... mich einmal an sie erinnern würde. An eine Frau, die sich nur schweren Herzens von mir, ihrer Tochter, getrennt hat. Weil es besser für mich war. Die mich aber trotzdem geliebt hat. Jedenfalls sehe ich das heute so. Ich will es so sehen.
Ich bin ein Findelkind. Eines von unzähligen in Deutschland. Ausgesetzt von der eigenen Mutter. Das hört sich furchtbar an. Und das ist es auch. Es ist eigentlich unvorstellbar. Warum Frauen so etwas tun, wissen nur sie allein und müssen das mit sich selbst ausmachen. Und mit dieser Entscheidung leben.
Als ich ausgesetzt wurde, gab es noch keine Babyklappen in Deutschland und auch nicht die sogenannte „anonyme Geburt“. Viele Babys wurden nicht rechtzeitig gefunden und starben. Das wollte meine Mutter unbedingt verhindern, da bin ich mir ganz sicher.
Ja, ich sollte gefunden werden. Denn sie wählte ein Hotel aus, einen warmen Hotelflur, ich war in Decken gehüllt. Dazu ein Brief, in ungelenker Handschrift verfasst: „Bitte kümert euch um meine Tochter. Bitte!“ Das letzte „Bitte“ war zweimal unterstrichen, das Wort „kümmert“ hatte sie falsch geschrieben. Vielleicht stammte sie nicht aus Deutschland, vielleicht war sie nur zu aufgeregt, vielleicht konnte sie nicht richtig schreiben. So viele „Vielleichts“ in meinem Leben, so viele Fragen.
Man hat sich gekümmert. So, wie sie es gewollt hat. Denn nur wenige Tage nach meinem Fund hielten mich meine neuen Eltern in den Armen. „Liebeseltern“ nenne ich sie, denn sie nahmen mich aus Liebe zu sich, schenkten mir ihre Liebe – und ihre Liebe trägt mich bis heute durch mein Leben.
Mit Achtzehn erfuhr ich die Wahrheit. Mir war, als öffnete sich ein riesiges Loch unter mir, das mich in die Tiefe stürzen ließ. Immer weiter, endlos, ohne Halt. Damals war so etwas wie Psychotherapie noch relativ unbekannt, aber ich hätte professionelle Hilfe bitter nötig gehabt: Die Eltern nicht die wirklichen Eltern, eine Mutter, die mich ausgesetzt hatte – von meinem Leben war nichts mehr übrig, meine heile Welt lag in Trümmern. Nur langsam setzte ich mir daraus mein neues Leben zusammen. Stein für Stein. Doch das hat gedauert.
Meine Eltern haben nie abfällig über meine Mutter gesprochen. Im Gegenteil. „Wir sind ihr jeden Tag dankbar, dass sie dich uns geschenkt hat.“ Sätze wie diese halfen mir dabei, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und meiner Mutter zu verzeihen. Und nicht mehr diese unnötige Frage zu stellen: „Was wäre gewesen, wenn…?“
Heute bin ich froh, dass sie mich ausgesetzt hat, mir damit eine wunderschöne Kindheit gegeben hat und ein Leben voller Chancen und Möglichkeiten. Auch das ist wohl Liebe.
Kathrin T.* (46), Ort ist der Redaktion bekannt
Das „Gatwick-Baby“ Steven fand seine Eltern!
Aktueller Fall
Facebook/Gary gatwick airport baby abandoned
Eigentlich heißt er Steven Hydes (33), doch er wurde als „Gary Gatwick“ berühmt, weil er am Flughafen Gatwick in London ausgesetzt wurde
★Vereint 1986 fand man den Säugling auf dem Damen-WC des Airports. Jahrelang suchte er seine leiblichen Eltern. Jetzt hat er sie mithilfe von Genealogen ausfindig gemacht. „Leider ist meine leibliche Mutter bereits gestorben, sodass ich nicht mehr herausfinden kann, was damals genau passiert ist“, schreibt er auf Facebook. Sein Vater lebt noch. „Und ich habe Geschwister auf jeder Seite gefunden. Keiner wusste von meiner Existenz!“
* Name von der Redaktion geändert; Foto (Szene nachgestellt): Facebook, iStock