... unheilbar. Zumindest bislang. Aktuelle Forschungsergebnisse machen nun Hoffnung, dass der Kampf gegen den schleichenden Verlust von Gedächtnis und Persönlichkeit erfolgreich sein kann.
Die große Angst vor der Demenz
Demenz als unausweichliches Übel? Rund 40 Prozent der Deutschen haben laut einer Studie der DAK-Gesundheit Angst, einmal daran zu erkranken. Rein statistisch ist die Sorge nicht unbegründet: Wo Menschen immer älter werden, rückt das große Vergessen immer näher. Allein in Deutschland leben derzeit 1,6 Millionen Menschen mit der Krankheit, bis 2050 rechnet das Bundesforschungsministerium mit einer Verdoppelung der Zahl. Forscher in den USA warnen gar vor einer weltweiten Alzheimer-Epidemie. Doch es mehren sich Hinweise, dass die Zahlen nach unten korrigiert werden können. Viele Studienergebnisse zeigen: Bei Demenz und Alzheimer sind noch andere Faktoren als das Alter im Spiel. Das bedeutet: Man muss nicht hilflos abwarten, ob eine Demenz eintritt.
Was Hirnerkrankungen wie Demenz so beängstigend macht: Sie betreffen unser sensibelstes Organ, die Schaltstelle von Körper und Seele, unser Kontrollzentrum. Statt vor Angst zu erstarren oder einfach abzuwarten, ob einen das Schicksal trifft, lohnt ein Blick auf die aktuelle Forschung.
Demenz ist ein Oberbegriff für viele Krankheitsformen, bei denen geistige Fähigkeiten durch Zerstörung oder Abbau von Nervenzellen schwinden. „Die Ursachen liegen fast immer in den Nervenzellen selbst“, erklärt der Gerontologe Dr. Winfried Teschauer, Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Nervenzellen sind an sich langlebig und robust, werden sie jedoch verletzt, bauen sie sich in der Regel nicht mehr auf. Mit ihnen gehen dann Fähigkeiten verloren, die unser ganzes Leben, Denken und Fühlen bestimmen. Das Gedächtnis entschwindet, auch die Kontrolle über Bewegungen. Der Mensch nimmt Dinge anders wahr, als sie tatsächlich sind. Durch diese Veränderungen verabschiedet sich oft sogar die bisherige Persönlichkeit.
Bei bis zu 60 Prozent aller Patienten ist Morbus Alzheimer der Grund ihrer Demenz. Jeder Vierte über 85 Jahren leidet unter Alzheimer. „Bei dieser Form der Demenz steht zunächst der Verlust der kognitiven Fähigkeiten und des Gedächtnisses im Vordergrund, Veränderungen der Persönlichkeit und der Stimmungslage kommen dazu“, erklärt Dr. Teschauer. Langsam, aber stetig gehen Nervenzellen zugrunde. Den Betroffenen fällt es immer schwerer, Pläne zu machen und ihren Alltag gut zu bewältigen. Sogar Routinehandgriffe werden ein Problem. Oft verlieren sie die Orientierung, einfache Worte fallen ihnen nicht ein. Sie sind zunehmend auf Unterstützung angewiesen. Im Spätstadium versteifen Gliedmaßen, die Sturzgefahr wächst.
BUCHTIPP
Dr. med. Michael Nehls Die Formel gegen Alzheimer Heyne 192 S., 17 €
Risikofaktoren: nicht nur das Alter
Bricht sie aus, führt eine Demenz statistisch gesehen nach acht Jahren zum Tod: „Bis zu 30 Prozent des Gehirns und alle von ihm gesteuerten Funktionen gehen verloren“, erläutert Dr. Teschauer. „Viele Patienten sterben dann an Lungenentzündung, weil der Schluckreflex betroffen ist und Nahrung in die Lunge gelangt.“ Eine schlimme, für viele erschreckende Vorstellung.
Rein statistisch betrachtet, ist der größte Risikofaktor tatsächlich das Alter. Alzheimer betrifft selten Menschen unter 60 Jahren. Vermutlich spielen auch Genveränderungen eine Rolle. Frauen sind unter den Betroffenen doppelt so häufig wie Männer – schlicht und ergreifend deshalb, weil sie oft älter werden.
Was das Risiko nachweislich erhöht, sind zahlreiche „Klassiker“ eines ungesunden Lebensstils: Alkohol, Nikotin, starkes Übergewicht, Zuckerkrankheit. Auch Fehlfunktionen der Schilddrüse oder ein hoher Cholesterinspiegel. Zudem Bluthochdruck und ein durchlebter Herzinfarkt oder Schlaganfall oder andere Gefäßerkrankungen. Bei jüngeren Menschen können Infektionen wie HIV oder Nervenschädigungen durch Alkohol oder andere Suchtmittel der Auslöser für eine Demenz sein.
