... werden kann. Das ist besonders gravierend, weil die Kastration bestimmte Gesundheitsrisiken erhöhen kann. Am bekanntesten sind das gesundheitsschädliche Übergewicht, das Inkontinenzrisiko bei der Kastration von Hündinnen über 20 Kilogramm und die Ausbildung eines Welpenfells.
Angeheizt wurde die aktuelle Diskussion hier in Deutschland jedoch von Studien, die an der Universität von Kalifornien unter der Leitung von Benjamin und Lynette Hart in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Die Studien wiesen nach, dass die Kastration das Risiko für bestimmte Gelenkerkrankungen und spezielle Tumoren erhöhen kann. Sie zeigten aber auch, dass sich die Kastrationsfolgen je nach Rasse, Geschlecht und Kastrationszeitpunkt unterscheiden.
Die Golden-Retriever-Studie war die erste Studie zu den gesundheitlichen Folgen einer Kastration. Es folgte eine Studie mit Golden und Labrador Retrievern. Die derzeit letzte Studie dieser Art führten die Harts mit den Daten von Deutschen Schäferhunden durch.
Die Golden-Retriever-Studie
In die Golden-Retriever-Studie fl ossen die Daten von 759 kastrierten und intakten (unkastrierten) Tieren ein. Die Akten wurden sowohl nach den Gelenkkrankheiten Hüftgelenksdysplasie (HD) und Kreuzbandriss als auch nach den Tumorkrankheiten Lymphosarkom, Hämangiosarkom und Mastzelltumor durchsucht. Diese Krankheiten wurden ausgewählt, weil bereits seit Längerem ein Zusammenhang zwischen ihnen und der Kastration großer Hunde vermutet worden war.
Von den frühkastrierten Golden- Retriever-Rüden litten zehn Prozent unter einer HD, etwa doppelt so viel wie intakte Rüden. Während bei intakten Tiere kein Kreuzbandriss in den Akten zu fi nden war, erlitten fünf Prozent der kastrierten Rüden und acht Prozent das kastrierten Hündinnen diese schwere Verletzung, die letztlich auf Materialfehler des Kreuzbandes im Knie zurückzuführen ist. Fast zehn Prozent der kastrierten Rüden und damit rund dreimal so viel wie intakte Rüden erkrankten an einem Lymphosarkom. Spätkastrierte Golden Retriever Hündinnen waren mit acht Prozent viermal so häufi g von einem Hämangiosarkom betroff en als intakte oder frühkastrierte Hündinnen. Ein Mastzelltumor trat bei sechs Prozent der spätkastrierten, aber bei keiner intakten Hündin auf.
Folgestudien
In der Golden- und Labrador-Retriever- Studie wurden die Ellbogendysplasie (ED) und Gesäugetumoren zusätzlich in die Analyse aufgenommen. Bei den Golden Retrievern waren die Zahlen für HD, Kreuzbandriss, Lymphosarkom, Hämangiosarkom und Mastzelltumor vergleichbar mit der ersten Studie. Bei der ED konnte bei den Golden Retrievern kein relevanter Unterschied zwischen intakten und kastrierten Tieren festgestellt werden. Gesäugetumoren kamen sowohl bei den Golden Retrievern als auch bei den Labradors deutlich häufi ger bei den kastrierten Hündinnen vor.
Interessanterweise erhöhte die Frühkastration bei den Labradorrüden das Risiko für eine ED, aber nicht für die HD, wohingegen frühkastrierte Hündinnen eher eine HD als eine ED aufwiesen. Beide Geschlechter waren nach einer Frühkastration anfälliger für einen Kreuzbandriss. Die genannten Tumorkrankheiten kamen bei den kastrierten Tieren deutlich häufi ger vor. Auch bei den deutschen Schäferhunden stieg das Risiko von Gelenkerkrankungen und den genannten Tumoren durch die Kastration deutlich.
Die Ergebnisse dieser Studien zeigen eindeutig, dass die Kastration das Risiko für gravierende Krankheiten der Gelenke und für bestimmte bösartige Tumoren bei den untersuchten Rassen erhöht. Wahrscheinlich bestehen einige dieser Gesundheitsrisiken auch bei weiteren großen bis sehr großen Rassen. Daher empfehlen die Harts auch weitere rassespezifi sche Studien zum Th ema Kastrationsfolgen. Bei kleinen Hunden wurden bisher keine Zusammenhänge zwischen Gelenkerkrankungen und Tumoren beschrieben.
Unterschiede USA – Deutschland
Anders als in vielen europäischen Ländern sind in den USA die meisten Hunde kastriert. Dazu kommt, dass die Hunde in den USA meist noch sehr jung und häufi g bereits im Welpenalter kastriert werden. Es liegt dabei auf der Hand, dass Hunde, die im Welpenalter kastriert werden, in ihrer Entwicklung tiefgreifender beeinfl usst werden, als Hunde, die nach dem Eintritt in die Geschlechtsreife kastriert werden.
