet werden, oder beide Roboter schweißen gemeinsam an einem Bauteil.
Antriebskonzept mit Herausforderungen
Um das Anlagenkonzept zu realisieren, waren aus Sicht der Antriebstechnik einige Herausforderungen zu meistern. So müssen, um das Bauteil während des Schweißprozesses immer in der bestmöglichen Position halten zu können, alle zwölf Achsen einer Station koordiniert zusammenarbeiten. Daher steuert die Robotersteuerung im Automatikbetrieb simultan sowohl die Achsen des Roboterarms als auch die externen Achsen. Dabei hat jede der beiden Arbeitsstation eine eigene Steuerungseinheit, die gesamte Anlage nutzt also zwei Robotersteuerungen, die im Handshake zusammenarbeiten.
Im manuellem Betrieb kommt hingegen die Movi-C-Controller von SEW zum Zuge: Diese Betriebsart nutzen die Facharbeiter, wenn nicht alle Nähte eines Bauteils vom Roboter geschweißt werden können, weil sie zum Beispiel schwer zugänglich sind. Dann steuert der Schweißer den Positionierer manuell und ergänzt diese Nähte händisch. Der Movi-C Controller informiert dabei die Robotersteuerung stetig über die aktuelle Position, so dass jederzeit nahtlos zwischen manuellen und automatischen Betrieb gewechselt werden kann, ohne dass ein Referenzpunkt angefahren werden muss.
Eine weitere Herausforderung waren die gewaltigen Drehmomente, die beim Handling der Großbauteile auftreten: An der Spannplatte des Positionierers müssen bis zu 156.000 Newtonmeter aufgebracht werden, das Wendemoment am Tragarm ist sogar für bis zu 230.000 Newtonmeter ausgelegt. Zuviel für die Treiberstufen der Robotersteuerung, wie Markus Levers, Leiter Elektrotechnik bei der Firma Severt, erklärt: „Wir mussten daher die erforderliche Antriebsleistung auf zwei Motoren aufteilen.“ Das war auch aus anderen Gründen sinnvoll, wie Levers erklärt: „Das Drehmoment ist auch durch die Zahnfußspannung der Kugeldrehverbindung begrenzt. Durch eine Aufteilung auf zwei Antriebe kann ein größeres Drehmoment erreicht werden.“ Doch dazu müssen beide Antriebe absolut synchron arbeiten. Auch hier diente der Movi-C-Umrichter als Problemlöser. Denn das Softwaremodul „MultiAxisController“ in diesem realisiert die mechanisch gekoppelten Antriebe und gleicht die Drehmomente zwischen den beiden Antrieben aus. „Das war genau die Lösung, die wir brauchten, um die Kraftverteilung zwischen beiden Motoren zu steuern ohne dass einer von ihnen blockiert“, kommentiert Markus Levers.
Modulare Antriebslösung als Problemlöser
Zudem bietet die Modulbauweise von Movi-C bei der Anzahl der Achsen und der hohen Energiedichte einige Vorteile: Weniger Platzbedarf, günstigere Einkaufskosten und spürbar reduzierter Verdrahtungsaufwand im Vergleich zu Stand-alone-Achsen für jeden einzelnen Antrieb.
Das Antriebskonzept entwickelte Severt in enger Zusammenarbeit mit Antriebsexperten von SEW-Eurodrive: „Mit den Technikern von SEW arbeite ich teils schon seit über 15 Jahren zusammen“, erklärt Levers. Der Antriebsbaukasten Movi-C, den Severt bei der neuen 45-Tonnen-Schweißanlage erstmals eingesetzt hat, hat den Leiter Elektrotechnik nachhaltig überzeugt: „Es war ein echter Problemlöser bei dieser Anlage“, kommentiert Levers. „Wir werden den Antriebsbaukasten jetzt auch bei unseren anderen Standardanlagen einführen.“
JBI
GUNTHART MAU ist Referent Fachpresse bei SEW-Eurodrive.