Was Studien und Statistiken ebenfalls zutage förderten: Häufiger betroffen scheinen jene Menschen zu sein, die sehr kontaktarm leben, wenig Bildung und wenige Interessen haben. Auch soziale Unterschiede spielen eine Rolle: In Landkreisen mit höherem Haushaltseinkommen treten diagnostizierbare Demenzsymptome erst in einem höheren Lebensalter auf.
Relativ selten als Auslöser sind dagegen genetische Faktoren. Das bedeutet: „Wenn eine Krankheit nicht zwingend erblich ist, müssen die Faktoren in der Umwelt liegen“, so Teschauer. „Da kann man sich ruhig zeitlebens fragen: Wie gut halte ich mein Hirn in Schuss? Mit seinen Reserven und Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen kann das nämlich viel abpuffern, selbst wenn eine Demenz schon ausbricht.“
FAMILIENKREIS Gemeinsame Erlebnisse und vereint überwundene Herausforderungen mit Freunden und Verwandten halten unser Gehirn fit
Auch der Mediziner und Wissenschaftsautor Dr. Michael Nehls macht in seinem neuen Buch „Die Formel gegen Alzheimer“ Mut. Er hält das Leiden für eine Mangelkrankheit, die größtenteils durch unsere moderne Lebensweise verursacht wird, die unseren natürlichen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Das bedeutet für ihn aber nicht, Demenz sei selbst verschuldet oder ließe sich durch den Verzicht aufs Wiener Schnitzel kurieren. Es heißt: 30 bis 40 Prozent der Demenzerkrankungen könnten laut Schätzungen verhindert werden, da sich immerhin ein Teil der Risikofaktoren bewusst beeinflussen lässt.
Was hilft: das richtige Lebensgefühl
Was jeder für sich selbst tun kann, ist Folgendes: geistig und körperlich aktiv bleiben, ein soziales Netz pflegen, auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf achten. Pläne zu schmieden, interessante Eindrücke auf Reisen zu sammeln, neue Sprachen und Sportarten zu lernen gehören genauso dazu und können, das zeigen inzwischen viele Untersuchungen, eine schützende Wirkung haben. „Wer sich bewegt, erlebt Neues, das er sich merken muss“, so plädiert Dr. Nehls für Aktivität. Ausdauertraining lässt im Hippocampus, wo Alzheimer seinen Ausgang nimmt, sogar vermehrt neue Nervenzellen sprießen; es verbessert dessen neuronale Vernetzung und erhöht die Menge an Neurotransmittern. Das hilft gegen negative Gedanken – und schützt vor Demenz.
Der renommierte Neurobiologe Prof. Gerald Hüther glaubt, dass in Zukunft immer weniger Menschen dement werden – wenn wir unsere Einstellung zum Leben verändern. „Die Ergebnisse jüngerer Hirnforschungen zeigen, dass das Gehirn bis ins hohe Alter hinein umbaufähig ist. Wenn an einer Stelle Vernetzungen verloren gehen, kann es an anderer Stelle wieder neue aufbauen.“ Dass im Gehirn wie in jedem anderen Organ im Alter verstärkt Abbauprozesse stattfinden und es zu Ablagerungen kommt, ist kaum vermeidbar. „Aber deshalb muss nicht gleich eine Demenz entstehen“, erklärt Hüther.
Das legen auch die Ergebnisse der sogenannten Nonnenstudie nahe. Der US-Epidemiologe David A. Snowdon unterzog über 670 Nonnen eines Ordens zwischen 75 und 106 Jahren gängigen Demenztests. Jährlich, bis zu ihrem Tod. Er fand heraus, dass Demenz bei ihnen nur sehr selten auftrat. Überrascht war er aber, als er sich die Gehirnschnitte der Verstorbenen anschaute und genauso stark ausgeprägte Ablagerungen und Abbauprozesse fand wie in der Normalbevölkerung. Die Nonnen waren also nicht dement geworden, obwohl ihr Gehirn genauso geschädigt war wie das vieler Demenzpatienten. Die Erklärung des Wissenschaftlers: „Sie lebten in einem Umfeld, das für den Wiederaufbau des Gehirns sehr günstige Bedingungen bot.“ Dabei geht es um das Gefühl, sich in seinem Leben wohlzufühlen. „Dafür müssen drei Bedingungen erfüllt sein“, so Prof. Hüther, „Erstens: dass man die Welt um sich herum versteht. Zweitens: Man braucht die Überzeugung, dass man etwas gestalten kann. Und drittens sollte einem das, was man bewirken kann, auch sinnvoll erscheinen.“ All das war im Leben der US-amerikanischen Nonnen gegeben.
Und wie überträgt man diese Erkenntnisse in sein Leben – ohne gleich Nonne oder Mönch zu werden? Man kann bis ins hohe Alter versuchen, möglichst viel selbst zu gestalten, und sich gegenseitig immer wieder dazu ermuntern.