In Deutschland sind Kastrationen als Amputationen von Körperteilen im Deutschen Tierschutzgesetz (Fassung von 2018) grundsätzlich verboten. Es gibt in Bezug auf Hunde jedoch drei Ausnahmen von dem „Kastrationsverbot“: Erstens: Der Eingriff ist medizinisch geboten (medizinische Indikation). Zweitens: Zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpfl anzung. Drittens: Wenn die Kastration zur weiteren Nutzung und Haltung des Tieres vorgenommen wird, soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen.
Medizinische Indikation
Bei einigen Krankheiten, wie beispielsweise Hoden- oder Eierstocktumoren, dem hepatoiden Adenom, der Gebärmuttervereiterung (Pyometra) oder dem Progesteron-bedingten Diabetes mellitus ist die Kastration ein wichtiger Bestandteil der Th erapie. Bei anderen Krankheiten, bei denen die Kastration früher zwingend zur Th erapie gehörte, gibt es heute unter bestimmten Umständen Behandlungsalternativen, wie beispielsweise bei der benignen Prostatahyperplasie. Eine Kastration zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpfl anzung wird beim Hund häufi g kritisch gesehen, da die Forderung an die Halter besteht, dass sie ihre Hunde stets kontrollieren können. Das ist ein frommer Wunsch, aber nicht besonders realistisch. In der Realität kann auch der besterzogenste Hund einmal eigene Wege gehen, insbesondere, wenn es um so einen starken Trieb wie den Sexualtrieb geht.
Im Tierheim werden Hunde meistens kastriert, weil eine Haltung intakter Tiere problematisch ist
Notwendigkeit vs. Bequemlichkeit
Einen Hund einfach so zu kastrieren, um es bequemer zu haben, ist eindeutig tierschutzwidrig und verboten. Eine Kastration gleicht auch keine Erziehungsfehler aus. Es gibt jedoch Fälle, in denen eine Kastration zur weiteren Nutzung und Haltung des Hundes nötig sein kann.
Bei Blindenhunden und Behindertenbegleithunden soll die Kastration verhindern, dass sich die Tiere von ihren Aufgaben ablenken lassen. In Tierheimen, in denen sich manche Hunde lange aufhalten, ist eine Haltung intakter Rüden in unmittelbarer Nähe von Hündinnen, die immer wieder läufi g werden, für Tiere und Menschen kaum zumutbar. Das kann im Einzelfall auch auf die Haltung im Privathaushalt zutreff en, wenn der Rüde stundenlang heult und die Nahrung verweigert, wenn er eine läufi ge Hündin riecht. Außerdem kann es bei einigen Hündinnen im Fall der Scheinträchtigkeit zur Aggressivität kommen.
Aber welche Gründe kann es sonst beim normalen Familienhund geben? Das können gesundheitliche, familiäre oder berufl iche Gründe sein. Nur ein Beispiel: Der Hund darf zwar mit ins Büro, muss aber kastriert sein, weil es sonst Probleme mit den anderen Bürohunden gibt. Einfach in die Hunde-Kita kann man das Tier nicht geben, weil dort häufi g nur kastrierte Hunde aufgenommen werden. Das gilt ebenso für die meisten professionellen Gassigeher. Nette Nachbarn, die sich um den Hund kümmern, hat auch nicht jedermann. Was bleibt aber dann? Den Hund neun Stunden alleine lassen, einen anderen Job suchen oder den Hund abschaff en? Erst gar keinen Hund anschaff en? Aber was ist, wenn sich die Lebensumstände ändern?
Kastrierte Hunde haben ein höheres Risiko für gravierende Krankheiten und müssen daher regelmäßig tierärztlich untersucht werden
Alternativen bedenken
Grundsätzlich sollten Hunde nicht kastriert werden. Doch von diesem Grundsatz muss es auch Ausnahmen geben, insbesondere dann, wenn es medizinische Indikationen für die Kastration gibt. Wenn die Kastration zur Verhinderung unerwünschten Nachwuchses oder aus haltungstechnischen Gründen erwogen wird, gibt es für Rüden auch eine gut verträgliche hormonelle Kastration per Chip, als Alternative zum chirurgischen Eingriff . Bei Hündinnen ist die hormonelle Läufi gkeitsunterdrückung hingegen komplizierter und kann gefährliche Nebenwirkungen, wie beispielsweise eine Pyometra haben.
Kurz: Eine Kastration sollte nur dann durchgeführt werden, wenn sie nach sorgfältiger Prüfung aller Alternativen das kleinere Übel für das Tier darstellt.
Barbara Welsch
ist Tierärztin und renommierte Wissenschafts journalistin. Immer an ihrer Seite: Pinscher Dylan
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