Was die Medizin heute tun kann
Die medizinische Demenzbehandlung zielt meist darauf ab, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Beschwerden zu lindern. Außer Medikamenten kommen dabei Ergotherapie, Bewegungs- oder Kunst- und Musiktherapie zum Einsatz. Die Krankheit ist vielschichtig, daher muss eine Therapie an mehreren Punkten ansetzen. Doch bei den Medikamenten tut sich etwas: Man hat erkannt, dass die körpereigenen Immunzellen durchaus gegen die Amyloid-Ablagerungen vorgehen, aber in der Folge auch die Nervenzellen selbst schädigen (siehe Kasten S. 10). Gesucht wird jetzt fieberhaft nach Mitteln, die diese Überreaktion des Immunsystems vermeiden, die Ablagerungen durch Antikörper entfernen, gleichzeitig aber die Schädigung des Tau-Proteins verhindern, das die Transportwege der Nervenzelle stabilisiert. Mehrere Tau-Medikamente werden momentan bereits an Patienten erprobt. In England testet der deutsche Forscher Prof. Christian Hölscher ein Diabetesmittel an Patienten, das im Labor verblüffende Erfolge zeigte.
AKTIV BLEIBEN Bewegung stimuliert das Gehirn und kann Demenzsymptome verbessern
Alzheimer galt bisher als nicht heilbar. Doch sogenannte Antidementiva können den Krankheitsverlauf verzögern, etwa Acetylcholinesterase-Hemmer, die dem Mangel am wichtigen Botenstoff Acetylcholin entgegenwirken. Sie lindern allerdings nur die Symptome. Um die Eiweißablagerungen rechtzeitig zu verhindern oder gar wieder aus dem Gehirn zu schleusen, laufen derzeit Studien mit neuartigen Medikamenten. Eine Zulassung wird noch etwa zwei Jahre dauern. Studien, die noch Teilnehmer suchen, kann man bei der Deutschen Alzheimergesellschaft erfragen (deutsche-alzheimer.de).
60 Prozent der Demenzkranken leiden anAlzheimer
Auch in der Heilpflanzenforschung gibt es neue Erkenntnisse. So wurde ein Extrakt aus den Blättern des Ginkgobaums in die S3-Leitlinie „Demenzen“ übernommen. Nach zwölfwöchiger Einnahme von täglich 240 Milligramm des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761 verbesserten sich die kognitiven Fähigkeiten der Probanden signifikanter als bei denen, die ein Placebo-Präparat erhielten (Prüfpräparat „Tebonin konzent 240 mg“, rezeptfrei Apotheke). Bei der Auswahl eines Naturheilmittels sollte man unbedingt Produkte aus der Apotheke bevorzugen. Nur das garantiert eine optimale Konzentration und Qualität des Wirkstoffs, der unter hohen pharmazeutischen Qualitätsstandards hergestellt wird.
Etwa 60 Prozent der Demenzfälle gehen auf charakteristische Veränderungen im Gehirn zurück. Lange Zeit waren diese Veränderungen erst nach dem Tod erkennbar. Heute kann der Stoffwechsel des Gehirns mittels MRT- und PET-Technik untersucht werden. So mehren sich die Chancen, die Erkrankung rechtzeitig zu diagnostizieren. Sogenannte Biomarker wie Tau-Proteine sind bei Kranken nicht nur im Gehirn nachweisbar, sondern auch bei der Analyse der Rückenmarksflüssigkeit – und das bis zu zehn Jahre, bevor die Patienten erste Alzheimersymptome zeigen. Inzwischen hat man geeignete Biomarker im Blut entdeckt. Ein einfacher Bluttest auf Alzheimer könnte also in den nächsten Jahren möglich sein.
Die enorme Wirkung kleiner Gesten
Und wenn jemand bereits erkrankt ist? Die Aufgabe der Mitmenschen ist es dann, Betroffenen wieder zur Freude am eigenen Leben zu verhelfen. Wer sich abgeschoben und aus der Welt geworfen fühlt, gibt sich auf – was die Symptome verschlimmert.
Die Wirkung vermeintlicher Kleinigkeiten kann enorm sein: Da die Zahnpflege in der Betreuung Demenzkranker oft vernachlässigt wird, wählte eine US-Studie eine Gruppe dementer Patienten, die bereits alle Zähne verloren hatten, und ließ ihnen Zahnersatz anpassen. Alle Probanden konnten plötzlich wieder selbst essen und so sprechen, dass andere sie verstanden. Sie mochten ihr neues Spiegelbild und wagten sich nach langer Zeit wieder auf die Straße. Nach einem halben Jahr hatte sich ihre Demenz gebessert.
Heutige Senioren sind fit, genießen Reisen und Hobbys. Sie haben noch viel vor, und vieles ist ihnen noch möglich. Erste Studien aus den USA und England zeigen, dass die Häufigkeit von Demenzerkrankungen in der Gruppe 60plus schon signifikant zurückgeht.